Die adretten Schweizer

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Wenn man aus Berlin, das oft einem bellenden Hund im Regen gleicht, in die Schweiz zurückkehrt, dann fallen sie einem auf: Die adretten, netten Schweizer. Wie sie an Sommerabenden, gut in Ferienorten zu beobachten, nach dem mehr oder eher weniger harten Tag frischgeduscht und in frischgewaschenen Kleidern durch die Strassen laufen, auf der Suche nach einem Angebot, das sowohl qualitativ als auch preislich zu überzeugen vermag. Klassisch die Vierergruppe mit zwei Kindern, die etwas aufgeregt sind und ihren Eltern pro Minute drei Fragen stellen. Klassisch auch der um die Hüfte geschlungene Pullover (denn später wird es kühl), oft in weiss oder gelb. Oder die helle Wildlederjacke mit Reissverschluss, kombiniert mit einer Stoffhose und einem dünnen Gürtel mit glänzender Schnalle. Und dazu unpassende Schuhe.

Das sieht dann etwas aus wie im Paradies. Doch hinter der friedlich-freundlich-distanzierten Maske lauern die Aufpasser. Die Zurechtrücker. Die Kenner der Details. Die-im-Besitz-der-Wahrheit-seienden. Die Aber-Sager. Die „Entschuldiget Sie“-Sager. Das inoffizielle Ordnungsamt – im Dienste der Gemeinschaft.

Du zweifelst? Ich bringe Beispiele. Kürzlich fuhr ich mit einem Fahrrad, an dem keine Lichtquelle angebracht ist, mehrmals durch die selbe Passage. Es ist eine Abkürzung, breit genug, dass sich zwei Fahrräder kreuzen können – dennoch ein Fussweg mit Fahrverbot. Unglücklicherweise war es jedes Mal, als ich dort vorbeifuhr, bereits dunkel.

Ich kreuze einen etwas verzottelten Mann mit Bart um die 45. Könnte Kiffer sein, Arbeitsloser oder Handwerker. Er ruft, kurz nachdem ich vorbei bin: „Ist im Fall Fahrverbot!“. Falls im Fall wer nicht versteht, was im Fall bedeuten könnte, sollte sich deswegen nicht grämen. Man könnte es auch einfach weglassen.

Ich kreuze eine Gruppe mit Fahrradhelmen. Vater, zwei Buben, Mutter, ein kleiner Sicherheitszug erster Güte. Eingeschüchert von den vorgefallenen Vorfällen habe ich mich dem Anpassungsdruck gebeugt und das Leuchtmittel des anderen verfügbaren Rads dabei, welches ich mit dem Lenker in der Hand halte (es ist tatsächlich stockdunkel). Bub 2 ruft laut und deutlich: „Aha, mit einer Taschenlampe!“. Es klingt wahnsinnig vorwurfsvoll.

Eine Minute später: Ich kreuze eine Gruppe mittelalterlicher Schweizer. Da es einen Abhang runter geht und noch immer stockdunkel ist, sehe ich sie spät und bremse kurz und brüsk (um danach ganz normal an ihnen vorbeizufahren). Ich höre eine Frauenstimme aus der Gruppe: „Und dann auch noch ohne Licht…“

Was denn schlimm daran ist? Vielleicht gar nichts. Vielleicht ist es nur eine funktionierende Gesellschaft mit sozialer Kontrolle. Mit Exponenten, die sich eher umbringen würden, als vor ihren Kindern bei rot über die Strasse zu gehen. Doch wenn man eben in Berlin war, kommt einem das fremd vor. Sehr fremd.


Kommentare

Eine Antwort zu „Die adretten Schweizer“

  1. Avatar von Thomas
    Thomas

    Tja, das kommt mir irgendwie bekannt vor. Als ich unlängst mit meinem Laptop im Freien auf einem Mäuerchen sass, um möglichst kostenlos online zu gehen, musste ich mir von den Passanten auch so einiges anhören. Es geht hier nur um eines: Neid. In einer Gesellschaft, in der jeder alles hat, ist der Neid noch viel ausgeprägter, als in einer Mangelwirtschaft. Das hört sich etwas paradox an, entspricht aber meiner Erfahrung. Vielleicht hat man dann eben mehr Zeit, sich mit Unwichtigem zu beschäftigen, vielleicht ist es aber auch das mulmige Gefühl, einfach nur eine graue Maus in der Masse zu sein. Sobald einer den Mut aufbringt, etwas anders zu machen, wird er beneidet. Natürlich hat aber auch vieles mit der generellen Lebenseinstellung zu tun. Mir fällt auf, dass in reichen Ländern ein hohes Mass an Unzufriedenheit herrscht. Auch habe ich den Eindruck, dass diese in den letzten Jahren stetig zunahm. Mich wundert das nicht, ich finde es aber schade. Vermutlich braucht es so etwas wie Naturkatastrophen, damit unter den Menschen wieder Solidarität einkehrt…

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