Leserreporter werden wichtiger

Wenn heutzutage etwas Unvorhergesehenes vorfällt, dann sind Journalisten oft die Letzten vor Ort. Wo auch immer etwas passiert, wartet eine Armee von Hobbyfotografen, um auf den Auslöser zu drücken. Wer die Digitalkamera nicht dabei hat, der zückt das Handy: Fotos, Tonaufnahmen, kurze Filme in annehmbarer Qualität – alles kein Problem mehr für den durchschnittlichen Passanten.


Gläubige machen Fotos von Papst Benedikt am Weltjugendtag in Köln 2005. Foto: Keystone AP Reuters, Michael Dalder

Die Medien, vor allem die Boulevardmedien, sind angewiesen auf diese Bilder, denn auch ein schlechtes Bild von einem abstürzenden Flugzeug ist besser als gar kein Bild. Bei Ereignissen stürmt jeweils eine wahre Welle von Fotos auf die Redaktionen ein. Hansi Voigt, Chefredaktor von 20min.ch, sagt: “Ist in der Schweiz irgendwo ein Tramunfall, bekommen wir fast sicher ein Bild davon. Bei einer Überflutungskatastrophe erhalten wir gegen 2000 Bilder. Ist jedoch an einem Tag nichts los, bleibt es bei einem oder zwei Fotos.”

Den Lesern wird für die Verwendung der Bilder ein Standardbetrag angeboten: Der “Blick”, der täglich mindestens ein Leserbild veröffentlicht, bietet 100 Franken für den Abdruck eines Bilds und kassiert dafür alle Rechte daran. “20 Minuten” bietet ebenso viel, offeriert jedoch, einen allfällig bei einem Weiterverkauf erhaltenen Erlös mit dem Fotografen zu teilen. Nur 50 Franken will espace.ch zahlen, die Internet-Plattform der “Berner Zeitung”. Für ein schönes Bild eines Sonnenuntergangs mag das angemessen sein, aber wer ein sensationelles Bild zu verkaufen hat, lässt sich kaum mit diesem Betrag abspeisen und versucht, das Maximum in Verhandlung mit der Redaktion herauszuholen.

Andere Zeitungen machen ihr Interesse an Leserbildern nicht publik. Eine Anfrage in der Bildredaktion der “NZZ” ergibt, dass es sozusagen nie vorkommt, dass Leser der “NZZ” ihre Bilder anbieten – so werden die Konditionen jedesmal neu ausgehandelt. Der “Tages-Anzeiger” bietet seinen Lesern für einen Abdruck in der Printausgabe den Betrag, der in der Regel für ein Archivbild bezahlt wird: 200 Franken.

Journalistische Gepflogenheiten sind Sache der Reporter. So bittet der “Blick” darum, “bei Aufnahmen von Personen die Privatsphäre zu respektieren”. Nicht ohne Grund, denn Leserreporter können aufdringlich sein und fotografieren auch mal bekannte Fussballspieler, die kurz austreten. Kritische Stimmen warnen davor, dass bei einem Unfall zuerst geknipst und dann geholfen werden könnte – die deutsche “Bild” zahlt immerhin 500 Euro für ein abgedrucktes Foto.

Hansi Voigt publiziert keine Bilder von Prominenten, die offensichtlich ungewollt abgelichtet wurden. Doch wichtig sind ihm Leserbilder schon. Und sie werden immer wichtiger, denn jeder, der ein Foto macht, ist auch ein Augenzeuge. Mit ihm klärt man die Umstände des Bilds. Veröffentlicht wird es, nachdem man eine zweite Quelle hinzugezogen hat.

Dieser Artikel erschien in redigierter Form in der „Sonntagszeitung“ vom 20.07.2008.

Ein Gedanke zu „Leserreporter werden wichtiger“

  1. Und so stürmen unzählige Private an Katasrtophen heran, die noch nie was von einer Ethik-Lektion oder Ähnliches gehört haben, keine Regeln haben oder Tabus (naja, professionelle Paparazzis sind wohl nicht besser) – es ist natürlich ganz gäbig für die Medien so.

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