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Am Vorabend der tatsächlichen Krise

Es meinen ja viele, die Finanzkrise ab 2007 sei das Tal der Tränen gewesen, aus dem wir jetzt dann bald, wenn nur alle gemeinsam anpacken und mithelfen, wieder rausfinden. So jedenfalls wird es von Politikern aller Lager heruntergebetet, von Verbandspräsidenten, von CEOs, von NGOs, von allen möglichen Leuten, die in der Verantwortung stehen. Die Führungsschicht, die sogenannte Elite, gibt sich tapfer und ruft Durchhalteparolen aus. Nichts neues, das war im Krieg nicht anders. Wenn nur die Manager nicht so gierig wären und die Deutschen nicht so geizig mit den Griechen, wenn man nur die Steuern heben oder senken könnte, wenn nur alle endlich vernünftig werden, dann, ja dann könnte es bald wieder aufwärts gehen.

Von mindestens einer Branche, den Printverlagen, weiss man, dass solche verbalen Beruhigungspillen, angeblich vertrauensbildende Massnahmen, Quatsch sind. Nicht wenige der Aussagen von Aushängeschildern der Branche, die den Einfluss des Internets auf das eigene Geschäft verharmlost haben, sind längst wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Und es ist abzusehen, dass es bald noch viel schlimmer kommen wird für viele Journalisten und Verlagsmitarbeiter. Man weiss das, weil man mit der Sachlage ganz gut vertraut ist und nun schon seit Jahren den Bedeutungsverlust, den Schrumpfungsprozess, die Aufgabe von Werten mitverfolgt.

Mit Deutschland, mit Europa, mit dem Westen wird es genauso kommen. Nicht alle, aber viele Einwohner des Westens sind träge und bequem geworden. Sie leben in aufgeblähten, ineffizienten, teilweise sinn- und nutzlosen Strukturen. Obwohl die Bürger mit hohen Steuern belastet werden und dem Staat so ein regelmässiges Einkommen garantieren, reichen diese (zusammengezählt gigantischen) Beträge den gewählten Politikern nicht aus, um vernünftige staatliche Strukturen zu schaffen. Sie verbrauchen nicht nur jedes Jahr alle zugesprochenen Beträge, sondern viel mehr dazu.

Staatsverschuldung Deutschland
Bild: Screenshot aus dem PDF „Schulden des öffentlichen Gesamthaushaltes 2008“ des Statistischen Bundesamts Deutschland (für eine grössere Version bitte auf das Bild klicken)

Erinnert sich jemand an den Skandal mit dem Namen „Cross-Border-Leasing“? Lokalpolitiker in Bremen, Halle, Ludwigshafen, Rostock, Köln, Berlin, Düsseldorf, Jena, Bielefeld, Essen, Dresden, Bonn, Kassel, Darmstadt, Herford, Wittenberg, Nürnberg, Konstanz, Zwickau, Duisburg, Kaiserslautern, Heidenheim, Magdeburg, Ulm, Mannheim und anderen Städten machten Straßenbahnen, Kläranlagen, Messehallen, Krankenhäuser oder Schulen zu Geld, in dem sie diese für zum Teil 99 Jahre an US-amerikanische Investoren überschrieben.

Dieses Verhalten resultiert in einer Aufhäufung von kaum noch fassbaren finanziellen Verpflichtungen, die teils anderen westlichen Staaten, teils den aufstrebenden Staaten und Industrien des nahen und fernen Ostens geschuldet werden. Es stellt sich die Frage, gegen was Bürger noch demonstrieren wollen, wenn alles verhökert wurde. Die Schuldenuhr (twitter.com/schuldenuhr) zählt derzeit über 21’000 Euro Schulden pro Kopf. Pro Sekunde wachsen sie um 4’481 Euro.

Alarmiert schnürten verschiedene europäische Regierungen in den letzten Wochen „Sparpakete“. Wie Gerhard Schwarz in der NZZ vom 13. Juni 2010 feststellte, hat keines von ihnen auch nur den Namen verdient. Denn ein Sparpaket, das eine solche Bezeichnung verdient, schafft Rücklagen für schwierige Zeiten, und das bei einer positiven Bilanz. Tatsächlich aber präsentieren alle Sparvorschläge nur Rechnungen, bei denen sich die Regierung vornimmt, in Zukunft weniger neue Schulden zu machen als bisher. Der NZZ gemäss führt nicht eines dieser „Sparpakete“ zu einer ausgeglichenen oder gar positiven Rechnung. Und wie wir alle wissen, werden beschlossene Einsparungen durch unvorgesehene Ausgaben schnell wieder gegenstandslos. Grade problematische Zeiten bescheren uns viele angeblich „unvorhersehbare Ausgaben“.

Auch die schwarz-gelbe Regierung in Deutschland stellte ein halbherziges Sparpaket vor, das tatsächlich die Frechheit hatte, Abstriche am (rund die Hälfte aller Ausgaben ausmachenden) Sozialstaat vorzunehmen. Und was ist die Reaktion? Unzufriedene Bürger demonstrieren in Berlin. Und mindestens einer von ihnen fügt dabei zwei Polizeibeamten „schwere Brand- und Fleischverletzungen“ zu (Video).

Die Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt der „Spiegel“, machen Druck gegen die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP und wollen sie zum „Aufhören“ bringen. Aber was dann? Wird eine Linkskoalition den dringend benötigten Staatsabbau durchsetzen? Natürlich nicht.

Gibt es denn keine Alternative zum sparen? Offenbar doch:

Klar gibt es diese Alternative. Enteignungen entziehen aber dem Modell der Marktwirtschaft die Grundlage und öffnen somit der vor zwanzig Jahren gescheiterten sozialistischen Staatsform weit die Tür. Mit dem Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz hat Deutschland Enteignungen bereits gesetzlich verankert. Das vereinte Deutschland geht also einen Weg, der schon die DDR in die Auflösung trieb. Heraus kommt ein Staat als aufgeblähter Riesenapparat, der seine Bürger in möglichst jedem Lebensbereich kontrollieren möchte. Mit Galeeren von Funktionären, die ein Grundmisstrauen den eigenen Bürgern gegenüber hegen.

Das wird immer wieder scheitern, und zwar an zwei Punkten: 1. An der Freiheitsliebe der Bürger, die irgendwann durchbricht. 2. An der den Staat finanzierenden Wirtschaft, die unter einer massiven Steuerbelastung und Staatskontrolle schrumpft und flüchtet.

Ein weiteres Rezept heisst Keynesianismus, wie ihn der Journalist Robert Misik in seiner Videokolumne mit dem zynischen Titel „Jupie, wir sparen uns kaputt!“ oder Heiner Flassbeck, ein Ex-Staatssekretär des Finanzministeriums, in einem Interview propagieren. Also auch dann staatliche Investitionen zu tätigen, wenn gar keine Mittel dazu vorhanden sind. Also das zu tun, was zum Schuldenberg geführt hat (und ihn weiter erhöhen wird). Und einfach darauf zu hoffen, dass die Gläubiger weitere Gelder zur Verfügung stellen, vielleicht irgendwann ganz auf ihre Forderungen verzichten werden. Die Gläubiger haben das Geld ja freiwillig verliehen, warum also zurückzahlen? Auch diese Lösung setzt irgendwann das Recht, Eigentum zu besitzen, zu behalten, zu verleihen und auch wieder zurückzuerhalten, also den Grundpfeiler der Marktwirtschaft, in Frage.

Ökonom Peter Schiff sagte dem „Handelsblatt“, dass er Keynes für Nonsens halte und begründete das so:

Je mehr Schulden wir aufhäufen, umso größer wird das Problem. Im Grunde läuft es wie in einem riesigen Schneeballsystem, wie bei Madoff: So lange man uns immer wieder Geld leiht, passiert nichts. Sobald die Unterstützung aber ausbleibt, wird der nächste Abschwung noch heftiger als der jüngste. Die Rekordpreise beim Gold zeigen eine Stagflation an. Wenn wir nicht aufhören, einen schuldenfinanzierten Staatsapparat zu vergrößern, werden Investoren bald auf den Kollaps der Dollar-Zone wetten.

(…) Die US-Wirtschaft wird sich niemals erholen, so lange wir nur künstlich stimulieren. Sonst müsste Simbabwe heute ein reiches Land mit hohem Lebensstandard sein, weil sie wie verrückt stimuliert haben. Wir brauchen nicht noch mehr Schulden, um in den USA noch mehr zu konsumieren. Wir müssten statt dessen mehr produzieren und unsere Ersparnisse zurückbauen.

Ich weiss nicht, wie es anderen geht, aber auf mich machen die westlichen Regierungen den Eindruck von Spielern, die zitternd und mit kaltem Schweiss auf der Stirn um 5 Uhr morgens am Pokertisch sitzen. Jedes von den Medien gepushte Thema wird zur „Chefsache“ gemacht. Um sich nichts vorwerfen zu lassen, arbeiten die Politiker Tag und Nacht und reisen wie Jet-Setter um die Welt. Sie hetzen von einer Konferenz zur nächsten, halten eine Rede nach der anderen und nehmen dazwischen diesen und jenen Preis entgegen oder ehren mal die oder jene. Politiker Roland Koch überraschte viele mit seinem plötzlichen Rückzug aus der Politik, den er nur vage begründete. Hat er vielleicht nur das Rettungsboot eines sinkenden Schiffs bestiegen, um frühzeitig und sicher das Festland zu erreichen?

Nun gut, und wann soll jetzt diese andere Krisen in den Schatten stellende Krise eintreffen? In zwei Monaten? In zwei Jahren? In zwanzig Jahren? Vielleicht sogar im Apokalypse-Jahr 2012? Man weiss es nicht. Und es mag gut sein, dass alles noch eine Weile weiter läuft wie bisher. Ein harter Aufschlag ist aber absehbar, das schreibt auch Richard David Precht in einem „Spiegel“-Essay vom 28. Juni:

Wie ein Dinosaurier torkelt der Staat seinem evolutionären Ende entgegen. Den baldigen Meteoriteneinschlag ahnt er, aber er hat ihm nichts entgegenzusetzen: nicht der Schuldenexplosion, der er mit Schönheitskosmetik begegnet, nicht der immer größeren Kluft zwischen Arm und Reich, nicht der Versteppung der Kommunen, nicht der psychischen Umweltverschmutzung durch die Werbung, ganz zu schweigen von den Gefahren des Klimawandels. Die ökologische, monetäre und soziale Kreidezeit nimmt er als gegeben hin.

Am Schluss guckt dann wieder die schwäbische Hausfrau aus dem Fenster, die ihre Spätzle noch selber macht und nicht über ihre Verhältnisse lebt. Und winkt.

Das Problem ist: Die schwäbische Hausfrau hat längst graue Haare und ein künstliches Gelenk. Ihr Mann ist im Pflegeheim. Ihre Kinder sind dem Rentenalter nahe. Und die Enkel wohnen in Berlin, wollen nicht heiraten und kriegen nur Verträge auf Zeit. Das ist Deutschland 2010. Das ist der Westen 2010.

Dieser Artikel erschien auch auf „Carta“.

480’000’000’000 geheime Euro

Vor der Bundestagswahl 2009 in Deutschland (4)

Deutsche Parlamentarier dürfen über einen Betrag, der doppelt so gross ist wie der gesamte Bundeshaushalt, nicht entscheiden und werden auch nur sehr spärlich informiert. Es geht um 480 Milliarden Euro an direkten Hilfen und Bürgschaften. Stattdessen droht ihnen eine Gefängnisstrafe, sollten sie Informationen, die sie darüber erfahren, publik machen:

Entmachtet hat sich das Parlament selbst, im Eilverfahren während der Panik der Finanzkrise. Mit Stimmen von CDU, SPD und der FDP hat sie die Verantwortung am 17. Oktober 2008 an den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) ausgelagert.

Es liegt also nahe, eine Partei zu wählen, die sich für die Bürgerrechte einsetzt. Die gewählte Staatsform nennt sich ja immer noch Demokratie.

Nein, der Kapitalismus ist nicht tot

Liegt der Kapitalismus, die Marktwirtschaft in den letzten Zügen? Haben die Kritiker, die schon immer gesagt haben, das gehe nicht auf, recht? Darauf könnte man kommen, wenn man Berichte zur Finanzkrise durchliest. Aber das ist natürlich Blödsinn.

Als Laie eine Meinung zur Finanzkrise zu haben, sollte man sich gut überlegen. Schnell mal wird einem nahegelegt, dass man davon ja keine Ahnung hat und besser mal den Mund halten sollte. Doch nicht nur der Laie hat keine Ahnung, auch der Anleger (der ja wissen sollte, was mit seinem Geld geschieht) und der Politiker (der ja wissen sollte, wofür er Steuergelder spricht) überblicken die Lage nicht, selbst den Finanzexperten, den Wirtschaftsjournalisten, den Börsenanalysten ist alles zu kompliziert geworden. Allerdings: über die Klimakatastrophe, über das Wetter, über die Existenz Gottes plaudern auch alle frohgemut, ohne einen Überblick zu haben. Also, keine Frage, auch der Laie darf und soll zur Finanzkrise zu Wort kommen.

Kapitalismus
(CC Flickr Martin Röll)

Finanzkrise vernichtet 1 400 000 000 000 Dollar„, schrieb welt.de kürzlich. Es werden sicher noch viel mehr werden. Aber was heisst schon vernichtet? Es waren Annahmen von Börsenhändlern, die vernichtet wurden. Und von vielen anderen Leuten, die ihr Geld irgendwie und irgendwo anlegten. Sie dachten, ihr Geld sei „sicher“. Es braucht schon einen Peter Sloterdijk (nzz.ch), der die Panikmacher wieder etwas herunterholt:

Seriöse Leute behaupten, dass von den realen Vermögenswerten gar nichts verschwunden ist. Es sind keine Schiffe gesunken, es müssen jetzt lediglich die surrealen Bewertungen revidiert werden, die während der letzten zehn Jahre die meisten ökonomischen Transaktionen verzerrt haben, insbesondere bei Betrieben, Immobilien und Kunstwerken. Die riesenhaften Pseudovermögen, die dabei «angehäuft» bzw. an der Börse fingiert wurden, sind auf einen sinnvollen Massstab zurückzukorrigieren. In der amerikanischen Hypothekenkrise sind ja die Häuser nicht verschwunden. Die berühmten Realwerte sind alle noch vorhanden. Es spricht vieles dafür, dass sich die Dinge nach der Anpassung des aufgeblähten Geldvolumens an die realwirtschaftliche Basis wieder einspielen. Es gab einfach zu viel Geld, das blosses Spielgeld war, daher gab es massenhaft illusorische Wertberechnungen und haltlose Reichtumseinbildungen.

Eine klassische Blase, wie sie Menschen immer wieder erzeugen und die irgendwann platzt. Jeder hat dem anderen vertraut, niemand wollte sagen, dass alles hochgeschaukelt ist, irgendwann wurde der Druck zu hoch und einiges stürzte zusammen. Neu daran ist nur, dass sich der Staat einmischt.

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100 000 000 000 m² weniger Wald pro Jahr

10.000 m² sind ein Hektar. Und etwa 10 Millionen Hektaren Wald gingen dieses Jahr weltweit an Wald verloren, also 100 000 000 000 m². So sehen die Zahlen aus, die die Website worldometers.info nüchtern und in Echtzeit aufbereitet.

Der Grund dafür natürlich der sich massiv ausbreitende Mensch, der sich mit mehr als doppelt so viel Geburten wie Todesfällen ausbreitet. Trotzdem sind heute schon 15.000 Menschen an Hunger gestorben, was sich schneidet mit den mehr als einer Milliarde Menschen, die an Übergewicht leiden. An Unterernährung hingegen leiden fast eine Milliarde. Ah ja, an der Finanzkrise leiden auch gerade einige. Man könnte das ja fast vergessen, wenn man die letzten Wochen die Medien aufmerksam verfolgt hat.