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Martin Riemer, 45, IT-Assistent an einer Grundschule, Berlin-Kreuzberg

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Da ich an einer Grundschule in Friedrichshain-Kreuzberg arbeite, stehe ich sehr früh auf, um kurz vor 6, und mach mich dann erst mal bereit und klapp den Laptop auf. Kurz nach 7 radle ich dann von Kreuzberg nach Friedrichshain rüber, schliesse den Computerraum auf, sag Hallo im Lehrerzimmer, hol meinen Schlüssel ab und bereite mein Tagesgeschäft vor. Ich hab mit Kindern und Lehrern zu tun. Den ganzen Morgen, während Unterricht ist, helfe ich den Schülern, Probleme am Computer zu lösen – und bin somit der Feuerwehrmann vor Ort. Ich löse Fragen wie „Was ist denn jetzt los? Wie speicher ich das? Wie kann man denn Dokumente ausdrucken? Wie rücke ich eine Überschrift in die Mitte?“. Man könnte mich auch als der Speicherer der Schule bezeichnen, zum Beispiel fotografiere und archiviere ich auch Schülerfeste.

Schwieriger ist es dann schon, einem Kind zu erklären, was ein Hyperlink ist. Ich sag das dann so: Stell Dir vor, Du latschst auf einem riesigen Blatt Papier herum und da steht ein Text drauf. Dann kommst du an ein Wort und da guckt eine Kante raus. Und da geht eine Tür auf. Und die geht in den Keller runter. Oder in den Speicher hoch. Und dann bist du in einem anderen Raum.

Von Haus aus bin ich Tischler in der vierten Generation und hab im elterlichen Betrieb bei meinem Vater gelernt. Mein Wunschsberufsbild im Moment wäre IT-Assistent an einer Grundschule. Inoffiziell bin ich „der Riemer für alles“. Zum Job bin ich so gekommen: Ich war eine Weile arbeitslos und sollte vom Arbeitsamt aus an irgendeinen Platz geschickt werden. Ich bin darauf mit meiner Idee, mit den Schülern einer Grundschule ein Weblog zu führen, an die beteiligten Personen herangetreten, denn ich wollte ja nicht einfach irgendetwas machen. Ein Freund von mir erklärte sich bereit, das Hosting zu übernehmen und so führen wir nun seit November 2006 ein Weblog, das sich unterdessen mit über 400 Kommentaren gefüllt hat, was zeigt, dass es von den Schülern und Schülerinnen ernstgenommen wird.

Im Blog hat jeder einen Spitznamen. Die Zugriffe sind, da das Blog nur innerhalb der Schule zugänglich ist, natürlich beschränkt. Die Rückmeldungen darauf waren gut, an den Elternabenden konnte ich auch den nicht internetaffinen Eltern erklären, was es heisst, ein Blog zu betrieben. Ein Blogbeitrag entsteht entweder aus einem aktuellen Ereignis oder es ist so, dass eine Idee vorliegt, entweder von mir oder von einer Lehrperson.

Mein Prinzip ist „Lernen durch abgucken“ und das scheint zu funktionieren, denn immer mehr Beteiligte stellen immer weniger Fragen. Ich betreibe eine Politik der offenen Tür und bin sehr froh, dass das auch funktioniert. Es ist ein sympathisches Chaos, in dem man keine Schalterstunden anberaumen kann. Meinen Job sehe ich als Plug-In, als Bereicherung zum üblichen Programm. Ich bin sehr zufrieden damit und würde ihn gerne auch auf andere Schulen ausweiten.

Ich bin selbst sehr lange zur Schule gegangen, was ich mittlerweile auch ganz furchtbar finde. Aber wer meint, dass Lehrer und Erzieher nur immer Ferien haben, liegt falsch. Im Gegenteil, die haben ein anstrengendes Leben. Lehrender sein ist eine Bühne und ein Kick: Um 8 die erste Präsentation, um 9 die zweite.

Ich wohne seit zehn Jahren in Berlin und bin hier gerne am Wasser. In meiner Freizeit blogge ich, schon seit 2004. Fernsehen habe mehr oder weniger abgeschafft. Sport mach ich im Moment nicht, war aber ’76 mal badischer Meister, 4 x 100 Meter. Ich glaube, ich bin ein gutes Beispiel dafür, wie alles durch den Wolf gedreht wird: Freizeit, Arbeit, glücklich sein.

Hallo Berlin!

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Den ersten Gesprächsfetzen in Berlin erhaschte ich am Flughafen Schönefeld, als ich an der Wechselstube hinter einem älteren Berliner mit rauchiger Stimme stand. Er sagte: „… sie wissen ja ooch … wir hams nicht leicht … da zählt jeder Pfennich … äh … Cent“. Dann wünschte er einen schönen Tag und verschwand, worauf mir die Frau hinter der Theke auf irgendeinen sehr ungeraden Betrag, Quittung inklusive, exakt 240 Euro und 0 Cents aushändigte, allerdings erst, nachdem sie jede der ihr überreichten Noten aufs Genaueste auf jede Sicherheitsvorschrift prüfte.

Es ist kaum mehr als eine Binsenweisheit und man kann das wohl über alle grösseren Städte aussagen, aber: Hier ist immer was los. Egal, ob man aus der Haustüre tritt und einem ein junger Mann im Laufschritt entgegen kommt, mit einem riesigen Stosszahn eines Elefanten auf der Schulter. Oder ob man ein paar Meter weiter einen Mann aus einer Kneipe kommen sieht, der mit lauter Stimme zwei, drei Worte spricht, nur um dann anschliessend in einer Tür gleich neben dem Kneipeneingang zu verschwinden. Oder einem wird vor die Füsse gespuckt, wenn man beim Joggen am Lichtsignal warten muss.

Joggen ist übrigens eine hervorragende Art, Berlin zu erkunden. Wenn man einigermassen fit ist, sieht man recht schnell recht viel. Ein Schock war der Sonntagmorgen, als ich um 10 Uhr morgens der Spree entlang lief: Hunderte, ach was sag ich, Tausende von Joggern! Als sei man in einen Volkslauf geraten, der gleichzeitig in beide Richtungen verläuft. Es ist halt Frühling, Zeit der guten Vorsätze und der Angst vor dem Bikini. Nach welchen Kriterien hier die Jogger einander grüssen, hab ich noch nicht ganz begriffen – da ich von mindestens drei Schnellläufern gegrüsst wurde, muss ich annehmen, dass sich die Langsamläufer auch grüssen.

Einmal rannte ich der Mauer entlang, DER Mauer, bzw. dem, was noch davon übrigblieb und wurde prompt von einem Chinesen aufgehalten, der gerne ein Foto von sich und der Mauer nach Hause tragen wollte. Als ich nach dem zweiten Bild zwei Schritte rückwärts machte mit seiner Kamera in der Hand, trippelte er schon nervös auf mich zu. Ich aber drückte sie entschieden vor mein Gesicht, worauf er brav auch noch für ein drittes Bild stehenblieb. Als ich sie ihm wieder zurückgab, dankte er mir freudestrahlend und schüttelte mit beiden Hände die meinen.

Prominenz habe ich auch schon gesehen und wenn man das erzählt, ist es ein Faux-Pas. So habe ich das jedenfalls gelesen in der Spiegel-Sonderausgabe über Berlin, die auch schon einen Monat alt ist. Denn die Stars fühlen sich hier wohl, weil sie nicht von jedem angequatscht werden, was ich unbedingt richtig und gut so finde. Ich erzähl euch aber dennoch und auch brühwarm, dass der liebe und gute Toni Mahoni offenbar Nähprobleme hat. Denn sonst hätte er wohl kaum eine Tür betreten, über der gross das Schild „Nähstudio“ stand. Maxim Biller hingegen (es sei denn, es war sein exaktes Abbild in Physis) sass über Zeitungen gebeugt in einer Bibliothek und stöhnte, durchaus alle anderen beim lesen störend, laut auf, sobald ein verbotener Handyklang ertönte oder er eine schreckliche Zeile lesen musste. Tatsächlich aber schrieb sich konzentriert Daten aus Kleinanzeigen heraus, vielleicht hat der Arme ja kein Internet.

Ein paar Regeln, was Berlin anbetrifft, wurden mir schon beigebracht:

1. Der Scan-Blick für Hundescheisse

Entweder man gewöhnt sich das an oder aber man läuft herum mit dreckigen und stinkenden Schuhen. Letztes Mal bin ich am dritten Tag reingetreten, bisher, touch wood, noch nicht.

2. Egal wo du hinwillst, es dauert eine halbe Stunde

Das hab ich einfach mal geglaubt, aber natürlich dauert es länger. Oder ich bin Anfänger und darum dauert es länger. Ich kam jedenfalls auch unter Berücksichtigung dieser Golden Rule eine Viertelstunde zu spät. Aber was hat Zeit schon für eine Bedeutung hier – hier machen alle alles zu jeder Tageszeit.

3. Das Codewort der Backwarenfachverkäuferin für länger liegengebliebene Ware

lautet: „Oh, an diesem Stück hier sind ein paar Mandeln abgesplittert, ich machs ihnen 10 Cent billiger“