Berlin Neukölln im rasanten Wandel

Noch vor kurzem war Berlin Neukölln vor allem als Problembezirk mit vielen Sozialhilfeempfängern bekannt. Doch es hat sich in den letzten drei Jahren sehr viel geändert. Während die Kneipen „Freies Neukölln“ und „Ä“ in der Weserstrasse noch Ende 2007 nahezu die einzigen waren, die sich von der klassischen Eckkneipe abhoben, gibt es drei Jahre später eine Flut von Läden aller Art, die sich der Flut der aus aller Welt in den Bezirk neu zuziehenden anbieten.

Die Leute von „Freies Neukölln“ (Sender), die sich als erste ins (angeblich) wilde Neukölln gewagt haben, betrachten die von ihnen unfreiwillig ausgelöste Entwicklung inzwischen kritisch. Aber sehr unterhaltsam:

Der Wandel ist für westeuropäische Verhältnisse atemberaubend und bringt positive und negative Folgen mit sich. Es geschieht, was man sich vor wenigen Jahren noch nicht vorstellen konnte. Was zum Beispiel dieser Tweet von Kathrin Passig zeigt:

Gentrifizierungsupdate Neukölln

(via @martinriemer)

13 Gedanken zu „Berlin Neukölln im rasanten Wandel“

  1. Ist das eine alberne Selbstbeweihräucherung.

    Ich mag das Freie Neukölln, jetzt allerdings ein bisschen weniger. Aber zwei Dinge ist es ganz sicher nicht: Es war nicht die erste Oase in der Wüste. Wie unfassbar selbstverliebt muss man sein, um zu glauben, die ganzen „Künstler und Tagediebe“ seien in das Viertel gezogen, weil Weser Ecke Pannier ein neuer Laden aufgemacht hat? Seit Jahren, ich würde mal sagen ungefähr sieben, mindestens aber fünf, ziehen hier vermehrt Studenten und Kreative her, danach kamen die neuen Läden, allen voran das Ä. Von diesen Leuten profitiert das Freie Neukölln mit seinem exquisiten Alleinstellungs-Andechser und der italienischen Snackkarte. „Wir sind hier nicht in Rom“, von wegen: wenn man auf deren Karte kuckt, könnte man da auf ganz andere Gedanken kommen.

    Schon bevor das Ä hergezogen ist, gabs hier einen Haufen Läden, die tatsächlich nachbarschaftlich verwurzelt sind: Das Dilemma, der Sandmann, das Hubblebubble (hat inzwischen leider zugemacht). Wer das Freie Neukölln für eine Eckkneipe hält, der war noch nie an einem Samstag Abend im Ambrosius. Das sind Läden, die vom Zuzug viel weniger profitieren als die Maulhelden vom Freien Neukölln, die sich aber irre freuen, dass im Kiez wieder was los ist: natürlich auch, weil es fürs Geschäft besser ist, wenn gegenüber nicht schon wieder ein Wettbüro oder ein Sonnenstudio aufmacht, aber nicht nur. Die zu verschweigen, ist selbstverliebte Heuchelei.

    Im Film wird die neue Paulikneipe gezeigt, die übrigens genau das schafft, was das Freie Neukölln von sich vorgibt zu schaffen, wovon es aber meilenweit entfernt ist: Integration der neuen Bevölkerungsschichten unter Einbeziehung langjähriger Anwohner. Das Valentinsstüberl macht das auch, da gelingt es eine Spur weniger gut, aber die versuchens immerhin, statt Jammerfilme zu drehen, in denen sich künstlich aufgeregt wird. Im Freien Neukölln sitzt doch jeder bloß an seinem Tisch und unterhält sich mit denjenigen, die ihn zu diesem Zweck begleitet haben. Was ist denn daran bitte Eckkneipe?

    Und wenn ich schon mal dabei bin: es sind nicht die ganzen Kreativen und studenten, die die Mieten in die Höhe treiben, es sind die Hausbesitzer. Die Studenten und Kreativen leiden viel mehr unter ansteigenden Mieten als langjährige Anwohner, weil die viel häufiger die Wohnung wechseln. Der Wandel mag atemberaubend für westeuropäische Verhältnisse sein, aber wenn Dir das schon atemberaubend erscheint, kann ich nur davon abraten, alte und neue Fotos vom sagen wir Bergmannkiez oder dem Kollwitzplatz miteinander zu vergleichen.

    So, genug aufgeregt. Das war besser als Joggen. Jetzt Penne all’arrabbiata im total echt krass lokalbezogenem Freien Neukölln. Mal schauen, was die sagen, wenn ich da nen Futschi bestelle.

  2. Ja @Fred, du hast recht. Den gelungenen Spagat zwischen Alt und Neu, Jung und Alt, Eingesessen und Zugezogen, Hip und Unaufgerregt sehe ich eher im Sandmann (und das schon seit 25 Jahren, länger bin ich leider noch nicht hier) bzw. in der Hasenschänke.

  3. In zwei oder drei Jahren haben die ganzen Läden aufgemacht, das stimmt. Das sieht erstmal krass aus, darf aber nicht zu dem Schluss führen, es handle sich jetzt um einen durchgentrifizierten Bezirk. Tatächlich meint Gentrifizierung ja „verdrängung einer Bevölkerungsschicht durch eine andere“, und davon sind wir bisher noch weit entfernt: es ist ja nicht so, dass Alteingesessene aus ihren Wohnungen geprügelt und per Schubkarre nach Tempelhof verfrachtet werden.

    Die Gentrifizierung wird dann weh tun, wenn Modernisierung und Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen stattfinden: dazu wird notwendig sein, dass sich die Eigentumsverhältnisse im Kiez ändern. Die momentanen Hausbesitzer haben schlicht nicht das Geld, in ihre Häuser zu investieren. Wenn Investoren anfangen würden, Straßenzüge aufzukaufen, wär das was anderes. Um einem verbreiteten Vorurteil mal zu widersprechen: Gentrifizierung sieht man nicht daran, wie die Straße aussieht, sondern daran, wie die Hauseingänge und Hinterhöfe aussehen.

    Ich bin einigermaßen zuversichtlich, dass diese Form der Gentrifizierung in Neukölln nicht stattfinden wird, dazu fehlen hier schlicht die Gentrifizierer, also Leute mit Geld, die schön im Kiez, aber topsaniert und sauber und alles, wohnen wollen. Die werden im Bergmannkiez, Prenzlberg uund im Friedrichshain bleiben, denke ich.

    Von demher ist die Klage über eine Bereicherung des Nachtlebens hier für meine Begriffe überzogen. Ich wohn inzwischen lieber in Neukölln als noch vor sieben Jahren, wo die Hälfte der Läden, die nach zehn noch aufhatten, Tankstellen waren.

  4. Was für ein bigotter Blödsinn. Dem Team vom freien Neukölln würde ich gerne mal drei Wochen Boddinkiez 1997 mit Ausgehverbot in Kreuzberg verordnen, danach freut man sich auch wieder über Besuch aus Münster…

  5. Ich muss Fred recht geben. Ich mag das Freie Neukölln nun auch weniger, aber anscheinend ist das so gewollt.
    Wenn sich das Freie Neukölln von der so schrecklichen Studenten-Schicht absetzen möchte, sollen sie sich nicht über die schlechten Bewertungen beschweren. Da kriegen sie doch ganz schnell was sie erreichen wollen. Keiner verbietet der Kneipe sich so zu führen wie sie es möchte.

  6. Was habt ihr denn alle mit der „Gentrifizierung“. Als jemand, der seit 35 Jahren in Nordneukölln an einer Schule arbeitet und 40 Jahre in Kreuzberg 36 wohnte, müssten wir doch als erste mitbekommen, wenn eine neue Schicht des Bildungsbürgertums hier herzieht und das von Dauer ist.
    (Kinder, die ihre Hausaufgaben machen, Bücher lesen, etwas lernen wollen, abstrakt denken können, einen Wortschatz größer als 2000 haben, Konflikte mit ‚lass uns reden‘ und nicht mit: „Ich ficke dain Muta!“ austrägt. Aber wenn die verhätschelten Tragetuchbälger dann ins Kita, bzw. Schulalter kommen geht’s schnell wieder zurück nach Münster, Stuttgart, Freiburg, Barcelona. Man will es seinen Kindern nicht zumuten als biodeutsche Minderheit mit der angestammten libanesisch- anatolisch-stämmigen Mehrheit an einer Bank sitzen zu müssen und im ‚inclusiven‘, binnendifferenzierten Unterricht, den bösen Ahmed mit seinen 7 Geschwistern davon abzuhalten, den anderen während des Unterrichts eine zu klatschen und nach dem Unterricht ihre Brote und an der Oberschule die Zigarette und das Redbull zu rauben. Also ist dies m.E. immer nur eine temporäre Erscheinung und Anna-Lena und Dirk-Hendrik werden spätestens mit 33, wenn die biologische Uhr immer lauter tickt, nach Hause oder nach Steglitz oder Brandenburg verziehen.
    Es ist schwachsinnige mechanistische Denke, wenn man annimmt, dass die böse Bourgeoisie von Neuköllner Hausbesitzern nächtelang zusammensitzt und überlegt, wie man das angestammte Prekariat mittels höherer Mieten vertreiben kann. Dann sind es schon eher die AA und Jobcenter, die mit der Forderung nach geringeren Mieten, die angestammten Dauerarbeitslosen in die Platten treibt.

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