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Der Verlust des Grundsätzlichen

In unserer immer besser und immer reibungsloser funktionierenden Welt gehen die Grundlagen vergessen.

* * *

Sitzende Menge in Saragossa

In Griechenland und Spanien, bald auch in anderen Ländern, demonstrieren Menschen gegen die Sparmassnahmen der Regierung.

Vergessen oder verdrängt wird dabei, dass diese Regierungen nahezu pleite sind. Es bleibt ihnen also, wenn sie nicht auf einen totalen Bankrott zusteuern wollen, gar nichts anderes übrig, als zu sparen.

Und auch wenn sie nicht sparen wollen: Organisationen, die nahe an der Pleite sind, verlieren überall ihren Handlungsspielraum. Die deutschen Bundesländer Berlin, Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein werden wegen einer „drohenden Haushaltsnotlage“ überwacht – es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ganz ihre Souveränität verlieren. Kaum noch Handlungsspielraum haben inzwischen auch die europäischen Schuldenstaaten Griechenland, Irland und Portugal. Andere werden folgen.

Auf längere Frist wird so die Demokratie und der Föderalismus ausgehebelt – de facto entscheidet ein undurchsichtiges Konglomerat aus Staatsspitzen, Organisationen und Banken.

Die Demonstrationen gegen die Sparmassnahmen sind zwar nachvollziehbar, aber auch sinnlos. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Es wird gespart. Oder es droht der Bankrott. Alle anderen möglichen Massnahmen liegen irgendwo dazwischen – sie werden nicht zu einer Verbesserung der Situation führen. Es sei denn, die Wirtschaft dieser Länder erholt sich. Dazu bräuchte es (kurzfristig) aber schon sowas wie ein Wunder.
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Schweizer Journalistengewerkschaften beklagen sich über die Pressefreiheit

Steinigt ihn, er hat eine Frage gestellt!
Die Schweizer Mediengewerkschaften SSM, syndicom und impressum beklagen sich über einen Journalist, der sich erlaubt, Fragen zu stellen.

Darf ein Reporter Fragen stellen? Die Schweizer Journalistengewerkschaften sind dagegen.Schweizer Mediengewerkschaften protestieren, weil sich eine Zeitschrift erlaubt hat, per E-Mail einigen bei der öffentlich-rechtlichen SRG angestellten Redaktoren Fragen zu stellen.

Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, verschickten sie heute Mittwochmorgen per E-Mail einen Brief (PDF-Datei) an ihre Medienverteiler, also an ungefähr alle Deutschschweizer Journalisten. Online findet sich ein Hinweis auf den Protest nur bei SSM, dem Syndikat Schweizer Medienschaffender. Bei Syndicom und impressum scheint man zurückhaltender vorzugehen (oder aber die Solidarität mit dem augenscheinlich federführenden SSM bereits wieder aufgekündigt zu haben).

Im Brief zu lesen ist zum Beispiel das:

Die Weltwoche hat einer Anzahl von Journalisten in der SRG per Email Fragen nach deren persönlichem politischem Hintergrund gestellt (Fragen siehe unten). Das Ziel ist klar: Mit einer unklaren Art von Umfrage sollen die Journalisten der SRG als „links“ diffamiert werden.

Die Weltwoche greift damit in die Privatsphäre und die verfassungsmässig garantierten Freiheitsrechte der Journalisten ein. Sie macht die falsche Gleichung, dass jeder Journalist seine professionelle Arbeit nach seinen persönlichen politischen Präferenzen ausrichtet. Wir fragen: wo sind da die Grenzen? Müssen sich in Zukunft Journalisten auch über ihre Religion ausweisen, weil auch religiöse Fragen Gegenstand der journalistischen Arbeit sind?

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Max Frisch vs. Kurt Furgler 1978

Wann haben Sie zuletzt eine Sendung gesehen …

… in der ein Schriftsteller, explizit in seiner Rolle als „Staatsbürger“ …

… mit einem Exekutivpolitiker, der sich explizit zur direkten Demokratie bekennt …

… eine Stunde lang über Poesie und Politik spricht? (Max Frisch zu Kurt Furgler: „Sie müssen Massnahmen ergreifen. Die Poesie muss keine Massnahmen ergreifen.“)

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Bobby California

Ein Medienkritikerkritiker kämpft gegen Missstände in der Medienkritik.

Rumpelstilzchen
Bild: DDR-Briefmarken von 1976, Wikimedia Commons, CC BY-SA-Lizenz.

Man muss bei dieser Geschichte ganz vorne anfangen. Also, zuerst gab es Zeitungen. Dann kam das Internet. Und mit dem Internet fanden Medienkritiker, die es schon immer gab, eine Möglichkeit, die Arbeit der Zeitungsmitarbeiter direkt und ungefiltert zu kritisieren und zu kommentieren. Manche Medienkritiker gründeten Medienblogs, in denen sie diese Kritik institutionalisierten.

Das wiederum rief Bobby California auf den Plan, ein anonym bleiben wollender Internetnutzer, der lange in den Kommentarspalten des Medienblogs „Medienspiegel“ aktiv war, dann aber selbst zum Blogger wurde.

Der Grund ist folgender:

Ich habe dieses Blog gegründet, damit ich ungestört auf den Bloggern herumhacken kann. Das ist dringend nötig. Ich habs satt, dass die Blogger ständig auf den Journalisten herumhacken. Ab sofort wird zurückgehackt. Ich habe nie behauptet, dass das die Lösung für die Medienkrise sei. Es ist eine Antwort auf das Journalisten-Bashing, nicht mehr und nicht weniger.

Weil ich tatsächlich davon überzeugt bin, dass konstruktive Kritik auf lange Frist jedes Produkt verbessert, kann ich es nur begrüssen, wenn Medienkritikerkritiker sich daran machen, die Arbeit von Medienkritikern zu überprüfen. Kritische Anstösse geben immer wieder Anlass zur Veränderung, und das ist richtig so.

Bobby California ist ein Schreiber mit einem originellen Sprachschatz. Alleine ich wurde von ihm schon (in teilweise wieder gelöschten Beiträgen) als „einer der verblendetsten Internet-Gläubigen und einer der verbissensten Journalisten-Basher“, „einer der verblendetsten Digital-Religiösen“ oder kurz als „der einfältigste Blogger weit und breit“ bezeichnet. Meine Texte als „halbgarer Quatsch“, „hanebüchener Quatsch“ und „einfältiges Zeug am Laufmeter“. Wie ich das mache? Natürlich in meiner „gewohnt penetrant-quengeligen Art“, schliesslich mäkle ich „die ganze Zeit bloss rum“.

Die Diskussion mit Bobby California habe ich schon lange eingestellt, weil sie, wie bei allen Trollen, zu nichts führt.

Da es im Internet nichts gibt, über das nicht noch eine weitere Ebene gelegt werden könnte, gibt es nun mit „Jenny Virginia“ eine ziemlich gelungene Parodie des Medienkritikerkritikers. Man vergleiche hier:

Jenny Virginia vs. Bobby California

So wenig ich weiss, wer Bobby California in Wirklichkeit ist, so wenig weiss ich, wer hinter dieser Parodie steckt. Vielleicht ein Journalist aus einem Zürcher Zeitungsverlag? Aber das ist ja auch nicht so wichtig.

Damit Bobby California das Schlusswort haben kann, schliessen wir für einmal die Kommentare:

Es ist unglaublich, mit welcher Hartnäckigkeit Sie die Fakten verdrehen, damit Sie Ihre Vorurteile aufrecht erhalten können.

(Jenny Virginia via Journalistenschredder)

Nachtrag, 28. Juli: Die parodierte Website bobbycalifornia.blogspot.com hat nun ein neues Layout.

Nachtrag, 27. Oktober 2011: Bobby California ist ein Schweizer Journalist. Mehr dazu im Porträt von Nick Lüthi auf „Medienwoche“.

Maientage in der Bundespressekonferenz

Die Bundespressekonferenz in Berlin im Mai 2010 (Text auf journalist.de).

Ulrich Wilhelm (Bild: Bundesregierung, Sandra Steins)

Die Beantwortungsmaschine
Mittwoch, 19. Mai 2010

Am Osteingang der Bundespressekonferenz sehe ich den Portier ein offenbar bekanntes Gesicht herzlich begrüssen, mich aber blickt er finster an, als ich ihm mehrfach sage, dass ich zur Bundespressekonferenz möchte. “Ja, aber an WELCHE Konferenz denn?”, will er wissen. Erst als ich die ausgedruckten Akkreditierungsunterlagen finde, hellt sich sein Gesicht etwas auf und er führt mich zur Büroleiterin Roswitha Kreutzmann. Dass ich fünf Minuten zuvor problemlos durch den Westeingang hineingekommen bin und mir bereits einen Überblick verschafft habe, sage ich ihm nicht. Mit dem Segen von Frau Kreutzmann darf ich mich in eine bereits eröffnete Konferenz setzen. Aber nur, wenn ich die Mütze ausziehe und keine Fragen stelle.

Gernot Heller, Reuters, will wissen, was hinter der Eilbedürftigkeit zum Rettungsschirm steckt, warum der Bundesrat Sondersitzungen einlegen soll, ob es denn Marktunsicherheiten gebe. Eine Frage zum Fall Jemen: “Gibt es einen neuen Stand zu den Geiseln?” Sprecher Peschke wiederholt, was Aussenminister Westerwelle am Abend zuvor schon sagte. Nein, zu den weiteren vermissten Geiseln gebe es keine neuen Informationen. Er spricht leise und gedämpft. Das Mitgefühl mit den Entführten wird so spürbar. Weitere Nachfragen werden keine gestellt.

Nach der Auflösung der Konferenz bittet Ulrich Wilhelm, Regierungssprecher der Bundesregierung, eine Schulklasse und eine Gruppe internationaler Blogger, die zuvor als Gäste die hintersten Reihen besetzten, nach vorne zu einem informellen Gespräch “unter drei”. Er stellt auf sympathische, kurzweilige und informative Art seine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Institution Bundespressekonferenz vor. Beantwortet Fragen eines Schülers zur Dauer des Zivildiensts und Fragen eines nigerianischen Bloggers zu deutschen Firmen in seinem Land. Gibt seinem Erstaunen Ausdruck, dass heute keine Frage zum Atomprogramm im Iran gefallen sei. Und erklärt, das hänge mit der Ausdünnung der Redaktionen zusammen. Nicht jede Redaktion habe noch Spezialisten für jedes Themengebiet – nur die Grossen: Spiegel, Süddeutsche, FAZ und die öffentlich-rechtlichen.

Die Regierung macht den Eindruck einer gut geölten, nahezu perfekt funktionierenden Maschine in eigener Sache. Eine Maschine, die auch mehrteilige Fragen ungerührt aufnimmt, sie bearbeitet und dann ernsthaft beantwortet – natürlich ohne im Idealfall je in Bedrängnis zu kommen. In wenigen Sekunden, als wäre vom Staat nichts anderes zu erwarten. Nichts, wofür es nicht eine vernünftige Erklärung gäbe. Doch: Ist das überhaupt gewünscht von Medien, die vermehrt auf Politzirkus setzen? “Jede Bemerkung zur Sache wird sofort für oder gegen Personen gewertet, am liebsten gegen die Führung”, sagte der abtretende Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, kürzlich dem “Spiegel”.

Kristina Schröder (Bild: CC Flickr VoThoGrafie)

Finger wie Raketen
Donnerstag, 20. Mai 2010

Fünf TV-Kameras, elf Fotografen und rund dreissig Journalisten erwarten die Familienministerin, die je nach Zeit und Medium Köhler oder Schröder heisst. Heute heisst sie Schröder, Kristina, Dr. Sie betritt, begleitet von den Experten Rürup und Wille, den Raum um 12:01 Uhr, was von den seit Minuten am Podium wartenden Fotografen mit begeistertem Klicken aufgenommen wird. “Frau Minister”, “zu uns”, “nochmal rüber bitte”, rufen sie ihr zu. Um 12:02 wünscht Sitzungsleiterin Antje Sirleschtov vom “Tagesspiegel” einen schönen guten Tag. Die Fotografen nehmen Abstand und verziehen sich in die erste und zweite der mittleren Stuhlreihen, nicht ohne mit dem Klicken aufzuhören.

“Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass wir unsere Probleme immer mit mehr Geld lösen”, sagt die Ministerin, so ist es am nächsten Tag in der “Süddeutschen Zeitung” nachzulesen. Eine Viertelstunde lang erläutert sie ihren Entwurf zur Familienpflegezeit. Beim Erklären zeigt sie immer wieder den ausgefahrenen, aber angewinkelten Zeigefinger, wie das von Aussenminister Westerwelle bekannt ist (wobei dieser dazu jeweils den Arm im Takt der Argumente hoch und runter bewegt). Sobald Schröder den Finger mal streckt oder andere Gesten macht, geht die Kadenz der Fotoklicks hoch.

Zur Familienpflegezeit berichten dann die meisten Zeitungen nichts, einen kurzen Artikel dazu finde ich in der “Financial Times Deutschland”. Auf Seite 6 der “Süddeutschen Zeitung” ist kein Foto von Schröder abgedruckt, sondern eine Zeichnung, die sie mit etwas naivem Blick, grossen Lippen und Knopfohrringen zeigt. Eingeklemmt zwischen Daumen und Zeigefinger ihrer an den Knöcheln aufeinandertreffenden Fäuste ist ein kleiner Buggy, auf dem ein Männlein ohne Nase sitzt, der einen ungewöhnlich gemusterten Pulli trägt.

Daneben steht ein ausführlicher Artikel mit dem Titel “Das Küken macht Flugversuche”. Um die Familienpflegezeit geht es darin nur am Rande, dem Autor Stefan Braun ist die “überbordende Gestik” aufgefallen – beinahe jeder ihrer Sätze werde von “mächtigen Handbewegungen” begleitet, “wie ein Teenager, der, weil er besonders wichtig sein will, seine Eltern nachmacht”. Und so geht es weiter: “Schröder liefert wenige altkluge Sätze, aber sehr viele altkluge Gesten. Sehr lange ausgestreckte Zeigefinger, sehr weit ausgestreckte Arme, sehr resolut wegschiebende Handflächen. Alles Gesten, die immer zwei Nummern zu groß sind gemessen an ihrer zierlichen Statur und in ihrer derzeitigen politischen Bedeutung. Es sind diese Momente, die einen daran erinnern, dass die Bundestagsabgeordnete doch sehr früh und sehr schnell Karriere gemacht hat.”

So kann man das offenbar sehen. Auf mich wirkte die Ministerin eher so, als wolle sie nichts mehr als natürlich sein, als wolle sie nicht nach Anleitung ihrer PR-Leute funktionieren, als wolle sie sich nicht verbiegen für die Fotografen oder Journalisten. Doch offenbar erwarten die das von ihr. In einem “Spiegel”-Artikel, der einen Besuch von Schröder in einer Kindertagesstätte dokumentiert, wird ein Fotograf mit den Worten ”Jetzt hat sie doch tatsächlich keinen einzigen Kinderkopf getätschelt” zitiert. Und was, wenn sie hätte?

Ist es der Politiker, der maßlos eitel, populistisch und nicht sachorientiert ist? Oder wird er vom Journalist nur so dargestellt? Was für einen Mehrwert haben die unzähligen Bilder von Schröder an dieser Pressekonferenz für den Medienkonsumenten? Ist es nicht die Gier der Presse nach einem möglichen Fehltritt, nach einer unvorteilhaften Pose, nach einem überflüssigen Wort, die den Politiker zu einer unnahbaren, scheinbar seelenlosen Rhetorikmaschine macht? Der ihn alles Eigene, Persönliche, jede menschliche Unsicherheit tief in sich verschliessen lässt? Ist es nicht inkonsequent und auch unfair, nach markigen Worten zu gieren, nur um diese, wenn sie denn fallen, auf das Schärfste zu verurteilen? Die in der Spitzenpolitik gewählten Worte sind unter ständiger Beobachtung der Regierungsmaschine und der Medienmaschine, was zu Auswüchsen führt, von denen man nicht weiß, ob man sie verlachen oder beweinen soll. Man kann es doch nur als Irrsinn bezeichnen, wenn Kanzlerin Merkel den Rücktritt von Bundespräsident Köhler “auf das Allerhärteste” bedauert, wie sie das Ende Mai getan hat.

Neben mir kämpft eine Kamerafrau mit angestrengter Miene mit der Arretierung des Stativs. Zwei Journalisten stellen je eine Frage und verlassen dann gemeinsam den Raum. Dann kniet kommentarlos ein Mann vor mich nieder, das Mikrofon seiner Kamera weist ihn aus als Mitarbeiter von “Das Erste”. Er filmt ein paar Sekunden an mir vorbei in die hinterste Besucherreihe, aus der zuletzt gemurmelte Dikussionen zu vernehmen waren. Vorne spricht Professor Dr. Dr. h.c. Bert Rürup von betriebsspezifischem Humankapital, von Wertkonten und der Kreditausfallversicherung. Alle anwesenden Journalisten schreiben auf einem Spiralblock. Neben einem Kameramann bin der einzige mit Laptop im Saal. In den vier Tagen, in denen ich die Bundespressekonferenz besuche, sehe ich nicht einen Journalisten mit einem Laptop.

Bundespressekonferenz in Berlin (Bild: CC Flickr haasweyregg)

Wasser unter fruchtlosen Bäumen
Freitag, 21. Mai 2010

12 Uhr, Regierungspressekonferenz, anwesend sind elf Journalisten, kein Fotograf, zwei Kameras. Schon nach 13 Minuten gibt es keine weiteren Fragen. Die rund 15 Regierungsvertreter packen ihre Dokumente zusammen und gehen. “Ich hätte noch viel zu erzählen gehabt!”, sagt einer der Sprecher beim Rausgehen zu einer Kollegin. Eine Journalistin, die mehrere Fragen zum Sparpaket stellte, ärgert sich in der Kantine: “Diese Pressekonferenzen sind ja so gähnend leer jeweils”. Vermutlich sitzt wieder ein Großteil der Mitglieder im Büro und schaut am Fernsehen zu. Seit es diesen Service gibt, kommen weniger Journalisten in das von den Architekten Nalbach + Nalbach gestaltete Gebäude. Es wurde im April 2000 nach zwei Jahren Bauzeit fertiggestellt. Inhaber ist die Allianz Gruppe.

Im grossen Innenhof stehen vier fruchtlose Bäume, Bucida Buceras, schwarze Olive. Eine breite Treppe führt hinauf ins Glashaus der Journalisten und Sprecher. Man hat sich bemüht um “warme” Farben: am Boden liegt ein hellroter Teppich, das im Gebäude verwendete Holz ist von der Hemlock-Tanne und im Hintergrund der Politiker scheint ein ausgeklügeltes Blau, das sie im idealen Kontrast erscheinen lässt. Unter der Treppe wird zu fairen Preisen Caesar Salad, Fisch und Reis, Kaffee und Teilchen angeboten. Gestalterischer Höhepunkt ist der Wassergraben zwischen Hof und Bar, der mit einzelnen, freistehenden Quadersteinen besetzt ist. Die leuchteten früher auch mal, vor allem aber sind sie leicht zu verpassen, wenn man sich nicht achtet. Roswitha Kreutzmann hat mehr als einen nassen Fuss gesehen: “Da latscht regelmässig jemand rein, vielleicht einmal im Jahr”.

Per Internet sind die Pressekonferenzen der Regierung, anders als in der Schweiz beispielsweise, noch nicht zu sehen. Aber es mache ja durchaus Sinn, wenn die Leute vor Ort seien, sagt Werner Gößling vom ZDF, schwarzer Anzug, rote Krawatte mit schwarzen Querstreifen, Brille mit Goldrand, grau melierte Haare, Vorsitzender der BPK seit 2003 (bei den im März 2011 anstehenden Wahlen wird er aus Altersgründen nicht mehr kandidieren). Fragen müssen ja gestellt werden, sagt er. Und gewisse Diskussionen liessen sich eben von Mensch zu Mensch am besten lösen. Ausserdem habe ein Sprecher, zu dem man persönlichen Kontakt pflege, immer mal mehr Informationen. Durch die seit den 1970er-Jahren zugelassenen TV-Kameras hätten die Regierungssprecher an Bedeutung eingebüsst. “Die Minister und Regierungschefs wollen das selber machen. Und bei den TV-Stationen ist immer alles darauf ausgerichtet, einen O-Ton der wichtigen Minister und der Kanzlerin haben.” Auch wenn der Sprecher des Aussenministeriums an der Konferenz um 11:30 Uhr orientiert, so tritt der Aussenminister um 13 Uhr nochmals selbst vor die Mikrophone. “Im Fernsehen müssen sie die Nachrichten so gestalten, dass der Zuschauer sie ansieht. Da brauchen sie auch abwechslungsreiche Beiträge. Wenn hochrangige Leute auftreten, dann haben die Zuschauer das Gefühl, das sei wichtig.” Zu Artikeln, die der BPK eine schwindende Bedeutung attestieren, sagt Gößling: “Solche Zeitungsartikel gab es schon in den 50er-Jahren zu lesen. Das ist ein Mißverständnis: Die wichtigen Entwicklungen haben sich weder früher noch heute hier ereignet.”

Karussell an den Neuköllner Maientagen (Bild: CC Flickr onnola)

Auf dem Karussell
Epilog

Der Name Bundespressekonferenz ist irreleitend. Es handelt sich nicht um eine Institution der Bundesregierung (das ist das Bundespresseamt), sondern um einen Zusammenschluss von Hauptstadtkorrespondenten, die gemäß Statuten Deutsche sein müssen und ihre Tätigkeit hauptberuflich ausüben. Geändert wird der Name vorerst nicht – der letzte Versuch zur namentlichen Emanzipation mit einem Bindestrich (Bundes-Pressekonferenz) setzte sich nicht durch und wurde wieder rückgängig gemacht. Die Jahre nach der Gründung am 11. Oktober 1949 in Bonn wurde noch eifrig geraucht. Zuerst überall, auch auf dem Podium. Dann in Teilbereichen des Saals. Dann nur noch vor der Tür. Und seit einiger Zeit gar nicht mehr. Werner Gößling steht auf und greift sich einen Stuhl in der Zimmerecke. “Sehen Sie, das ist ein Originalstuhl aus Bonn, hier hinten an der Lehne ist der Aschenbecher montiert, für den Hintermann.”

Im Mitgliederverzeichnis finden sich von Nayhauß-Cormòns, Mainhardt Graf von (Freier Journalist) über Bannas, Günter (Frankfurter Allgemeine Zeitung) bis zu Wollschläger, Karin (KNA Katholische Nachrichten-Agentur) um die 900 Personen, die einen Monatsbeitrag von 20 Euro (freie Journalisten) oder 30 Euro (angestellte Journalisten) bezahlen. Aktiv seien rund 600, sagt mir Gößling, etwa so viele wie gewählte Parlamentarier. Dagegen steht die geschätzte Zahl der Lobbyisten in Berlin: 5000. Auf ein aktives BPK-Mitglied, auf einen Parlamentarier treffen also rund acht Lobbyisten.

Die Politiker, die Journalisten, die Lobbyisten. Sie sind nur ein kleiner Ausschnitt des Volks. Ein vergleichsweise privilegierter Haufen, der von Anlass zu Anlass hetzt und zwischendurch in Hinterzimmern entspannt. Die Dynamik zwischen ihnen bestimmt jedes einzelne Leben in Deutschland und auch anderswo. Journalisten setzen Politiker auf das Personalkarussell und lassen es immer schneller drehen, mit Gewinnern heute und Verlieren morgen. Politiker, die angeblich Gesten machen “wie ein Teenager, der, weil er besonders wichtig sein will, seine Eltern nachmacht”. Politiker, die meinen, Wähler gewinnen zu können, in dem sie ihnen Luftballone schenken. Politiker, die meinen, alles regeln zu können, wenn nur genügend Geld vorhanden sind. Doch was kann ein Mensch, dem die Rente gekürzt wurde, mit Gewinnern und Verlierern in der Spitzenpolitik anfangen? Die haben doch überhaupt nichts mit seinem Leben zu tun.

Die Tradition, dass Politiker mehrmals wöchentlich an eine Konferenz eingeladen werden, die sich durch ihre Mitglieder trägt und so finanziell unabhängig und ideologisch breit abgestützt ist, kann nur als wertvoll und erhaltenswert bezeichnet werden. Die Frage ist, wie sich die Institution dem Medienwandel gegenüber verhalten wird. Und wie sie sich entwickeln wird unter dem zunehmenden Druck von Kosten, Klickzahlen und Auflage, unter dem Verlage stehen. Noch steht die BPK wie ein grosser grauer Block im Parlamentsviertel. Darum herum stehen die vielen Journalisten, die Bundespolitik als Seifenoper inszenieren. Und die Bürger, die das mit Aufmerksamkeit belohnen.

Bild 1: Bundesregierung, Sandra Steins (bundesbildstelle.de)
Bild 2: CC Flickr/VoThoGrafie, CC BY-Lizenz.
Bild 3: CC Flickr/haasweyregg, CC BY-Lizenz.
Bild 4: CC Flickr/onnola, CC BY-SA-Lizenz.