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6 vor 9 – ein Blick zurück

Warum höre ich nach fast neun Jahren auf mit der wochentäglichen Linkrubrik «6 vor 9» auf Bildblog.de? Weil die Auswahl von Links Alltag geworden ist. Weil die Zukunft des Journalismus immer noch nicht geklärt ist. Und weil es eben kein Kinderspiel ist, Medienkritik jeden Morgen fehlerfrei zusammenzufassen.
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Interview mit Frau Freitag

Unter dem Namen Frau Freitag schreibt eine Gesamtschullehrerin eines der unterhaltsamsten deutschsprachigen Blogs. Nun sind die Blogeinträge auf fraufreitag.wordpress.com auch als Buch erschienen.

Warum ich das, was Frau Freitag macht, bemerkenswert finde, habe ich vor einem Jahr schon mal aufgeschrieben. Weil ich wissen wollte, wer sich hinter der Figur verbirgt, fragte ich Frau Freitag, ob ich ihr ein paar Fragen stellen darf. Ich durfte.

* * *

Frau FreitagWas war der Auslöser, um das Weblog zu starten?
Als ich nach Lehrerblogs suchte, habe ich nur sehr didaktisch angelegte gefunden. Mein Freund hat mir die Seite dann bei wordpress.com eingerichtet. Ein Jahr lang blieb diese unbenutzt. Irgendwann sagte ein Lehrerfreund: “Fang mal an, sonst wird das zur Lebenslüge.” Geschrieben hab ich schon früher.

Warum der Name „Frau Freitag“?
Weil Freitag so ein schöner Tag ist. Mit dem Freitag beginnt das Wochenende. Ursprünglich wollte ich einen lehrertypischen Doppelnamen verwenden, letztendlich ist es aber bei Frau Freitag geblieben.

Warum bloggst Du nicht mit Deinem richtigen Namen?
Es weiß nur ein kleiner Kreis von Leuten, dass ich dieses Weblog schreibe. Weil ich nicht will, dass meine Schule da schlecht dabei weg kommt. Und es würde mich hemmen, wenn ich wüsste, dass meine Kollegen wissen, was ich blogge.

Wissen Deine Schüler, dass Du Frau Freitag bist?
Nein, natürlich nicht. Das wäre ja jeden Tag eine Debatte.

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Arschlochkind – ein Jahr Frau Freitag

Zum 1. Geburtstag eines zu wenig beachteten Lehrerinnen-Blogs.

Blogger werden (von Journalisten) oft gefragt, wo denn nun bitteschön all diese tollen Blogs sind, die angeblich die ganze Medienlandschaft umpflügen werden. Auch wenn man weiss, wie viele tolle Blogs es gibt, weil man ja täglich welche liest, kommt man dann je nach dem in Erklärnot. Denn ja, nicht alle Blogs sind toll, und ja, viele reagieren mehr, als dass sie agieren, und ja, viele haben auch in vielen Zeilen nichts zu sagen, und ja, Bloggen ist auch 2010 für die Meisten entweder Hobby oder Selbstausbeutung.

Man weiss zwar genau, dass es viele grossartige Blogs gibt, aber wenn man nicht beruflich mit ihnen zu tun hat, verliert man sie aus Zeitgründen schnell aus dem Sichtfeld. Eines dieser Blogs ist das Blog von Frau Freitag, das vor einigen Tagen den 1. oder 2. Geburtstag feiern konnte.

Frau Freitag

Wer Frau Freitag ist, weiss niemand so genau, denn sie schreibt (aus mir verständlichen Gründen) anonym. Vielleicht ist sie tatsächlich Lehrerin, vielleicht ist sie aber auch ein 12-jähriger Schüler, eine 73-jährige Pensionärin oder ein 40-jähriger Mann. Vielleicht schreibt sie aus dem echten Leben, vielleicht ist alles auch nur fiktiv (die Kategorie Lehrerfantasien zählt derzeit 49 Beiträge).

Um was geht es im Blog? Um eine Reihe von Lehrern, die Namen von Wochentagen tragen, um Schüler, die Ömer, Carlo, Samira, Micha, Dirk, Susie, Emma, Yusuf, Justin, Abdul, Daniela, Harun, Erol oder Emre heissen, um den Freund von Frau Freitag und um ein Frl. Krise. Personen, die echt sind oder auch nicht und die so beschrieben werden, dass man sie bald wie altbekannte Seriencharaktere vor sich sieht. Mehrmals in der Woche. Immer illustriert von einem dazu passenden Musikvideo. Manchmal schreibt Frau Freitag auch andere Erlebnisse auf, wie dieses Zusammentreffen mit jugendlichen Nazis.

Informiert über den Alltag an einer deutschen Schule ist das Blog auf jeden Fall derart gut, dass man sich kaum vorstellen kann, dass es von einer branchenfremden Person geschrieben wird. Wiederum ist das Blog so gut geschrieben, dass man sich kaum vorstellen kann, dass diese Lehrerin nicht ihr Geld mit Schreiben verdient. Es ist herrlich direkt und bringt alle Emotionen, die in der Lehrkörperschaft so schwelen, aufs Tapet. Diese Geschichte, die von Lehrerinnen handelt, die nachts um 2 Uhr einen Schüler anrufen und, als er verschlafen das Gespräch entgegen nimmt, „Arschlochkind!!! Arschlochkind!!! Arschlochkind!!!“ in den Hörer schreien, ist, wie in den Kommentaren zu erfahren ist, „ab Zeile 44 rein fiktiv“. Trotzdem ist das mindestens einer Leserin schon zu viel:

Arschlochkind?

Vermutlich verstehe ich einfach den Witz nicht, wenn eine Lehrerin ihren Schüler — wenn auch nur fiktiv — ein Arschlochkind nennt.

An anderer Stelle antwortet Frau Freitag auf einen ähnlichen Kommentar wie folgt:

(…) ja, ich bin oft äußerst genervt und frustriert. Ich glaube, das geht allen so, die mit unsererem Schülerklientel arbeitet. Darf ich das nicht sein? Oder darf ich dass nicht in meinem Blog aufschreiben? Darf ich nicht darüber berichten? Was soll ich denn mit meiner Frustration und meinem Genervtsein machen, alles runterschlucken und krank werden?

Ich bin immer noch da. Ich gehe jeden Tag hin und arbeite mit Jugendlichen, bei denen die meisten Leute die Straßenseite wechseln, wenn sie sie nur sehen. Jugendliche, mit denen niemand was zu tun haben will. Und ich will auch mit genau denen arbeiten. Aber es ist eben nicht immer leicht und ja, es ist sehr oft frustrierend. Aber ich mag meinen Job sehr gerne. Soll ich das hier immer wieder aufschreiben?

Und was heißt denn, dass man „ahnen könnte, wie es eigentlich gemeint ist“? Ich meine immer genau das was ich schreibe. Ich komme nach Hause, hatte ein Scheißerlebnis mit einem Schüler, setze mich an den Computer, schreibe es auf und dann geht es mit schon besser. Und wenn ich da sitze, dann meine ich genau das was ich da schreibe. Das einzige, was ich mir vorwerfen könnte ist, dass ich die positiven Dinge, die in der Schule passieren nicht so gerne aufschreibe. Was soll ich hier schreiben, wie toll irgendwas gelaufen ist?

Aber keinen Respekt für meine Schülerinnen und Schüler… diesen Vorwurf finde ich schon fast unverschämt und überhaupt nicht nachvollziehbar. Denn ich respektiere meine Schüler in höchstem Maße! Und das wissen und spüren die auch!

In Berlin fand dieses Wochenende der Karneval der Kulturen statt, der sich grosser Beliebtheit erfreut. Da ist auch nichts dagegen einzuwenden. Doch es ist schon ein sehr grosser Unterschied, der multikulturellen Gesellschaft zwanzig Minuten lang vom Strassenrand aus zu applaudieren und dann wieder nach Hause zu gehen oder am echten Karneval der Kulturen teilzunehmen, wie er täglich in der Schule stattfindet. Der nämlich nicht nur schlecht bezahlt, sondern oft nur nervenaufreibend und anstrengend. Und Nachwuchs ist kaum in Sicht. Von den jungen Lehrern und Lehrerinnen gibt es in Berlin nur noch wenige, wie zu lesen ist, suchen diese eher den Beamtenstatus in den reichen Bundesländern.

Ohne alle Blogbeiträge von Frau Freitag gelesen zu haben, glaube ich, dass sie es hervorragend hinkriegt, Klartext zu schreiben, ohne Grenzen zu überschreiten. Sollte Frau Freitag tatsächlich selbst Lehrerin sein, was anzunehmen ist, so ist ihre Leistung, nämlich ihre Emotionen und täglichen Beobachtungen in Texte zu kanalisieren, nicht nur eine Massnahme zu ihrer eigenen psychischen Gesundheit, sondern ein Verdienst für die Allgemeinheit. Sie spricht aus, was andere nur denken. Sie zeigt auf, wie es in einem von vielen Schulzimmern aussieht. Sie liefert wichtige Texte aus dem Alltag, die man lesen will, weil sie nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam sind. Sie liefert mir ihren subjektiven, ehrlichen Blick, den ich annehmen oder ablehnen kann.

Ich finde, Frau Freitag hat mehr Aufmerksamkeit verdient. Überhaupt haben alle Lehrerinnen und Lehrer, die im schwierigen Dreieck der Ansprüche von Eltern, Kindern und Vorgesetzten einen guten Job machen und dabei auch noch fröhlich bleiben, mehr Aufmerksamkeit verdient.

Na, wie war’s in der Schule? (fraufreitag.wordpress.com)

Nachtrag, 25. Mai: Frau Freitag schreibt einen „Nachtrag zum Bloggeburtstag“:

Ich schreibe nicht anonym! Ich heiße Frau Freitag und BIN Lehrerin!!!! Ich arbeite – Vollzeit – an der Mohamad Atta Oberschule. Ich wundere mich, dass einige Leute schreiben, dass ich vielleicht gar keine Lehrerin sei. Klar, kann niemand wissen. Aber ich sag es hier ja ganz deutlich – ich bin Lehrerin! Immer, überall und Frau Dienstag auch und Frl. Krise sowieso. Und ich denke mir hier so gut wie gar nichts aus. Im Gegenteil, ich beschreibe nur die unverfänglichen Erlebnisse.

Nachtrag, 13. März 2011: Ich hab Frau Freitag ein paar Fragen gestellt.