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Deutschland, Entwicklungsland für Demokratie?

In Deutschland wird direkte Demokratie nur simuliert. Es ist an der Zeit, dass sich Bürgerbewegungen stark machen, die Gesetze selbst und nicht nur über Volksvertreter zu bestimmen. Das Internet bietet dafür hervorragende Möglichkeiten.

Die Bundestagswahl war noch nicht einen Monat vorüber und die Koalitionsverhandlungen gerade abgeschlossen, als der “Spiegel” von einem schwarz-gelben Fehlstart sprach und das auf den Titel setzte. Auch die SPD wendet sich bereits wieder gegen Gesetze, für die sie sich noch für einem halben Jahr verantwortlich zeigte (Netzsperren). So läuft das in der Mediendemokratie Deutschland. Wer in der Opposition ist, darf austeilen und alles besser wissen, wer regiert, muss sich andauernd rechtfertigen.

Das ist wohl in allen politischen Systemen so, doch in der Schweiz fällt dieser Mechanismus nicht ganz so leicht, da die Exekutive auf Bundesebene aus sieben Bundesräten besteht, die aus (derzeit) fünf verschiedenen Parteien stammen.

“Und so soll man regieren können?” fragen dann Deutsche ungläubig. Offenbar funktioniert’s. Doch verstanden wird das nicht. Meistens wird das Diskussionsthema schnell abgehakt mit einem “Das mag ja in der kleinen Schweiz funktionieren …”

Was auch funktioniert in der kleinen, viersprachigen Schweiz, und das seit über 140 Jahren, ist die direkte Demokratie. Eben wurde die Minarett-Initiative von Volk und Ständen angenommen – sie fand nicht mehr als rund 43 Prozent Ablehnung unter den Stimmbürgern. Aufgenommen wurde die Entscheidung verschieden, ein Aufschrei der Empörung war vor allem aus akademisch gebildeten Kreisen zu vernehmen, die den Diskurs prägen, auch in den Medien.

Heinrich Wefing beispielsweise, der für die “Zeit” gemäss Profilseite “ein liberales Auge auf die Rechtspolitik” hat, schrieb auf die Titelseite der Zeitung: “Wozu aber noch Plebiszite, wenn die Politik wetterfühlig wird wie ein Rheumatiker?” und behauptete, ohne auch nur den Versuch eines Beweises zu wagen: “Das Parlament ist heute demokratischer als jedes Plebiszit.”

Der Berlin-Korrespondent der NZZ, Ulrich Schmid, diagnostizierte in den deutschen Medien eine “herablassende Selbstgerechtigkeit, mit der die schweizerische Entgleisung zunächst gerügt wurde”. Im lesenswerten Artikel stellte er fest, dass gerade Deutschland sich direkte Demokratie erlauben könnte, wegen dem starken Grundgesetz, das eine Minarett-Initiative schon im Vornherein verunmöglicht hätte.

Fragt man das Volk und nicht die Leitartikler, dann sieht es anders aus. Eine vom Verein Mehr Demokratie e.V. in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage von Juni 2009 (PDF-Datei, 68 kb) zeigt unter 1004 Befragten eine klare Mehrheit für Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene.

"Wahlurne" in Berlin Neukölln

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480’000’000’000 geheime Euro

Vor der Bundestagswahl 2009 in Deutschland (4)

Deutsche Parlamentarier dürfen über einen Betrag, der doppelt so gross ist wie der gesamte Bundeshaushalt, nicht entscheiden und werden auch nur sehr spärlich informiert. Es geht um 480 Milliarden Euro an direkten Hilfen und Bürgschaften. Stattdessen droht ihnen eine Gefängnisstrafe, sollten sie Informationen, die sie darüber erfahren, publik machen:

Entmachtet hat sich das Parlament selbst, im Eilverfahren während der Panik der Finanzkrise. Mit Stimmen von CDU, SPD und der FDP hat sie die Verantwortung am 17. Oktober 2008 an den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) ausgelagert.

Es liegt also nahe, eine Partei zu wählen, die sich für die Bürgerrechte einsetzt. Die gewählte Staatsform nennt sich ja immer noch Demokratie.

Die Krise der Sozialdemokratie

Vor der Bundestagswahl 2009 in Deutschland (3)

SPD Prenzlauer Allee
Plakat der SPD an der Prenzlauer Allee, Berlin

So hat sich das die SPD nicht vorgestellt. Das eigene Plakat derart verschandelt? Die SPD ist doch die Partei, die sich selbst als die „Guten“ sieht, und meint, das „Gute“ zu tun. Und jetzt meinen „irgendwelche anonymen Schmierfinken“ (so werden die bezeichnet, da bin ich mir sicher), man stehe nicht für den Arbeitsplatzkampf (was für ein blödes Wort), sondern für Wörter wie „neoliberal“ und „asozial“? Mit denen bezichnet man doch in der SPD die Gegner!

Das Problem der SPD ist nicht nur, dass sie seit 11 Jahren Regierungsverantwortung trägt. Es sind auch nicht die rechtsradikalen Nationalisten der NPD oder die wirtschaftsliberale FDP, die in vielen Punkten das Gegenteil vertreten. Das Problem der SPD sind die Parteien, die das, was die Partei immer schon vertritt, nun auch vertreten. Also mit minoren Abweichungen die CDU, die Linke, die Grünen. Alle sie vertreten (inzwischen) eine „starke“ soziale Marktwirtschaft. Und alle sie meinen mit „stark“ nicht etwa den Markt, sondern das „sozial“. Und „sozial“ heisst offenbar: Richtig viel Staat und Gesetze, möglichst alles regulieren und reglementieren, möglichst nichts seinem freien Lauf überlassen.

Nicht nur, dass sie es sich mit Johnny Häusler verscherzt hat – vor allem die Verabschiedung der CDU von der Marktwirtschaft (wir erinnern uns an das Enteignungsgesetz) hat der SPD nachhaltig geschadet. Gewinner von dieser Verabschiedung ist die FDP, wie die Umfragen zeigen.

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Hiltrud Breyer: Mit Anwälten gegen das Internet

Hiltrud Breyer ist seit 1989 Abgeordnete im Europäischen Parlament für Bündnis 90/Die Grünen. Während sie auf ihrer Website freundlich ihr Gesicht zeigt, ist es ihr unglaublich peinlich, als sie überraschend in den EU-Räumlichkeiten gefilmt wird und stösst sich fast den Kopf an der Wand neben der Lifttüre (Video, youtube.com, 6:02 Minuten, Szene ab 3:40 Minuten):

Nachtrag, 17. Dezember 2010: Das Video ist auf YouTube nicht mehr verfügbar. Man kann es sich aber auf der Website dumpert.nl ansehen.

Sie hält die mit Drehgenehmigung erstellte Aufnahme, die sie bei ihrer mit Geldern entlöhnten Arbeit zeigen, für „unverschämt“. „Das ist nicht zu fassen, lassen Sie mich“, sagt sie und obwohl sie „überhaupt kein schlechtes Gefühl“ hat, dreht sie ihren Kopf weg von der Kamera.

Das sehenswerte Video (eine beim deutschen Privatsender RTL bei Punkt12 gezeigte Sendung) wurde am 4. März 2009 von Marco Kanne auf der Website opponent.de verlinkt und eingebunden. Nun erhielt er offenbar Post einer Anwaltskanzlei, die ihn darauf aufmerksam machte, er müsse mit einer „Vertragsstrafe“ rechnen und dürfe das Schreiben nicht erwähnen, nicht einmal „sinngemäss“.