Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Reden ohne Filter gehört zur Freiheit dazu

Vergangene Woche hat «Die Zeit» Privatnachrichten veröffentlicht, die Mathias Döpfner, CEO und Mitinhaber des deutschen Axel-Springer-Verlags, in den letzten Jahren im Glauben verschickte, dass sie zur privaten Kommunikation gehören und niemals veröffentlicht werden. Döpfner, der inzwischen um Entschuldigung gebeten hat, dass er mit seinen Worten ­«viele gekränkt, verunsichert oder verletzt habe», dürfte sich gefühlt haben wie Unternehmensgründer Axel Springer.

Dieser wurde nämlich in seinem eigenen Westberliner Büro vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR abgehört, wie das die 43minütige TV-Doku «Bespitzelt Springer! Wie die Stasi einen Medienkonzern ausspähte» von Tilman Jens 2009 hervorragend zusammenstellte. Die Stasi ging in ihrem Kampf gegen Verleger Axel Springer sogar soweit, ihn von 1968 bis 1970 im DDR-Fernsehen mit einer millionenteuren fünfteiligen TV-Serie von 600 Minuten Länge zu würdigen, in der er als Nichtsnutz, Verlierer und Nazi dargestellt wurde, und dazu als impotent und homosexuell.

Die Losung «Enteignet Springer» der protestierenden Achtundsechziger geht zurück auf DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht, der 1966 die Enteignung des Axel-Springer-Verlags forderte. Heute sind es die Journalisten der konkurrenzierenden Medien, die sich darum bemühen, Döpfner in schlechtem Licht darzustellen. Und die Losung #EnteignetSpringer kursiert auf Twitter. Warum, ist klar: Unter der Führung von Döpfner ist Springer neben der NZZ der einzige grössere deutschsprachige Medienverlag, der eine betont liberale Haltung einnimmt.

Viele sagen nun, ein Mann wie Döpfner hätte wissen müssen, dass seine Privatnachrichten im Zweifel nicht privat bleiben. Und es geradezu naiv war, gegenüber Freunden und Vertrauten ohne Filter vom Leder zu ziehen. Doch die Frage hat Implikationen für uns alle: Wenn ein CEO eines grossen Medienverlags intern nicht mehr kommunizieren kann, ohne dass er fürchten muss, seine Worte eines Tages in der Zeitung zu lesen, heisst das auch etwas für uns alle: Die Gedanken sollen nur noch im Kopf frei sein, und nirgendwo sonst.

Leben wir wirklich frei, wenn …

… jedes privat geäusserte Wort zum Abschuss in die Öffentlichkeit gezerrt werden kann?

… man für unreflektierte, in vermeintlicher Privatsphäre geäusserte Aussagen um Entschuldigung bitten muss?

… man nur noch zu Hause mit dem Ehepartner ohne Filter reden kann?

Ein Ende des Lebens ohne Filter wäre gefährlich. Denn die wirklich guten Ideen poppen oft erst dann auf, wenn man loslässt und die Kontrolle abgibt. Aufkommende Ideen nicht gleich zensiert, sondern zulässt. Sie treiben lässt und im Dialog ausprobiert. Sie durch Rückmeldungen verfeinert und verbessert. Und sie am Schluss dann, klarifiziert, publiziert.

Was Döpfner gemacht hat, wird von der Schweizer Bundesverfassung gleich mehrfach geschützt. «Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten», heisst es in Artikel 16. «Zensur ist verboten» und «Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet» hält Artikel 17 fest.

Döpfner hat um Entschuldigung gebeten, dass er gekränkt, verunsichert und verletzt hat. Und nicht, dass er die Meinungs- und Medienfreiheit genutzt hat. Richtig so.

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Belästigung bei den #MeToo-Experten

In der Schweiz gibt es vielleicht 10 000 bis 15 000 Menschen, die ihr Auskommen mit Journalismus bestreiten. Sie stellen gerade mal 0,25 Prozent der über 5,1 Millionen Erwerbstätigen. Doch Journalisten berichten überdurschnittlich oft über die eigene Branche. Weil sich narzisstische Journalisten gerne selbst bespiegeln, aber auch, weil über die Medien Macht und Einfluss ausgeübt wird.

So passiert das auch in der neusten Ausgabe des «Spiegels», in der eine langjährige Redaktorin des wöchentlich erscheinenden «Magazins», Anuschka Roshani, über dessen langjährigen Chefredaktor, Finn Canonica, auspackt – worauf Blick, Zeit, NZZ, Süddeutsche, und viele mehr sofort ausführlich berichten.

Wie aus der noch am Wochenende veröffentlichten Zusammenfassung des von Arbeitgeberin Tamedia in Auftrag gegebenen Untersuchungsberichts von Mai 2022 herauskommt, hatte sich Anuschka Roshani im November 2020 per Blindbewerbung beim Verleger auf den Job ihres Chefs beworben – diesen aber nicht erhalten. Später folgten längere Krankschreibungen beider Beteiligten. Roshani arbeitete von 2002 bis 2022 für «Das Magazin», Canonica schrieb seinen ersten «Magazin»-Text 1997 und war Chefredaktor von 2007 bis 2022.

Dass sich jemand wie Finn Canonica so lange in der Chefposition halten konnte, hat auch mit seinem Umfeld zu tun. Die meisten der nun öffentlich gegen ihn geäusserten, durchaus nicht harmlosen, wohl aber auch nicht strafbaren Vorwürfe sind seit vielen Jahren bestens bekannt, in der Redaktion, aber auch weit darüber hinaus. Wie bei ähnlich gelagerten Fällen kursierten entsprechende Geschichten über viele Jahre hinweg.

2017 versuchte etwa WOZ-Journalist Andreas Fagetti, der Sache im Branchenmagazin «Schweizer Journalist» auf den Grund zu gehen, doch niemand redete: «Keine Quelle wollte offen dazu stehen». Genauso ging es auch mir selbst, als ich 2015 als Medienjournalist versuchte, die Vorwürfe gegen Canonica zu erhärten: Weil niemand bereit war, die Kritik öffentlich zu äussern, kam die Geschichte nicht zustande. Auch die öffentliche Anklage von Roshani kommt nach 18 Jahren Zusammenarbeit – was ein fürchterlich langer Leidensweg ist – reichlich spät.

Dass sich dieser Fall der Belästigung in einer Redaktion abspielt, die Woche für Woche als moralische Instanz in allen Fragen des korrekten Zusammenlebens der Geschlechter auftritt, irritiert. Es ist der publizistische Vatikan für #MeToo-Fragen, der von #MeToo-Vorwürfen erschüttert wird. 2021 erhielten zwei «Magazin»-Autoren den Zürcher Journalistenpreis für die «Magglingen-Protokolle», eine Recherche über missbrauchte Kunstturnerinnen.

Wie die Vorgesetzten von Canonica in der Verantwortung stehen und seit wann sie was gewusst haben, ist für die Öffentlichkeit schwierig zu beurteilen. Der ständige Unfrieden in der Redaktion war ihnen aber durchaus bekannt. Gemäss Fagetti sollen sie etwa 20 000 Franken ausgegeben haben, nur um abzuklären, ob ein Redaktor den Computer von Chefredaktor Canonica gehackt hatte. Ergebnis: Das war nicht der Fall. Dass sich Tamedia am Ende sowohl von Canonica als auch von Roshani trennte, ist wohl richtig. Doch der Entscheid kommt viel zu spät.

Der vielleicht zäheste und mutigste Journalist des Westens sitzt währenddessen weiterhin im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Seit bald vier Jahren, ohne Erklärung und Anklage: Julian Assange. Während Journalisten Nabelschau betreiben, geht er nach und nach vergessen.

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Realität wird mit KI neu definiert

Bereits 2014 mahnte Unternehmer Elon Musk, mit Künstlicher Intelligenz (KI) nicht leichtfertig umzugehen: «Ich denke, wir sollten sehr vorsichtig mit künstlicher Intelligenz sein. Wenn ich raten müsste, was unsere grösste existenzielle Bedrohung ist, dann wahrscheinlich das.»

Womöglich dachte Musk hier eher langfristig, und stellte die Gefahr einer Selbstauslöschung der Menschheit durch KI-Technologien ins Zentrum. Die Gefahr für den einzelnen Bürger durch KI stellt sich heute aber zuerstmal anders dar.

Er wird überwacht und manipuliert, und das zumeist ohne, dass er es bemerkt. Die meisten bewegen sich ja weiterhin ziemlich ungeschützt im Internet, was es Firmen, Geheimdiensten oder Kriminellen sehr einfach macht, sie in die gewünschte Richtung zu nudgen, zu manipulieren, und Wissensvorteile über sie zu erlangen.
Der Ausweg besteht darin, dass Kryptografie breiter eingesetzt und genutzt wird. Beispielsweise mit Werkzeugen wie Threema, Signal, HTTPS oder uBlock (unser Dossier zum Thema).

Der Normalnutzer sieht sich bezüglich Wissen im Hintertreffen. Während die Big-Tech-Firmen (und damit auch die Regierungen) von Jahr zu Jahr mehr über ihn wissen, weiss er von Jahr zu Jahr weniger über sie. Es ist ein Ungleichgewicht von Wissen und damit auch von Macht entstanden, wie es zuletzt vor der Reformation existierte.
Der Ausweg besteht darin, dass der Quellcode von allem, was programmiert wird, für alle einsehbar ist: Open Source Everything heisst die Lösung. So wie die Bibel für alle zugänglich und lesbar wurde, muss auch der Quellcode für alle zugänglich und lesbar werden. Das hilft dem Normalnutzer auf kurze Frist wenig. Doch auf lange Frist wird ihn diese Transparenz auf Augenhöhe zurückbringen.

Der dritte Punkt betrifft das Verschwimmen von dem, was wir als Realität wahrnehmen. Dieses Video mit Schauspieler Morgan Freeman, publiziert im Sommer 2021, zeigt sehr schön auf, was bereits möglich ist mit Deep Fakes, also der Vorspiegelung einer Realität, die so nicht existiert. Es wird nicht mehr lange dauern, bis solche Methoden aktiv für konkrete politische oder wirtschaftliche Ziele eingesetzt werden.
Der Ausweg besteht darin, dass die Realität überprüft und so alle Zweifel ausgeräumt werden können – also im vorliegenden Fall die Frage beantwortet wird, ob in diesem Video der reale Morgan Freeman zu sehen ist oder nicht. Frei zugänglich abgelegte Informationen auf der Blockchain – ein Konzept, das 2009 mit Bitcoin in die Welt gekommen ist – werden bei dieser Prüfung eine wichtige Rolle spielen.

Mit der KI-Software ChatGPT gibt es nun einen Gesprächspartner, der jede mögliche Frage innert Sekunden beantwortet – nicht immer richtig, aber oft sehr brauchbar und erstaunlich konzise. Diese neue Welt steht vor der Tür, und sie wird uns alle überfordern, aber auch unendlich bereichern. Die Macht, die jetzt noch in den Händen weniger Programmierer, Konzerne und Regierungen liegt, muss verteilt werden. Nur eine dezentralisierte, föderalisierte und verschlüsselte Welt bringt die Macht zurück zum Individuum.

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Der staatsfinanzierte Klimaschreck

Der Kanton Waadt hat letztes Jahr 333 Millionen Franken an die Universität Lausanne bezahlt, andere öffentliche Körperschaften 184 – was zusammengenommen rund 77 Prozent der Gesamteinnahmen von 675 Millionen Franken ausmacht (hier der Jahresbericht als PDF). Der Steuerzahler kommt also für mindestens drei Viertel von allem, was die Uni Lausanne macht, auf.

Ebenfalls übernehmen muss der Steuerzahler die Kosten, die letzten Mittwoch dafür angefallen sind, um die angeklebte Hand von Julia Steinberger (Bild) von einer Berner Autobahnausfahrt zu entfernen. Die Professorin der Uni Lausanne beteiligte sich so am Klimaprotest der radikalen Gruppe «Renovate Switzerland». Professorin Steinberger, die sich in ihrem Twitter-Profil @jksteinberger als «ökosozialistischen Blaustrumpf» bezeichnet, ist die Tochter von Physik-Nobelpreisträger Jack Steinberger. Bei der Uni Lausanne hat sie eine Professur für soziale Folgen des Klimawandels inne und verdient dabei um die 200 000 Franken Jahreslohn, so wie andere ordentliche Professoren an Schweizer Unis auch.

Sollen Professoren eine eigene Meinung haben dürfen, sollen sie an einer Demonstration teilnehmen dürfen? Freilich. Auch wenn sie ihren Lohn von staatsfinanzierten Stellen beziehen, sind sie freie Bürger, die sich demokratisch beteiligen dürfen. Die sie finanzierende Öffentlichkeit darf aber genau hinschauen, was für Werte sie verbreiten.

In einer öffentlichen Diskussion, organisiert 2020 von der ökoradikalen Gruppe Extinction Rebellion UK, sagte Steinberger (ab Minute 37:45): «Die rechtsgerichteten Regierungen, die neoliberalen Regierungen, hören nur auf Gewalt. Sie hören nur auf den sozialen Zwang von Experten, Medien, Öffentlichkeit und Aktivisten. Das ist das Einzige, was sie bewegen kann. Und das ist kein netter Zwang, das ist Schreien, Drängeln, Schubsen, Brüllen und Sagen: Wenn ihr jetzt nicht schnell handelt, werden wir euch das Leben zur Hölle machen.»

Die Frage sei erlaubt: Wir bezahlen Professoren, die dazu aufrufen, herumzubrüllen und andere zu schubsen? Die das Leben von demokratisch gewählten Regierungen zur Hölle machen wollen? Die offenbar nur noch einen Ausweg sehen – die Sprache der Gewalt?

Die selbsternannten Aktivisten für Flora, Fauna und Klima scheinen die Geisteshaltung von Professorin Steinberger verstanden zu haben und drängen sich weltweit in die Schlagzeilen: In dem sie im Supermarkt Milch ausleeren. In dem sie Tomatensuppe über ein Gemälde von Vincent van Gogh schütten. Oder eben, in dem sie den Alltag von Normalbürgern mit einer destruktiven Aktion behindern. Aufkommen muss der Bürger für beides: Für die Professorin, die sich auf der Strasse festklebt. Und für die Polizei, die sie wegträgt.

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Die Fronten verhärten sich

Das offene Gespräch, der freie Austausch zwischen Lagern, die unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt haben, ist hochgradig gefährdet in diesen Tagen.

Es ist in der privaten Kommunikation zu spüren: Ich wurde in den letzten Wochen auf dem Kommunikationsdienst Twitter sowohl von Tages-Anzeiger-Journalist Marc Brupbacher als auch von Comedian Mike Müller geblockt. Nicht weil ich unhöflich oder unsachlich war. Sondern weil ich im Dialog eine andere Sichtweise vertreten habe.

Es ist in Geschäftsbeziehungen zu spüren: Das vom kürzlich verstorbenen Unternehmer Walter Reist ins Leben gerufene Unternehmerforum Lilienberg in Ermatingen hat den neuen Internet-Radiosender Kontrafunk äusserst kurzfristig wieder ausgeladen – gerademal zwei Wochen vor einer gebuchten Tagung. Offenbar ohne genauere Angaben teilte das Management mit, man befürchte, dass die Veranstaltung «den reibungslosen Geschäftsbetrieb, die Sicherheit und den Ruf des Lilienberg» gefährde.

Es ist auf globaler Ebene zu spüren: Nicht nur die Kriegsnationen Ukraine und Russland reden nicht mehr miteinander, auch der Dialog zwischen den USA und Russland ist abgebrochen. Die Intensität der gegenseitigen Abneigung wird auf allen Ebenen stärker – unter Druck kommen bereits Personen, die sich darum bemühen, die Position der anderen Seite auch nur zu verstehen. Du bist ein Putinversteher? Du bist ein Selenskiversteher? Pfui!

Empathie, also die Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinzuversetzen und die Welt aus ihrer Sicht zu sehen, scheint aus der Mode geraten zu sein. Wir lesen keine Romane mehr, die zur Herzensbildung beitragen und damit das Einfühlungsvermögen stärken, sondern wir verbringen unsere Zeit auf Big-Tech-Portalen, wo wir mit Aufmerksamkeit belohnt werden, wenn wir Streit suchen und andere angiften.

Kann man miteinander reden und sich ineinander einfühlen, ist Uneinigkeit gar kein Problem. Richtig angepackt kann sie sogar lohnenswert sein. US-Schriftstellerin Ayn Rand schrieb dazu in ihrem Buch «Für den neuen Intellektuellen»: «Bin ich mit einem rationalen Menschen uneinig, lasse ich die Wirklichkeit den letzten Schiedsspruch fällen; bin ich im Recht, wird er eines Besseren belehrt; bin ich im Unrecht, werde ich eines Besseren belehrt; einer gewinnt, doch beide profitieren.»

Das umzusetzen mag herausfordernd sein in der Praxis. Aber gar nicht mehr miteinander zu reden, macht uns jedenfalls sicher nicht klüger.

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