Schlagwort-Archive: Kapitalismus

Der Verlust des Grundsätzlichen

In unserer immer besser und immer reibungsloser funktionierenden Welt gehen die Grundlagen vergessen.

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Sitzende Menge in Saragossa

In Griechenland und Spanien, bald auch in anderen Ländern, demonstrieren Menschen gegen die Sparmassnahmen der Regierung.

Vergessen oder verdrängt wird dabei, dass diese Regierungen nahezu pleite sind. Es bleibt ihnen also, wenn sie nicht auf einen totalen Bankrott zusteuern wollen, gar nichts anderes übrig, als zu sparen.

Und auch wenn sie nicht sparen wollen: Organisationen, die nahe an der Pleite sind, verlieren überall ihren Handlungsspielraum. Die deutschen Bundesländer Berlin, Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein werden wegen einer „drohenden Haushaltsnotlage“ überwacht – es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ganz ihre Souveränität verlieren. Kaum noch Handlungsspielraum haben inzwischen auch die europäischen Schuldenstaaten Griechenland, Irland und Portugal. Andere werden folgen.

Auf längere Frist wird so die Demokratie und der Föderalismus ausgehebelt – de facto entscheidet ein undurchsichtiges Konglomerat aus Staatsspitzen, Organisationen und Banken.

Die Demonstrationen gegen die Sparmassnahmen sind zwar nachvollziehbar, aber auch sinnlos. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Es wird gespart. Oder es droht der Bankrott. Alle anderen möglichen Massnahmen liegen irgendwo dazwischen – sie werden nicht zu einer Verbesserung der Situation führen. Es sei denn, die Wirtschaft dieser Länder erholt sich. Dazu bräuchte es (kurzfristig) aber schon sowas wie ein Wunder.
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Elitisten küren Roger de Weck zu ihrem Papst

Eine intransparente Wahl spült Roger de Weck an die Spitze der SRG. Die Klagen über ein politisch links dominiertes Fernsehen und Radio werden jetzt erst recht hochkochen. Zeit für eine Alternative.

Roger de Weck war in den 1990er-Jahren Chefredakteur von „Tages-Anzeiger“ und der „Zeit“, zuvor schrieb er für die (damals noch links ausgerichtete) „Weltwoche“. Seit einigen Jahren zieht er seine Fäden nur noch im Hintergrund, sitzt auf Podien, redet in Fernsehsendungen, schreibt Kolumnen, prangert den Kapitalismus als „Religion“ an. Kurz: Er macht etwa das, was Frank A. Meyer macht, der grosse, alte Löwe unter den Schweizer Salonsozialisten. Nun wird er Generaldirektor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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Roger de Weck (links) mit Medienminister Moritz Leuenberger (Bild: CC Flickr ecumenix)

Nicht Generaldirektor wird der Bürokrat Hans-Peter Rohner. Und auch nicht die fernseherfahrenen Roger Schawinski und Filippo Leutenegger. Schawinski hatte übrigens kein Interesse am Job, denn:

Ein SRG-Generaldirektor hat nur zwei wichtige Aufgaben: Gebühren erhöhen und ihm genehme Direktoren für Radio und Fernsehen portieren.

Generaldirektor wird ein Publizist, ein Journalist. Was tatsächlich erfreulich ist, wenn er denn die Finanzen im Griff hat. Zur Erinnerung: Gesucht wurde eigentlich „in erster Linie eine aussergewöhnlich führungsstarke Persönlichkeit mit breit abgestützter betriebswirtschaftlicher Fachkompetenz; erst in zweiter Priorität stehen Radio-, Fernseh- und Multimediaerfahrung“. Am Rande: Die überraschende Wahl von de Weck hat gezeigt, dass etablierte Journalisten so wenig Ahnung von richtigen Kandidaten haben wie Blogger.

Seit Jahren (seit Jahrzehnten?) gibt es den Vorwurf, das Schweizer Radio und das Schweizer Fernsehen seien eher zu linkskonservativ oder zu linksliberal. Stimmen dagegen, die beklagen, SR und SF seien zu rechtskonservativ oder zu rechtsliberal, sind, extreme Positionen ausgeschlossen, kaum je zu hören (Widerspruch gerne in die Kommentare). Mit Roger de Weck an der Spitze der SRG erhält dieser Vorwurf neue Nahrung. Zurecht, denn de Weck ist nur einer der ungezählten Schweizer Journalisten, die durch ihre rigorose Ablehnung der Opposition den Aufstieg der SVP herbeigeschrieben haben (der Wähleranteil stieg von rund 10 auf rund 29 Prozent), siehe dazu auch den Artikel „Blochermania“ (netzwertig.com, Dezember 2008).

Es ist an der Zeit, dass sich neben der „Weltwoche“ im Printbereich im Audio- und Videobereich eine oder noch besser mehrere Alternativen bilden, jenseits von SVP-TV, Tele Züri oder Alternativradios. Da die Gründung von neuen Radio- und TV-Sendern aber aufgrund der hohen Kosten im kleinen Land und der Überregulierung durch Gesetze kaum oder nicht erfolgsbringend möglich ist, bleibt als Verbreitungsraum das Internet, wo so oder so jedes Medium früher oder später landen wird (nein, sowas wie „Fox News“ stelle ich mir nicht vor).

So teuer ist das nicht. Wer investiert?

Andere Stimmen:

Grosse Überraschung (nzz.ch, Rainer Stadler)
Ein Journalist an der Spitze der SRG (sautter.fm, Alexander Sautter)
SRG: Habemus papam! (medienspiegel.ch, Diskussion)
Wahl des neuen SRG-Chefs spaltet Parteien (sf.tv, inklusive Videos)
Roger de Weck als Deus ex Machina (klartext.ch, Nick Lüthi)
Roger de Weck – weil er Konvergenz und Sparübungen besser verkaufen kann? (wahlkampfblog.ch, Mark Balsiger)
Ultra-Etatist wird neuer Führer des staatlichen Rundfunks (arslibertatis.com, Benjamin Bläsi)
Reaktionen auf die Wahl des neuen Generaldirektors
(persoenlich.com)
Interview mit Roger Schawinski, der mit de Weck befreundet ist (tagesanzeiger.ch, Markus Diem Meier)
Hoffnung und Skepsis nach de Wecks Wahl (klartext.ch, Zusammenstellung von Zitaten)
Griechische Verhältnisse (weltwoche.ch, Kurt W. Zimmermann)
Eine fiktive Antrittsrede in Originalzitaten (weltwoche.ch, Alex Baur)
An- und Einsichten des Roger de Weck (weltwoche.ch, Alex Baur)
Politisch motivierter Überzeugungstäter (weltwoche.ch, Roger Köppel)

Jürg Acklin ist nicht Pestalozzi

Im Bezirk Zürich Seefeld sind Wohnungsmieten um die 3000 Euro nicht aussergewöhnlich. Folgt nun wie in Berlin Prenzlauer Berg die Vertreibung der Ureinwohner durch hohe Mieten? Sind die renditegeilen Investoren dafür verantwortlich? Oder doch eher die renditegeilen Verkäufer?


Sonnenuntergang im Zürcher Seefeld. Bild: CC Flickr magdalar

Letzte Woche zeigte die SF-Sendung „Reporter“ einen Bericht über das Seefeld in Zürich:

„Die Yuppisierung eines Quartiers“ (sf.tv, Video, 27:07 Minuten)

(Mich stört, dass dem SF-Online-Video ein lästiger Programmhinweis in eigener Sache vorgeschaltet ist. Warum das?)

Denkwürdig am durchaus kurzweiligen Film ist das Statement von Schriftsteller und Psychoanalytiker Jürg Acklin (ab 18:47 Minuten), der erklärt, warum er ein offenbar in seinem Familienbesitz befindliches Gebäude im Seefeld für 3.5 Millionen Franken an einen Investor verkauft hat und nicht für 2.5 Millionen Franken an jemanden aus dem Umfeld eines bisherigen Bewohners:

Es sind zwei Seelen in der Brust, ich bin auch immer noch in der … [… sozialdemokratischen Partei der Schweiz?] Ich wechsle auch nicht die Partei, weil ich jetzt etwas Geld verdient habe. Ich bin immer noch sozial engagiert und ich glaube: Es ist halt eine kognitive Dissonanz, die man hat, dass man intellektuell und auch gewissermassen gesamtgesellschaftlich kritisch und durchaus auch, wie soll ich sagen, linksliberal ist, aber im entscheidenden Moment: Ich glaube, ich bin einfach nicht Pestalozzi. [gemeint ist Johann Heinrich Pestalozzi, ein Pädagoge, der im Schweizer Sprachgebrauch als Synonym für besonders soziales Handeln Einzug gehalten hat.]

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Nein, der Kapitalismus ist nicht tot

Liegt der Kapitalismus, die Marktwirtschaft in den letzten Zügen? Haben die Kritiker, die schon immer gesagt haben, das gehe nicht auf, recht? Darauf könnte man kommen, wenn man Berichte zur Finanzkrise durchliest. Aber das ist natürlich Blödsinn.

Als Laie eine Meinung zur Finanzkrise zu haben, sollte man sich gut überlegen. Schnell mal wird einem nahegelegt, dass man davon ja keine Ahnung hat und besser mal den Mund halten sollte. Doch nicht nur der Laie hat keine Ahnung, auch der Anleger (der ja wissen sollte, was mit seinem Geld geschieht) und der Politiker (der ja wissen sollte, wofür er Steuergelder spricht) überblicken die Lage nicht, selbst den Finanzexperten, den Wirtschaftsjournalisten, den Börsenanalysten ist alles zu kompliziert geworden. Allerdings: über die Klimakatastrophe, über das Wetter, über die Existenz Gottes plaudern auch alle frohgemut, ohne einen Überblick zu haben. Also, keine Frage, auch der Laie darf und soll zur Finanzkrise zu Wort kommen.

Kapitalismus
(CC Flickr Martin Röll)

Finanzkrise vernichtet 1 400 000 000 000 Dollar„, schrieb welt.de kürzlich. Es werden sicher noch viel mehr werden. Aber was heisst schon vernichtet? Es waren Annahmen von Börsenhändlern, die vernichtet wurden. Und von vielen anderen Leuten, die ihr Geld irgendwie und irgendwo anlegten. Sie dachten, ihr Geld sei „sicher“. Es braucht schon einen Peter Sloterdijk (nzz.ch), der die Panikmacher wieder etwas herunterholt:

Seriöse Leute behaupten, dass von den realen Vermögenswerten gar nichts verschwunden ist. Es sind keine Schiffe gesunken, es müssen jetzt lediglich die surrealen Bewertungen revidiert werden, die während der letzten zehn Jahre die meisten ökonomischen Transaktionen verzerrt haben, insbesondere bei Betrieben, Immobilien und Kunstwerken. Die riesenhaften Pseudovermögen, die dabei «angehäuft» bzw. an der Börse fingiert wurden, sind auf einen sinnvollen Massstab zurückzukorrigieren. In der amerikanischen Hypothekenkrise sind ja die Häuser nicht verschwunden. Die berühmten Realwerte sind alle noch vorhanden. Es spricht vieles dafür, dass sich die Dinge nach der Anpassung des aufgeblähten Geldvolumens an die realwirtschaftliche Basis wieder einspielen. Es gab einfach zu viel Geld, das blosses Spielgeld war, daher gab es massenhaft illusorische Wertberechnungen und haltlose Reichtumseinbildungen.

Eine klassische Blase, wie sie Menschen immer wieder erzeugen und die irgendwann platzt. Jeder hat dem anderen vertraut, niemand wollte sagen, dass alles hochgeschaukelt ist, irgendwann wurde der Druck zu hoch und einiges stürzte zusammen. Neu daran ist nur, dass sich der Staat einmischt.

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