Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Klo-Party mit Zewa Soft

Fragen Sie, wenn Sie ein „großes Geschäft“ zu erledigen haben, auch immer gleich ihren Partner, ob er mitkommen möchte? Sie sind damit nicht alleine, sie gehören zur Mehrheit! So ist es in deutschen Medien zu lesen.

Nachrichten sind nicht einfach nur da, es gibt sie oft nur, weil ein Interesse dahinter steckt.

Im exemplarischen Fall läuft das so ab.

1. Eine Firma wünscht sich, ihr Produkt „sexy“ oder einfach bekannt zu machen
2. Die Firma beglückt eine PR-Agentur mit diesem Auftrag
3. Die PR-Agentur wünscht sich, die Sicht des Kunden auf sein Produkt mit Fakten zu untermauern
4. Die PR-Agentur beglückt ein Forschungsinstitut mit diesem Auftrag
5. Das Forschungsinstitut ruft Menschen an und stellt ihnen eine Frage
6. Das Forschungsinstitut sammelt die eingegangenen Antworten und macht Analysen und Grafiken dazu
7. Die PR-Agentur guckt sich die Analysen und Grafiken an und schreibt Texte dazu
8. Die PR-Agentur macht aus den „Erkenntnissen“ eine Pressemitteilung und schickt sie an die Medien
9. Die Medien prüfen die „Nachricht“ auf den Unterhaltungswert und nehmen sie je nach dem auf
10. Der Leser liest die Nachricht – im Idealfall (für den Auftraggeber) bleibt ihm das Produkt oder die Produktgruppe im Gedächtnis. Oder noch besser, er findet danach das Produkt irgendwie sexy

Ob das im folgenden Fall so abgelaufen ist, ist mir nicht bekannt. Bekannt sind aber alle Beteiligten an der Geschichte.

– Die Firma, die die Umfrage in Auftrag gab: Der Klopapierhersteller Zewa Soft
– Die PR-Agentur: Jeschenko MedienAgentur Köln GmbH
– Das Forschungsinstitut: GfK
– Die Medien: Die Nachrichtenagentur dpa – und darauf welt.de, n24.de, etc.
– Der Leser: Ich und jetzt auch Du.

„Hinten herausgekommen“ beim Prozess ist die Erkenntnis, dass sich deutsche Paare „beim Toilettengang“ zu einem überwiegenden Teil (57.1 Prozent) gemeinsam im Klo aufhalten (hier die ausführliche Pressemitteilung mit den regional aufgeschlüsselten Unterschieden)

Pressefoto der PR-Agentur Jeschenko
Bild: Pressefoto der PR-Agentur Jeschenko

Was die Medien, der dpa sei Dank, gerne verkünden.

n24.de:

Screenshot n24.de

welt.de:

Screenshot welt.de

Aber welt.de wäre nicht welt.de, wenn nicht noch eine eigene Umfrage dazu platziert würde. Die nicht ganz überraschend ziemlich anders herauskommt:

Screenshot welt.de

Ebenfalls Beiträge zum Thema schreiben express.de und maerkischeallgemeine.de. Man beachte die Auswahl der Symbolbilder.

Gouvernantenprosa

Im Blog des Perlentauchers hat Thierry Chervel eine sehr ausführliche Must-Read-Kritik an verschiedenen in den Feuilletons deutscher Zeitungen erschienenen Texten veröffentlicht.

Es geht um „eine tapfere kleinere Minderheit aus Freitag, taz, Zeit, Süddeutsche, FAZ und FAS“, die sich gegen die Riesen Henryk M. Broder, Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek wendet.

Der Karikaturenstreit war eine Zäsur in der Geschichte der Medien. Er war zwar noch von einer Zeitung ausgelöst worden, aber die allermeisten anderen Zeitungen dieser Welt – und auch die allermeisten Fernsehanstalten – nahmen den Impuls nicht mehr auf. Sie zensierten die Zeichnungen mit wenigen Ausnahmen. Sie nannten sie plump (oder „albern“, wie Thomas Steinfeld, mehr hier), um behaupten zu können, dass sich eine Veröffentlichung nicht lohne. Eine Kapitulation. Die Zeitungsleser informierten sich anderweitig. Eine einfache Google-Suche reichte aus. Seit dem Karikaturenstreit ist das Internet die eigentliche Öffentlichkeit, allen Wehmutsseufzern Habermas‘ zum Trotz. In den Zeitungen ließ die Affäre einen blinden Fleck. Und der breitet sich aus und pocht und arbeitet wie stets schon das schlechte Gewissen.

Immer saurer wird die Gouvernantenprosa (so Reinhard Mohr bei spiegel.de) unserer Verwalter der demokratischen Öffentlichkeit. Die Feuilletons sind zu Schutz- und Ausweichräumen eines immer mehr zum Pfäffischen tendierenden juste milieu geworden, das sich von den eigenen Traditionen der Kritik und des Witzes längst abgeschnitten hat. Klassisch liberale, aufklärerische Positionen lassen sich in praktisch keinem einzigen Feuilleton der Republik mehr artikulieren. Man erinnert sich an Zeiten, in denen Autoren wie Henryk Broder oder Ulrike Ackermann noch in der taz publizieren konnten, damals stand dort eine Fraktion der Realos gegen eine Fraktion der Fundis. Heute sind die Fundis weich gespült – und warten in sämtlichen Feuilletons auf die Rente.

(…)

Die Öffentlichkeit wird dadurch öde, weil die Gegenposition in den meisten dieser Medien gar nicht mehr zugelassen wird. So dankbar man sein muss, dass die Öffentlichkeit nicht mehr der Filter von „Qualitätsmedien“ wie den Feuilletons der FAZ und der SZ bedarf: Die Artikel der Thomas Steinfelds, Claudius Seidls, Thomas Assheuers und Andrian Kreyes sind ja doch Chefsache. Sie markieren ein weithin abgestecktes Terrain. Steinfeld münzt es auf die Gegenseite und beschreibt doch sich selbst: „Absolut selbstgerecht schauen die Kulturkämpfer auf sich selbst, und was ihnen entgegentritt, das wird geächtet. Der Debatte tut das nicht gut“, schreibt er in der SZ. Als würde nicht er selbst die Debatte organisieren, und als hätten die Keleks und Broders, die in der SZ in kurzer Zeit mehrmals angegriffen wurden, in dieser Zeitung je noch die Chance auf Erwiderung!

Das Behagen an der Unkultur (perlentaucher.de, Thierry Chervel, 18.1.2010)

„Die Menschen sind wie Flüsse“

“Eines der üblichen und häufigsten Missverständnisse ist, dass jeder Mensch seine bestimmten Eigenschaften habe, dass der eine Mensch gut sei, ein anderer schlecht, klug, dumm, energisch, apathisch usw. So sind die Menschen nicht. Die Menschen sind wie Flüsse: Das Wasser ist überall genau gleich, aber einige Flüsse sind schmal, andere breit, einige fliessen schnell, andere langsam, einige Flüsse sind klar und kalt, andere trüb und warm. So ist es auch mit den Menschen. Jeder Mensch trägt in sich den Keim aller menschlichen Eigenschaften und zeigt bald diese, bald die andere, und oft geschieht es, dass ein Mensch nicht einmal sich selbst gleicht, obwohl er die ganze Zeit ein und derselbe bleibt.”

Lew Tolstoj, zitiert in “Lew Tolstoj, Dichter und Religionsphilosoph”, Biografie von Geir Kjetsaa, Casimir Katz Verlag, Seite 75

Grippepanik auf allen Kanälen

Kürzlich habe ich endlich auch persönlich Leute kennengelernt, die Angst haben vor der Schweinegrippe. Kein Wunder, dass es diese Ängste gibt, wird doch im Grippemonat November mit steigender Kadenz in fast allen Medien über die vielfältigen Gefahren dieser Grippe berichtet. In Kassel beispielsweise ist bereits sowas wie „Hysterie“ ausgebrochen.

All jenen, die sich vor einer Anstreckung fürchten, sei dieses „Spiegel“-Interview aus dem Sommer 2009 dringend empfohlen.

„Sehnsucht nach der Pandemie“, spiegel.de, 20. Juli 2009

Darin gibt der Epidemiologe Tom Jefferson Auskunft über die Gefahren:

Es stimmt, dass Influenza-Viren mitunter unberechenbar sind. Eine gewisse Vorsicht ist deshalb geboten. Trotzdem finde ich es verrückt, welche Katastrophen uns Jahr für Jahr von den Grippeexperten vorausgesagt werden. Diese Prophezeiungen werden schlimmer und schlimmer. Dabei ist bislang keine davon jemals eingetroffen. Was zum Beispiel ist aus der Vogelgrippe geworden, an der wir alle sterben sollten? Nichts. Aber diese Leute machen trotzdem immer weiter und weiter mit ihren Vorhersagen. Manchmal kommt es mir vor, als hätten manche geradezu Sehnsucht nach einer Pandemie.

Bild-Zeitung in München
Bild: CC Flickr frollein2007

Wer die „Bild“- und „Bild am Sonntag“-Titelseiten studiert hat in letzter Zeit, weiss, wer diese Panik anschürt. Von den 27 Titeln zwischen dem 14. Oktober und dem 9. November 2009 waren zwölf! der Schweinegrippe gewidmet (mehr bei bildblog.de).

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Birgit Schmid löst mal kurz die Weltprobleme

Geht es nach Birgit Schmid, sind die Probleme der Weltwirtschaft leicht zu lösen: Mit Frauen an der Macht.

„Gebt das Geld in Frauenhand!“ rief ihr „Magazin“-Artikel vom 6. März 2009, denn damit hätte nichts geringeres als die Finanzkrise verhindert werden können: „Wenn die Finanzmacht weiblicher wäre, wäre es nie zu diesem Crash gekommen.“

Ein halbes Jahr später wird, erneut im „Magazin“, ein von ihr geführtes Gespräch mit „Die Weiber-Wirtschaft“ übertitelt. Und auch hier wird rasch klar: „Kluge Firmen setzen auf Frauen im Verwaltungsrat.“

Wer in diesem Interview nur mal auf die Fragen von Journalistin Schmid achtet, der findet nicht viel Neugierde darin, sondern starke eigene Meinungen. Zu lesen sind dort, wo in einem Interview in der Regel die Fragen stehen, diese Sätze:

Es braucht mehr Frauen in Führungspositionen, darüber herrscht heute ein Konsens.

Muss erst die alte graue Garde abtreten, damit Frauen selbstverständlich werden?

Dann ist es ein Klischee, dass, wo viele Frauen aufeinandertreffen, der Hennenkampf ausbricht?

Karriere zu machen und Kinder zu haben ist selbstverständlich geworden.

Es gibt noch so rückständige Männer, die erfolgreiche Frauen weniger weiblich finden?

Frauen wollen geliebt werden.

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