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Lieber Freunde statt Konsum

Am 22. Dezember 2011 war das die Titelseite der Gratiszeitung „Blick am Abend“:

Blick am Abend Titelseite

Ja, denkt man sich. Stimmt schon. Lieber Freunde statt Konsum.

Aber dann schaut man sich das Bild nochmals an. Lieber Freunde? Statt Konsum? Wie jetzt, die Weinflasche ist aus dem eigenen Weinberg? Die Mützen wurden nicht gekauft, sondern selbst gemacht? Und um das Wasser im Winter aufzuheizen, wurde Holz verbrannt, aus dem eigenen Wald? Und wo sind die Bikinis her und die Gläser?

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Ich beginne zu glauben, dass die Linke denkt, dass sie nichts mit der Krise zu tun hat

Ok, der Titel braucht vielleicht eine Erklärung.

Am Anfang steht ein Satz von Charles Moore, zitiert von Constantin Seibt, mehr hier: „Ich fange an zu denken, dass die Linke vielleicht doch Recht hat.“ Das nahm auch Frank Schirrmacher auf („Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“), gekontert von Clemens Wergin („Hatte die Linke doch Recht?“). Und dann schrieb Michalis Pantelouris am Sonntag: „Ich beginne zu glauben, dass die Rechte tatsächlich langsam lernt, dass die Linke recht hatte.“

Also wie jetzt, wir stehen am Rande einer Krise und diskutieren darüber, dass nun auch die Rechten einsehen, dass in Wahrheit die Linke recht hat?

Kein Geld mehr

Keine Frage, der Kapitalismus hat seine Schattenseiten, das kann und soll immer wieder beleuchtet und diskutiert werden. Tatsächlich wird das in den Medien Tag für Tag gemacht. Welchen öffentlich-rechtlichen Sender man auch einschaltet, irgendwo beutet immer ein bösartiger Unternehmer seine Mitarbeiter aus – wenn nicht im „Tatort“, dann in einem der Polit- und Gesellschaftsmagazine. Offenbar kann sowas auch ein komplett durchregulierter Staat wie Deutschland, der solche Missstände mit einer Unzahl von Gesetzen zu unterbinden versucht, nicht verhindern. Mein Mitgefühl gilt allen, die dazu gezwungen sind, unter unwürdigen Bedingungen zu arbeiten.

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Die Journalisten und das Herrschaftswissen

Journalismus hat die Aufgabe, die Mächtigen zu hinterfragen. Doch die Reaktionen auf „Wikileaks“ zeigen das Gegenteil: Viele Journalisten stellen sich schützend vor die Mächtigen. Zählen sie sich dazu?

Seit wir die Dunkelheit des Mittelalters verlassen haben, in dem Glauben und Aberglauben das im Vergleich zu heute spärlich vorhandene Wissen beherrschten, streben wir nach Wissen, nach mehr Wissen. Die Geschichte hat gezeigt, dass Glauben und Nichtwissen meistens Stillstand bedeutet, Wissen hingegen Fortschritt mit sich bringen kann.

Unterwerfung Heinrichs des Löwen vor Kaiser Friedrich I. Barbarossa in der Erfurter Peterskirche im Jahre 1181
Bild: Unterwerfung Heinrichs des Löwen vor Kaiser Friedrich I. Barbarossa in der Erfurter Peterskirche im Jahre 1181, Commons

Wer Macht innehat, neigt dazu, Wissen zu monopolisieren – im Bewusstsein, dass Wissen Macht ist. Man nennt das Herrschaftswissen. Die exzellente, weltweite Wikipedia versucht das Gegenteil zu erreichen: Nämlich durch solidarische Arbeit das allgemeine Weltwissen eines Tages auch noch dem ärmsten Bürger in der unbekanntesten Sprache kostenlos zur Verfügung zu stellen (Richtig, Wikipedia ist nicht immer vollständig korrekt. Aber sehr viel informativer als gar nichts.)

Herrschaftswissen ist weit verbreitet:

  • Es gibt Ehemänner, die nicht wollen, dass ihre Frau lesen und schreiben lernt, weil sie so ihre Abhängigkeit ihm gegenüber in Frage stellen könnte.
  • Es gibt Politiker, die nicht wollen, dass ihre Bürger genau wissen, was sie machen, weil sie so ihre Gunst in Frage gestellt sehen.
  • Und es gibt Journalisten, die nicht wollen, dass Geheimnisse, die Politiker vor Bürgern bewahren wollen, publik gemacht werden.

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Mehr Bürokratie, weniger Pressefreiheit: das Leistungsschutzrecht

Gerne werfen Exponenten von Zeitungsverlagen Google oder den Blogs vor, sie seien parasitär.

Parasitär? Journalisten sind selbst parasitär. Journalismus beschreibt, leitet weiter, analysiert, ordnet ein. Ohne die real existierende Welt gäbe es ihn nicht, er ist selbst kein originäres Produkt. Oder könnte es einen Wirtschaftsteil geben ohne Wirtschaft? Eine Sportsendung ohne Sportereignisse? Könnte dieser Text existieren ohne die vorgängige Diskussion? Nein.

Norbert Neininger liess kürzlich einen von der NZZ bereitgestellten Versuchsballon steigen und forderte ein Leistungsschutzrecht nach deutschem Ideenvorbild. Denkt man es durch, so müsste man alle publizistischen Leistungen daran beteiligen. Also auch das Blog von Moritz Leuenberger, die Pressemitteilungen der UBS, vielleicht sogar den Twitter-Stream von Fulvio Pelli. Den nicht nachvollziehbaren Vorstellungen der Presseverleger gemäss soll so ein Gesetz natürlich ausschliesslich für Inhalte von Presseverlegern gelten. Weshalb? Weil angeblich nur sie in der Lage sind, die für eine funktionierende Demokratie so wichtige kritische Öffentlichkeit herzustellen.

Machen wir doch mal ein Bespiel, wie das ablaufen könnte in Zukunft:

Journalist A fragt Manager B, ob er ein Statement liefern könne zu Ereignis X. B sagt bereitwillig zu, allerdings nur unter der Bedingung, dass das von ihm bereitgestellte “Snippet” dem Leistungsschutzrecht gemäss entschädigt wird. Immerhin handelt es sich um seine intellektuelle Leistung, die genutzt werden soll, um den Profit der Verleger zu vergrössern. Eine Antwort in einer Strassenumfrage? Ein Statement für einen Artikel? Ein Interview? Sorry, nur gegen Entschädigung.

Haben Sie es gemerkt? Ein Leistungsschutzrecht wäre eine Bürokratisierung von gigantischem Ausmass, eine Einschränkung der Pressefreiheit und nichts mehr als eine Abwälzung eines nicht mehr funktionierenden Geschäftsmodells auf die Allgemeinheit. Jedes Interview, jedes Zitat müsste bei einem geltenden Leistungsschutzrecht finanziell entschädigt werden. Und weil kaum jemand zu zahlen bereit wäre, führte es direkt in eine unfreie Gesellschaft, in der das direkte Wort vermieden wird.

Die Presseverleger wollen damit ihre Einnahmen gesetzlich verankern – auf Kosten der Allgemeinheit. Es erstaunt, dass ein derart dreistes Betteln um Subventionen so unbedarft vorgebracht wird – und so wenig Gegenreaktionen hervorruft. Man könnte es als Versuch werten, selbst Steuern einzutreiben. So etwas erlaubt sich keine andere Branche.

Dieser Artikel erschien im Pressespiegel von mediaforum.ch, den man hier per E-Mail abonnieren kann.

Die Deutschen und ihre Leistungen

Ich wundere mich manchmal, wie in Deutschland Leistung beurteilt wird.

Wenn eine Biathletin an den olympischen Spielen die Silbermedaille holt, dann erkundigt sich der Reporter im darauf folgenden Gespräch gleich: “Warum hat es denn nicht ganz gereicht?” Und stellt ihr gegenüber bald fest: “Aber es ist doch nur der undankbare zweite Platz, oder?” Nur, um nach dem Interview über den neusten Dopingfall zu berichten, in aller Ausführlichkeit und ohne jedes Verständnis für die abscheuliche Tat.


Wenn sich in der Sendung “Schlag den Raab” ein Kandidat einen Samstagabend lang mit Stefan Raab misst, dann sitzt halb Deutschland gebannt vor dem TV und fiebert mit dem Herausforderer mit. Es sei denn, er gibt ehrlich zu, er sei nur hier, um eine halbe Million abzuräumen, so wie es der glattrasierte Hans-Martin Schulze gemacht hat, ein junger Mann mit nicht ganz ausgereiften sozialen Kompetenzen. Dann wird er noch am selben Abend bei Twitter zum #hassmartin. Fast so, als würde es anderen Kandidaten nicht um das Geld gehen.

Wenn einige Blogger Verlage oder Vermarktungsagenturen gründen, damit sie und andere damit Geld verdienen können, dann schreien andere Blogger Zeter und Mordio, Ausverkauf, Kommerzialisierung! Nur um dann, wenn ihnen solche Verdienstmöglichkeiten angeboten wird, zuzusagen und auch Werbung zu schalten.

Wenn Guido Westerwelle in Deutschland eine „spätrömische Dekadenz“ feststellt und sagt, “wir wollen den Bedürftigen helfen, aber nicht den Findigen”, dann geht ein Aufschrei durch Deutschland und sofort wird der Aussenminister zum „Machiavelli des Proletenhasses“ (bei Titanic) und natürlich darf dann auch der Führer nicht fehlen. Die Worte von Westerwelle reichten aus, um diese Woche als wildgewordener Hulk auf dem Titel des „Spiegel“ zu landen (eine Idee, die übrigens die „Weltwoche“ schon 2007 mit dem Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger umsetzte, der damals darauf mit einem Blogeintrag reagierte). Wer sagt, was Westerwelle sagt und das auf Anfrage auch noch bekräftigt, muss mit starkem bis sehr starkem Gegenwind rechnen.

Wohl wahr, von folgenlosen politischen Reden kann man sich nicht oft genug distanzieren, schliesslich baut die schwarz-gelbe Koalition den Staat gerade auf und nicht ab, wenn man dem „Spiegel“-Artikel „Stau im Stellenkamin“ glauben will. Aber man fragt sich, was populistischer ist: Westerwelles Mahnruf oder der Aufschrei dagegen. Wie denn soll ein gerechter Staat funktionieren, wenn nicht so? Natürlich ist es richtig, den Bedürftigen zu helfen – und nicht den Findigen. Je komplizierter die Gesetzlage ist, je aufgeblähter der Verwaltungsapparat, desto mehr Möglichkeiten gibt es für Findige, Ansprüche zu stellen. Das gilt für alle Bereiche, in denen Gesetze geschaffen wurden, um Opfer zu schützen. Als Beispiel für so einen Fall sei „Der Feind in meiner Wohnung“ empfohlen, ein „Spiegel“-Artikel über Mietnomaden in Deutschland. Wer Gelder bezieht, die ihm nicht zustehen, handelt unsozial – als Reicher und als Armer. Wer Gesetze zu seinen Gunsten ausnützt, handelt je nach dem auch auf Kosten der Gesellschaft – aber legitim. Er nutzt nur die Fehler der Gesetzgeber aus. Findige sollten allerdings ihre Cleverness nicht dazu ausnutzen, ihre Mitmenschen zu betrügen. Ist es so, und es gibt viele Fälle, in denen es so ist, dann darf das auch angeprangert werden. Warum? Um jene zu schützen, die tatsächlich Hilfe benötigen.

Das Problem mit der mit dem Staat verknüpften Leistung ist aber grundsätzlicher: Hat in Deutschland ein junger Mensch eine Idee, die er umsetzen möchte, wird er sich eher darum kümmern, welche Fördergelder er dafür bekommen könnte, als dass er versucht, seine Idee dem Markt auszusetzen. Ein ganzes Land, von den (unabhängigen?) Verlegern bis zu den (anarchistischen?) Autonomen, ruft gerne und laut nach Staatsgeldern. Es wird zu oft vergessen: Staatsgelder sind immer Steuergelder, also Zwangsabgaben, die all jenen, die durch eine Wirtschaftsleistung Geld erwirtschaften, weggenommen wird.

Auch wenn das Mantra der Linken, keine Abstriche am Sozialstaat vorzunehmen, eher lauter als leiser geworden sind, zeigt sich längst, dass er sich nicht mehr finanzieren lässt. Die Staatsverschuldung der meisten westlichen Staaten nimmt von Jahr zu Jahr dramatisch zu – und alle sehen diesem drohenden Untergang gemütlich zu. Die nächsten Jahre werden schwierig werden für den Westen, der seit der Kolonialzeit mehr oder weniger nichts anderes kennt als Weltherrschaft. Denn Länder wie China holen in atemberaubendem Tempo auf. Noch bewundern die Chinesen deutsche Leistungen – kaum einer, der nicht einen Mercedes oder einen BMW besitzen möchte. Bald aber bauen sie selbst solche Fahrzeuge. Oder schönere, bessere. Wenn nicht bald drastische Reformen eingeleitet werden, so könnten die westlichen Staaten dieser Entwicklung gegenüberstehen wie die Zeitungsverlage dem Internet: Ratlos, hilflos, verzweifelt.

Staatsverschuldung Deutschland
Bild: Screenshot aus dem PDF „Schulden des öffentlichen Gesamthaushaltes 2008“ des Statistischen Bundesamts Deutschland (für eine grössere Version bitte auf das Bild klicken)

Der Staat hat in Deutschland einen guten Ruf: Will er zum Beispiel eine CD mit gestohlenen Bankdaten kaufen, so jubelt ihm eine Mehrheit zu. Er darf sich zum Mahner für alles und jedes aufspielen, seine eigene Wirtschaftsmacht aber setzt er nicht nachhaltig ein. Und wenn eine Hamburger Boulevardzeitung aufdeckt, dass der Parlamentspräsident von Hamburg mittels einiger Telefonate seine Privatstrasse auf Staatskosten räumen liess, während der Rest von Hamburg schlittern durfte, dann löst das nicht mehr als ein Schulterzucken aus. Fast bemitleidet man ihn, dass er deswegen so eine anstregende Woche hatte. Sein Job in Gefahr? Rücktritt? Denkste. Dem Staat und seinen Aushängeschildern wird auf eine manchmal beängstigende Weise vertraut (der Wirtschaft übrigens im gleichen Masse misstraut).

Der Arbeitsmarkt Deutschland ist ein System geworden, in dem man drin ist oder eben nicht. Neu rein kommt man kaum noch, denn welcher Unternehmer ist so wahnsinnig und gibt jemandem einen festen Arbeitsvertrag, den er kaum je wieder auflösen kann? Ich habe in Berlin x hervorragend ausgebildete und geeignete Menschen rund um die 30 kennengelernt, die ein Praktika an das andere, einen Zeitarbeitsvertrag an den nächsten reihen. Und immer dann, wenn eine Festanstellung folgen müsste, gekündigt werden. Also ziehen sie aus Deutschland weg, zum Beispiel in die Schweiz. Ein schöner Service von Deutschland, Menschen gut auszubilden und dann ihre Kenntnisse im Ausland anwenden zu lassen, das muss man sagen.

Drin sein im System und drin bleiben, das ist das bescheidene Ziel deutscher Bürger geworden. Bewahren, was man bewahren kann: Die Arbeitsstelle, die Sozialleistungen, die Rente. Bloss nicht klein bei geben. Die Errungenschaften verteidigen. Und immer feste druff hauen, wenn einer auch nur andeutet, Reformen einzuleiten (die zweifellos schmerzhaft sein werden). Ob es wirtschaftlich Sinn macht, einen 58-jährigen Angestellten weiterzubeschäftigen, der auch nach der fünften Schulung das neue Computersystem noch nicht bedienen kann, wird nicht gefragt. Er muss zwangssolidarisch von seinen Mitarbeitern mitgetragen werden, denn eine Kündigung hat so hohe Folgekosten, dass es den Entscheidungsträgern wirtschaftlicher scheint, ihn weiterzubeschäftigen.

Irgendwann wird alles explodieren. Und dann wird man sich an die Finanzkrise Ende der 00er-Jahre erinnern, die ein laues Lüftchen war, ein freundlicher Vorbote. Um sowas vorherzusehen, muss man kein Prophet sein und kein Verschwörungstheoretiker. Steigen die Staatsschulden des Westens weiter so an, wird es entweder zu einer massiven Inflation kommen oder aber zu Staatsbankrotten, so wie es sich in Griechenland andeutet.

Kann sich noch jemand erinnern, warum die DDR untergegangen ist? Es war ein Staat mit maroder Wirtschaft und weltabgewandten Politikern, kombiniert mit einem aufgeblähten und die Freiheit beschneidenden Verwaltungs- und Überwachungsapparat. So weit davon ist Deutschland nicht mehr weg. Gerade eben haben hochbezahlte Piloten der Lufthansa eine Arbeitsplatzgarantie gefordert. Die erhaltene Antwort: „Wir sind bereit, eine Arbeitsplatzgarantie bis Ende 2012 zu geben.“

Ein Arbeitsplatz, der gesichert ist, egal, wie man sich verhält, lädt nicht ein zu herausragenden Leistungen. Eine dynamische Wirtschaft lebt vom Wettbewerb, von sich immer wieder in neuen Konstellationen konkurrierenden Leistungen. Und das führt zu Wohlstand. Erstarrte Strukturen hingegen sind dem Niedergang geweiht, in einer sich immer schneller drehenden Welt mehr denn je.

Dieser Artikel erschien auch auf „Carta“