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Stil als Haltung, Lebensführung und -weise

Was ist bloss aus dem „Magazin“ geworden, fragte ich mich im Juni 2009 und kürzlich wieder, als zu lesen war, dass Chefredaktor Finn Canonica es nicht ertragen konnte, Teil einer humoristischen Bildergalerie des hauseigenen Webportals tagesanzeiger.ch zu sein, in der er einen Geri-Weibel-Faktor von 8,5 zugesprochen bekam (siehe dazu „Finnde den Fehler“ auf klatschheftli.ch. Geri Weibel ist eine fiktive Figur des Schriftstellers Martin Suter, die sich grosse Mühe gibt, jedem aktuellen Lifestyle-Trend nachzuspüren.)

Die über das Newsnetz verbreitete Story „Die echten Geri Weibels“ ist inzwischen überhaupt nicht mehr zu lesen. Wie aus der Redaktion zu hören ist, erfolgte die Entfernung des Artikels wenige Stunden nach der Publikation auf Anweisung des Verwaltungsratspräsidents der Tamedia AG, Pietro Supino, der so auf die Verärgerung von Canonica reagierte.

Und diese Woche wunderte ich mich einmal mehr, als ich das in einer kürzlich verschickten Medienmitteilung las:

Das Magazin begreift Stil nicht ausschliesslich als Mode und Luxus, sondern als Zeichen einer authentischen Lebensführung. Unter der Leitung von Chefredaktor Finn Canonica setzt sich die Magazin-Redaktion mit Stil als persönliche Haltung oder Lebensweise auseinander.

Schauen wir dazu einige Sekunden auf diese Leinwand und denken darüber nach:

Leinwand

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Frust-riert: Supinos Qualität der Presse

“Das Magazin” veröffentlichte am 23. Oktober einen Text mit dem Titel “Die Qualität unserer Presse”. Geschrieben hat ihn der Verwaltungsratspräsident der Tamedia AG, Pietro Supino. Zu lesen ist davon auf dasmagazin.ch nur der erste Absatz, denn Inhalte aus dem Heft sind seit kurzem nur noch für iPad-Nutzer zugänglich, kostenpflichtig.

In voller Länge und kostenlos ist der Artikel dagegen auf tagesanzeiger.ch, bazonline.ch, derbund.ch, bernerzeitung.ch und thurgauerzeitung.ch zu lesen. Da er offenbar von CMS zu CMS kopiert wurde, verblieben mehrere Trennungsstriche im Text stehen. Was zu Dutzenden Wörtern wie “Forschungsins-titut”, “Zent-rum”, “frust-riert”, “Gratiskul-tur” oder “Konformi-tät” im Fliesstext führte. Korrigiert hat das bisher niemand.

Es stellen sich zwei Fragen:

1. Wird das mehrfach wegen herausragendem Journalismus preisgekrönte „Magazin“ die Beruhigungsgesänge ihres Verlegers unwidersprochen stehen lassen? Was würde das bedeuten für die publizistische Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Autorenzeitschrift?

2. Was sind Publikationsstrategie und Korrektoren des “Magazins” wert, wenn sie vom hauseigenen Newsnetz unterwandert werden? Wieso gilt online nicht, was offline gilt?

Erfüllen nun die Medien ihre “Forums-, Kont-roll- und Integrationsfunktion”? Supino beruhigt: “Etwas mehr Gelassenheit ist ange-bracht.”

Dieser Artikel erschien im Pressespiegel von mediaforum.ch, den man hier per E-Mail abonnieren kann.

Tamedia/Newsnetz:
„Boulevardsau“ rausgelassen

Tamedia setzt mit dem Newsnetz neue Qualitätsmassstäbe beim Online-Journalismus – im unteren Bereich der Skala.

Im August 2008 übergaben Tages-Anzeiger, Berner Zeitung und Basler Zeitung, später auch der Bund und die Thurgauer Zeitung, ihre bisherigen Websites dem Newsnetz, einer neuen Online-Zentralredaktion in Zürich mit Regionalredaktionen in Basel und Bern. Zuvor bestanden ihre Websites aus abgefüllten Zeitungsinhalten, die mit aktuellen Agenturmeldungen angereichert wurden, sowie nicht-journalistischen Service-Rubriken.

Das neue Projekt war merklich grösser dimensioniert und wurde angekündigt als das “bisher ambitiöseste journalistische Projekt im Internet”. Im Begrüssungstext hiess es: “Die Zeiten, in denen Onlinejournalismus in der Schweiz im Copy-Paste-Verfahren betrieben wurde, sind vorbei. Heute weiss man: Qualität hat ihren Preis.” Auch auf newsnetz.ch steht dieser Anspruch ungebrochen: “Newsnetz: Der schnellste Qualitätsjournalismus im Netz!”

Doch tatsächlich haben viele Aktivitäten des Newsnetz nichts mit Qualitätsjournalismus zu tun: “Schwangere Brasilianerin von Schweizer Neonazis schwer misshandelt”, hiess es zum Beispiel am 11. Februar 2009. Eine Schlagzeile, von der sich nur das Wort “Brasilianerin” als wahr herausgestellt hat. Von Zweifeln war noch in der gleichen Story zu lesen. Tagesanzeiger.ch schrieb am Ende des kurzen Artikels diesen abstrusen Satz, Tippfehler inklusive: “In brasilianischen medien wurde auch berichtet, der Polizsit, der als erste am Tatort gewesen sei und den Fall behandelt habe gegenüber dem Opfer und ihrem Freund Zweifel an den Schilderungen geäussert.”

Inzwischen sind solche Schludrigkeiten nur noch per Screenshot beweisbar, denn das Newsnetz schreibt laufend Artikel um, ohne die Veränderungen zu dokumentieren.

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Bild: Screenshot tagesanzeiger.ch

Tamedia/Newsnetz:
„Boulevardsau“ rausgelassen
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