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Georg Diez „angemessen empört“ und „entsetzt, wie wenig recherchiert wird“

Es ist schon eine fesche Feuilleton-Debatte, die sich zwischen Bloggern, Literaturkritikern und Buchverlagen seit dem 5. Februar 2010 abspielt. Gestartet hatte sie Deef Pirmasens mit diesem Blogbeitrag über die Buchautorin Helene Hegemann. Er deckte auf, dass sich Hegemann in ihrem Roman „Axolotl Roadkill“ an einigen Stellen von Blogger Airen „inspirieren“ liess. Inzwischen sind viele weitere Belege hinzugekommen.


Diskutiert wurde über das Urheberrecht, kritisiert wurde aber auch das Orchester der Literaturkritiker, das nahezu einstimmig begeistert war von den Hegemann-Aufzeichnungen („expressive Sprachgewalt“, „literarischer Kugelblitz“, „großer Coming-of-age-Roman der Nullerjahre“, etc.). Als Ausnahme zu nennen ist Simone Meier vom „Tages-Anzeiger“, am 2. Februar 2010:

Es ist das altkluge, pseudophilosophische, monologische Gekotze der Hauptfigur, einer 16-jährigen Göre in Berlin namens Mifti, die zwischen Partys, Drogenexzessen, Elternhass und bescheuerten Kreativszenis hin und her pendelt.

Doch nicht allen passte die Art, wie der Plagiatsvorwurf an Helene Hegemann im Internet geäussert wurde. Volker Weidermann in der FAZ war sie offenbar zu undifferenziert:

Man muss nicht einmal mehr denken oder argumentieren, um der Autorin seine Verachtung ins Gesicht zu schleudern.

Er hält den Roman weiterhin für bemerkenswert, dieses Promo-Video, „in dem kleine reiche Kinder mit Perlenketten den Text in verteilten Rollen lesen“, findet er sogar „irre komisch und grotesk“. So eine Meinung kann man natürlich haben. Weiter schreibt er:

Die „Süddeutsche Zeitung“ rief am Freitag die Kritiker, die das Buch zu Beginn gelobt hatten, zu einer Art Tribunal zusammen, um ihnen die Gelegenheit zum Widerruf zu geben. Einzig Georg Diez, der Autor des eigenen Blattes, reagierte angemessen empört und erklärte seiner Zeitung:

… auf die Frage, ob er auch nach der Plagiatsenthüllung noch zu seiner Meinung stehe …

„Das ist und bleibt sie absolut. Ich bin schockiert über die Dummheit der Diskussion. Literatur richtet sich nicht nach Zutaten. Die Wahrheit der Sprache hängt nicht an jedem einzelnen Wort. Ich bin entsetzt, wie wenig recherchiert wird. Familienstrukturen werden öffentlich gemacht, die keinen etwas angehen. Dieser paternalistische Ton ist ekelhaft.“

Einzig Georg Diez! Könnte es daran liegen, dass er sich im „Magazin“ Helene Hegemann zu Füssen legte? Im „Magazin“ des „Tages-Anzeigers“, das damit lustigerweise genau das Gegenteil seines Hauptblatts vertrat?

Zu Füssen? Ist das nicht etwas übertrieben? Entscheiden Sie selbst – so schwärmt Georg Diez in seinem Artikel vom 22. Januar 2010 von „Axolotl Roadkill“:

Sie hat ein Buch geschrieben, das einen überfährt, schnell, hart, geradeaus und praktisch ohne zu bremsen. (…)

Das Buch ist, einfach gesagt, phänomenal, die Autorin ist ein Phänomen, und vielleicht muss man sich entscheiden, was einen mehr interessiert. (…)

Helene Hegemann, so scheint es auf den ersten Blick, ist so etwas wie ein popkulturelles Aschenputtel. (…)

An ihrer existenziellen Unbehaustheit würde das auch nichts ändern, das weiss sie, sie ist so extrem selbstreflektiert im Gespräch, dass man sich schon fragt, wie alt dieses schnell redende Mädchen im Kopf wirklich ist. Dieser souveräne Umgang mit Selbstbildern, Popeinflüssen, feministischen und sonstigen Theoriefragen prägt auch das Buch, das auf dem Grat zwischen Intelligenz und Emotion fast traumwandlerisch unterwegs ist. (…)

Helene Hegemann ist, mit anderen Worten, und obwohl sie das nicht will und obwohl sie eigentlich zu alt dafür im Kopf ist, eine Stimme ihrer Generation. Auch deshalb stürzen sich die Journalisten so auf sie. Sie ist die jüngere Mischung aus dem Depressions-Bestseller «Mängelexemplar» von Sarah Kuttner und den körperlichen und sexuellen Selbsterkundungen, wie sie Charlotte Roche so erfolgreich in «Feuchtgebiete» vorgeführt hat. (…)

Ob sie selber Frauen mag oder Männer, ob sie glücklich sein kann, glücklich sein will, das sind so Fragen, die ich nur jemandem stellen würde, den ich gar nicht kenne. Ich bin Journalist. Im Fall von Helene Hegemann ist mir das ziemlich egal. Sie hat ein Buch geschrieben, das mich berührt hat, nicht weil es eine 17-Jährige geschrieben hat, sondern weil es eine Sprache für die Verzweiflung findet, die ich so noch nicht von einer deutschen Autorin gelesen habe. (…)

Ist «Axolotl Roadkill» also nun das Manifest einer Generation? Ist es ein Roman, der 15-Jährigen Worte schenkt für ihre Sprachlosigkeit? Der 35-Jährigen zeigt, dass das Feuer noch nicht erloschen ist? Der 55-Jährige begeistert durch das Risiko, sich zu verlieren?
Hervorhebungen: Ronnie Grob

Nun ja. Plagiate sind nicht so leicht zu erkennen und ich würde nicht behaupten, dass mir sowas nie passiert wäre.

Aber sich nach der Debatte, als das Ausmass des Plagiats bekannt ist, über die „Dummheit der Diskussion“ aufzuregen und entsetzt zu sein, „wie wenig recherchiert wird“, finde ich ganz schön dreist. Schliesslich hat Diez nichts mehr als das Buch einer 1992 geborenen zum „Roman ihrer Generation“ erklärt. Ein Buch, das mit Erlebnissen eines 1981 geborenen gespickt ist. Der Erlebnisse hatte, welche die Autorin wohl so nie erlebt hat.

Wer jetzt noch nicht genug hat vom „Magazin“ und weiblichen Teenagern, der lese diesen Artikel von Andrea Schafroth aus der neusten Ausgabe. Es geht um dies:

„Seit sie 13 ist, will Lea nur eines: neue Brüste. Mehr denn je sehnen sich junge Frauen nach dem perfekten Busen.“

Ist es nicht in der Natur von pubertären Mädchen, solchen Unsinn im Kopf zu haben und auch noch darüber zu reden? Was heisst es nun, wenn die Medien, nicht irgendwelche Medien, nein, vergeistige Elitemedien, so einen Quatsch ernst nehmen? Wird nicht erst durch das Ernstnehmen der Unsinn zu einem Thema, über das diskutiert werden kann?

Nach Wikipedia wird Helene Hegemann am 19. Februar 18 Jahre alt. Ich wünsche einen frohen Geburtstag. Schon in drei Jahren darf die dann Volljährige in den USA legal Alkohol kaufen.

Mehr zum aktuellen Niedergang der Magazinbeilagen gibt es hier:

Mehr Style als Life: Supplements werden zu Frauenzeitschriften (März 2009)
“Das Magazin” zerlegt sich in Häppchen (Juni 2009)
Leid des Lesers (1): Das Zeit-Magazin (Januar 2010, von Oliver Gehrs)
Leid des Lesers (3): Das SZ-Magazin (Februar 2010, von Oliver Gehrs)

Gouvernantenprosa

Im Blog des Perlentauchers hat Thierry Chervel eine sehr ausführliche Must-Read-Kritik an verschiedenen in den Feuilletons deutscher Zeitungen erschienenen Texten veröffentlicht.

Es geht um „eine tapfere kleinere Minderheit aus Freitag, taz, Zeit, Süddeutsche, FAZ und FAS“, die sich gegen die Riesen Henryk M. Broder, Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek wendet.

Der Karikaturenstreit war eine Zäsur in der Geschichte der Medien. Er war zwar noch von einer Zeitung ausgelöst worden, aber die allermeisten anderen Zeitungen dieser Welt – und auch die allermeisten Fernsehanstalten – nahmen den Impuls nicht mehr auf. Sie zensierten die Zeichnungen mit wenigen Ausnahmen. Sie nannten sie plump (oder „albern“, wie Thomas Steinfeld, mehr hier), um behaupten zu können, dass sich eine Veröffentlichung nicht lohne. Eine Kapitulation. Die Zeitungsleser informierten sich anderweitig. Eine einfache Google-Suche reichte aus. Seit dem Karikaturenstreit ist das Internet die eigentliche Öffentlichkeit, allen Wehmutsseufzern Habermas‘ zum Trotz. In den Zeitungen ließ die Affäre einen blinden Fleck. Und der breitet sich aus und pocht und arbeitet wie stets schon das schlechte Gewissen.

Immer saurer wird die Gouvernantenprosa (so Reinhard Mohr bei spiegel.de) unserer Verwalter der demokratischen Öffentlichkeit. Die Feuilletons sind zu Schutz- und Ausweichräumen eines immer mehr zum Pfäffischen tendierenden juste milieu geworden, das sich von den eigenen Traditionen der Kritik und des Witzes längst abgeschnitten hat. Klassisch liberale, aufklärerische Positionen lassen sich in praktisch keinem einzigen Feuilleton der Republik mehr artikulieren. Man erinnert sich an Zeiten, in denen Autoren wie Henryk Broder oder Ulrike Ackermann noch in der taz publizieren konnten, damals stand dort eine Fraktion der Realos gegen eine Fraktion der Fundis. Heute sind die Fundis weich gespült – und warten in sämtlichen Feuilletons auf die Rente.

(…)

Die Öffentlichkeit wird dadurch öde, weil die Gegenposition in den meisten dieser Medien gar nicht mehr zugelassen wird. So dankbar man sein muss, dass die Öffentlichkeit nicht mehr der Filter von „Qualitätsmedien“ wie den Feuilletons der FAZ und der SZ bedarf: Die Artikel der Thomas Steinfelds, Claudius Seidls, Thomas Assheuers und Andrian Kreyes sind ja doch Chefsache. Sie markieren ein weithin abgestecktes Terrain. Steinfeld münzt es auf die Gegenseite und beschreibt doch sich selbst: „Absolut selbstgerecht schauen die Kulturkämpfer auf sich selbst, und was ihnen entgegentritt, das wird geächtet. Der Debatte tut das nicht gut“, schreibt er in der SZ. Als würde nicht er selbst die Debatte organisieren, und als hätten die Keleks und Broders, die in der SZ in kurzer Zeit mehrmals angegriffen wurden, in dieser Zeitung je noch die Chance auf Erwiderung!

Das Behagen an der Unkultur (perlentaucher.de, Thierry Chervel, 18.1.2010)

Christoph Schlingensief über die Medien

In seinem Buch “So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ (erschienen im April 2009), dem „Tagebuch einer Krebserkrankung”, schreibt Theaterregisseur Christoph Schlingensief auch über die Medien (auf den Seiten 108 bis 110 und 120). Ich möchte das gerne einfach mal unkommentiert zitieren.

Fernsehen:

Habe versucht, noch ein bisschen fernzusehen, aber das geht gerade nicht. Ich halte dieses Medium, das so klug tut, sich zu Gott und der Welt äussert und uns alle im Griff hat, nicht mehr aus. Nicht, weil sie da von einem unbeschwerten Leben sprechen, gönn dir was, kauf dir ein neues Auto und deinen Kindern Schokolade oder sonst irgendwas. Auch nicht, weil ich die Sachen niveaulos finde – ich lache gerne über Blödsinn. Aber ich kann den Fernseher nicht mehr einschalten. Das ist ein Medium, das mir im Moment völlig fremd ist, weil da wie in einer Endlosschleife immer dasselbe geredet wird. Da kann man reinschalten und wie nach einer Betäubung ohne Probleme an den Satz anschliessen, der vor der Betäubung gesprochen wurde. Das haben mir die Anästhesisten hier erklärt. Man kann sich heutzutage einschläfern lassen, dabei irgendwas reden, und wenn man aufwacht, redet man einfach weiter, die Sätze passen aneinander. Der Mensch ist gar nicht weg gewesen, er wurde einfach nur kurz in seiner Zeit unterbrochen.

Zeitungen:

Zeitungen will ich auch nicht mehr lesen. Da steht das Geblubber von armen kleinen Menschen, die schreiben, weil sie schreiben wollen und im besten Fall auch können. Meist schreiben sie das, was der Chef will, vielleicht dürfen sie auch mal ausbüchsen, aber bitte nicht zu viel. Dann liefern sie etwas ab, was in dem Moment, wo es auf die Welt kommt, schon verschwindet. Wenn sie Glück haben, ruft mal irgendjemand an und beschwert sich, oder ein Freund sagt, habe deinen Artikel gelesen, fand ich sehr spannend. Und das war’s.

Dieses Argument, dass das morgen schon tot ist, zählt natürlich nicht. Ich weiss. Ich kann mir auch vorstellen, dass man jetzt denkt: Ja, typisch, der Schlingensief meint wohl, er schreibt einen Artikel und die Politik fällt tot um. Das meine ich nicht. Ich meine nur, dass man die Dinge in Relation sehen muss. Irgendein Artikel wird gedruckt, gammelt abends schon irgendwo in einem Lokal herum, und der Einzige, der ihn zur Kenntnis nimmt und ausflippt, ist der Sänger, der lesen muss, dass er nicht gut war, oder der Regisseur, der wieder mal lesen muss, dass das alles total unschlüssig war.

Diskussionskultur:

Ja, stimmt schon, eigentlich beschreibe ich mich selbst, ich bin selbst oft genug ausgeflippt, habe oft genug die Relation nicht beachtet. Aber egal, ich will das nicht mehr, das ist doch komplett bescheuert. Gibt doch genug Menschen, die keine Möglichkeit haben, sich lautstark zur Welt zu äussern, weder als Künstlerarsch noch als Kritikerdepp. Man kann doch wahrscheinlich auch gut ohne all das leben, vielleicht sogar noch besser leben.

Und deshalb möchte ich mich damit nicht mehr konfrontieren. Den sozialen Aspekt in meiner Arbeit hat man mir sowieso meist weggeschrieben, weil man sich in Deutschland nichts mehr traut. Weil man meint, sobald jemand etwas anderes denkt, sei er schon ein Provokateur oder so. Das sind die Methoden, um hier alles plattzumachen. Das ist ein grauenhafter Haufen. Ich merke gerade, dass ich sogar Angst davor habe, mich damit zu beschäftigen, weil sie einfach Gemeinheitsfabriken sind, diese Feuilletons und Talkshows. Überall sieht man Leute, die permanent Stellung beziehen zu irgendwas und ihr Kleidchen durch die Lüfte werfen. Dabei ist keiner informiert, was der andere vorhat. Und keiner weiss wenigstens ungefähr, um welches Thema es geht und wie man darüber nachdenken könnte. Es geht nur darum, so zu tun, als würde man über etwas nachdenken. So zu tun, als hätte man sich schon masslos mit einer Sache beschäftigt. (…)

Boulevardzeitungen:

Ich habe heute auch erfahren, dass meine Sache hier wohl schon vorgestern in der Öffentlichkeit ausposaunt wurde. Dass ich Lungenkrebs habe, dass ich einen brutalen Eingriff von fünf Stunden hinter mir habe, dass ich echt kämpfe und dass die Zukunft mit Fragezeichen gespickt ist, das quasselt irgend so ein Dödel in der Kneipe rum. Dann kommen diese Kletten mit dem Block, der Idiot fängt an zu labern, und am nächsten Tag steht in einer blöden Boulevardzeitung: Schlingensief schwer erkrankt. Dödel macht sich grosse Sorgen.

Warum kann man mir jetzt nicht einfach mal diese Krankheit überlassen? Warum muss da irgendwer, den ich seit Jahren nicht mehr gesprochen habe, überall erzählen, er mache sich grosse Sorgen? Warum kann ich nicht selbst bestimmen, wann und wie ich das mitteile?