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Jeder Zweite ein Faschist

«Es ist wieder Zeit, sein Lager zu wählen: Freiheit oder Faschismus.» Dieser Satz stammt nicht aus dem Lager der Coronamassnahmengegner, sondern von Constantin Seibt, Autor von Republik.ch. Dem gemäss soll es im Kampf der Systeme nur noch zwei Lager geben. Und nichts dazwischen. Natürlich ordne ich mich ohne zu zögern dem Lager «Freiheit» zu. Wie alle anderen Liberalen auch. Doch wenn nur zwei Lager existieren, wer gehört denn zu den Faschisten?

Wladimir Putin also, der müsste einer sein. Und dann natürlich sein engerer Beraterstab. Und das russische Militär – die Freiheit haben die ja wohl nicht gewählt. Die Zustimmung der russischen Bürger zu Putin ist von 63 Prozent im November 2021 auf 83 Prozent im März 2022 angestiegen – besteht die Hoffnung, dass noch wenigstens 17 Prozent der Russen im Lager der Freiheit stehen? Oder sind es nicht doch ein paar mehr: Bürger, die von der Propaganda geblendet sind oder etwas anderes als Zustimmung zu Putin nicht zu äussern wagen? Zu den Faschisten gehören gemäss Seibt («die Republikaner sind bereits eine faschistische Partei») aber offenbar auch die rund 35 Millionen Mitglieder der amerikanischen Republikanischen Partei. Gefährdet sei eigentlich die ganze USA: «Wenn kein Wunder passiert, ist Amerika in naher Zukunft im Lager der Faschisten.»

An sich gehe ich mit Seibt einig: Faschisten soll man Faschisten nennen. Doch die Vorstellung einer Welt, in der rund die Hälfte aller Bürger Faschisten sind, deckt sich nicht mit meiner Erfahrung. Indifferente Menschen ohne klare Haltungen, die der einen Seite recht geben, und der anderen Seite aber auch, kenne ich hingegen viele. Als Beispiel dafür könnte man die neugewählte Waadtländer Staatsrätin Valérie Dittli («Die Mitte») nennen. Sie vollbrachte das Kunststück, sowohl bei Progresuisse als auch bei Autonomiesuisse Mitglied zu sein. Während die eine Organisation gegründet wurde, um das Rahmenabkommen durchzubringen, wurde die andere Organisation gegründet, um das Rahmenabkommen zu bodigen. Welchem Lager ist nun Valérie Dittli zuzuordnen?

Schwierig wird es, wenn jemand nur noch Befürworter einer von ihm selbst definierten Freiheit als vollwertige Menschen akzeptiert – und alle anderen als Faschisten abkanzelt und entwertet. Dieses Problem besteht bei allen, die dies machen, seien es sozialistische «Antifaschisten» oder Coronamassnahmenkritiker wie Nicolas Rimoldi, der den Satz «Wer das #Covid-Zertifikat gutheisst, bekennt sich zum Faschismus» getwittert hat. Stimmte das, wären rund 60 Prozent der Schweizer Stimmbürger bekennende Faschisten. Das sind sie aber nicht.
 
Ich kenne und mag sowohl Constantin Seibt wie auch Nicolas Rimoldi. Wenn sie jedoch die halbe Welt als Faschisten darstellen – als überzeugte Anhänger einer nationalistischen, antidemokratischen, rechtsradikalen Bewegung – verwässern sie einen Vorwurf, der für echte Faschisten reserviert sein sollte. Es ist eine Verallgemeinerung, wie sie gerade auch die russische Staatspropaganda verwendet, wenn sie die Ukraine als einen von Nazis unterwanderten Staat darstellt, den Putin vom Faschismus befreien müsse.

Es ist nicht jeder Zweite ein Faschist. Auch nicht jeder, der die Frage stellt, was Putin dazu geführt hat, einen Krieg anzuzetteln. Eine Welt mit mehr als zwei Lagern ist denkbar. Abrüstung ist auch in der Sprache möglich.

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Ich beginne zu glauben, dass die Linke denkt, dass sie nichts mit der Krise zu tun hat

Ok, der Titel braucht vielleicht eine Erklärung.

Am Anfang steht ein Satz von Charles Moore, zitiert von Constantin Seibt, mehr hier: „Ich fange an zu denken, dass die Linke vielleicht doch Recht hat.“ Das nahm auch Frank Schirrmacher auf („Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“), gekontert von Clemens Wergin („Hatte die Linke doch Recht?“). Und dann schrieb Michalis Pantelouris am Sonntag: „Ich beginne zu glauben, dass die Rechte tatsächlich langsam lernt, dass die Linke recht hatte.“

Also wie jetzt, wir stehen am Rande einer Krise und diskutieren darüber, dass nun auch die Rechten einsehen, dass in Wahrheit die Linke recht hat?

Kein Geld mehr

Keine Frage, der Kapitalismus hat seine Schattenseiten, das kann und soll immer wieder beleuchtet und diskutiert werden. Tatsächlich wird das in den Medien Tag für Tag gemacht. Welchen öffentlich-rechtlichen Sender man auch einschaltet, irgendwo beutet immer ein bösartiger Unternehmer seine Mitarbeiter aus – wenn nicht im „Tatort“, dann in einem der Polit- und Gesellschaftsmagazine. Offenbar kann sowas auch ein komplett durchregulierter Staat wie Deutschland, der solche Missstände mit einer Unzahl von Gesetzen zu unterbinden versucht, nicht verhindern. Mein Mitgefühl gilt allen, die dazu gezwungen sind, unter unwürdigen Bedingungen zu arbeiten.

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Ein Staat, den wir uns nicht leisten können

Über 150 Tweets weisen derzeit auf den Artikel „Der rechte Abschied von der Politik“ von Constantin Seibt hin, mehrheitlich zustimmend.

Screenshot Rivva

Ich gehe einig mit der Unfähigkeit der meisten Politiker, vernünftige Regulierungen zu verfassen, mit der Unfähigkeit der meisten Köpfe, Orientierung zu geben und mit dem Ärger über die mit Optimierern ausgestatten natürlichen und juristischen Personen, die es sich leisten können, kaum oder gar keine Steuern zu zahlen.

Ich möchte aber einige Punkte hinterfragen, so sehr ich Seibt als einen der besten Schreiber der Schweiz schätze:

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Schweizer Presse in der Schweizer Presse

„Die einzige Chance der Schweizer Presse auf Erneuerung wäre hier im Saal eine Bombe. Wenn wir alle zusammen weg wären, dann ginge wirklich eine Welle von Innovation durch die Schweizer Medienhäuser.“

Constantin Seibt zitiert anlässlich des Jahreskongresses des Verbandes Schweizer Presse im „Bund“ einen „jüngeren Verlagsmanager“.

„Das tat richtig weh im Kopf.“

Der Kleinreport hält die Aussage von Verleger Michael Ringier, das Internet sei ein rechtsfreier Raum, zurecht für „völligen Quatsch“.

„Selbst tragen die Kurtisanen die Kostüme der Professionalität, der Objektivität, der Neutralität. Oder sie geben vor, diese zu tragen. In Wahrheit gehen sie ebenso nackt wie der Kaiser.“

Verteidigungsminister Ueli Maurer in einer Rede am Jahreskongress des Verbandes Schweizer Presse über die Schweizer Presse.

„Ich bin jetzt bald neun Monate im Amt und wurde noch nie wirklich kritisiert.“

Nochals Maurer, in einem darauf folgenden Interview im „Sonntag“.

„In unserer Branche aber reden die Leute über Twitter, Facebook und die Blogs, ohne zu wissen, was ein Retweet, eine Facebook-Gruppe oder ein Blog-Feed ist.“

Norbert Neininger macht’s vor und freundet sich offensiv mit dem Internet an. Wer kommt nach? Kommt jemand nach?

Soweit einige Zitate der letzten Tage, die ich einfach mal so aufschreiben wollte.

Als Tipp: Erneuerung kommt nicht einfach so. Man muss was ändern.