Gebärtouristen mit Notgeburten

Liberalen und Neoliberalen wird ja gerne vorgeworfen, marktgläubig zu sein. Ich glaube, dass man an den Markt gar nicht glauben muss. Der Markt spielt einfach. Zum Beispiel an der deutsch-polnischen Grenze, wie ich eben aus der eher marktkritischen Frankfurter Rundschau erfahre. Der Artikel heisst „Gebärtourismus: Seltsamer Babyboom im Osten„:

Nach der Grenzöffnung 2004 erlebte Schwedt, eine 36 000 Einwohner zählende Grenzstadt in der Uckermark, einen wahren Babyboom. Keinen einheimischen, sondern einen importierten. Etwa 400 Frauen aus Polen, die angeblich als Touristinnen im eher unspektakulären Schwedt unterwegs waren, ließen sich zwischen 2004 und 2007 ins Klinikum bringen, wo sie eine Notgeburt hatten.

Warum?

Der Chefarzt und seine Mitarbeiter, alle aus Polen stammend, hatten im Internet und mit Broschüren in Polen für das Schwedter Krankenhaus geworben.

Und warum wollen polnische Mütter denn in Deutschland niederkommen? Ganz einfach, weil es billiger ist als „in Polen, wo junge Mütter bestimmte Dinge aus eigener Tasche zuzahlen müssen“.

Sind diese Frauen nun Verbrecherinnen, weil sie Notgeburten vortäuschen? Nein, sie verhalten sich nur marktkonform und gehen dorthin, wo es billiger ist. Natürlich ist so ein Verhalten schwierig, doch vor allem ist es „eine dumme Geschichte“ für den deutschen Krankenversicherer AOK, der eine halbe Million Euro „Kosten für die Geburten vorstrecken und dem Krankenhaus erstatten“ musste und die nun nicht wieder sieht, weil die polnischen Krankenversicherungen sowas auch nicht zahlen wollen.

Was passiert also, von den rechtlichen Konsequenzen mal abgesehen? Die Prämien für Versicherte der AOK steigen an.

Doch auch die Deutschen reisen fleissig in die Türkei oder nach Ungarn. Und die Schweizer lassen sich in Deutschland behandeln. Warum das alles? Weil es billiger ist. Der Mensch ist nicht marktgläubig. Er ist es, der den Markt bildet, täglich neu.

Ist so ein Medizintourismus irgendwie sinnvoll? Ich weiss nicht recht. Deutsche Ärzte strömen in Massen in die Schweiz (besseres Arbeitsklima, mehr Verdienst) und Schweizer Patienten strömen in Massen nach Deutschland oder sonst wo hin (billigere Behandlung). Ich glaube, man sollte sich dort behandeln lassen können, wo man wohnt. Und man sollte auch dort arbeiten können, wo man wohnt. Es sei denn, man wünscht sich das explizit anders. Doch das ist bei den meisten nicht so. Sie folgen nur, zum Teil widerstrebend, den Marktgesetzen.

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