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Ein Staat, den wir uns nicht leisten können

Über 150 Tweets weisen derzeit auf den Artikel „Der rechte Abschied von der Politik“ von Constantin Seibt hin, mehrheitlich zustimmend.

Screenshot Rivva

Ich gehe einig mit der Unfähigkeit der meisten Politiker, vernünftige Regulierungen zu verfassen, mit der Unfähigkeit der meisten Köpfe, Orientierung zu geben und mit dem Ärger über die mit Optimierern ausgestatten natürlichen und juristischen Personen, die es sich leisten können, kaum oder gar keine Steuern zu zahlen.

Ich möchte aber einige Punkte hinterfragen, so sehr ich Seibt als einen der besten Schreiber der Schweiz schätze:

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Stil als Haltung, Lebensführung und -weise

Was ist bloss aus dem „Magazin“ geworden, fragte ich mich im Juni 2009 und kürzlich wieder, als zu lesen war, dass Chefredaktor Finn Canonica es nicht ertragen konnte, Teil einer humoristischen Bildergalerie des hauseigenen Webportals tagesanzeiger.ch zu sein, in der er einen Geri-Weibel-Faktor von 8,5 zugesprochen bekam (siehe dazu „Finnde den Fehler“ auf klatschheftli.ch. Geri Weibel ist eine fiktive Figur des Schriftstellers Martin Suter, die sich grosse Mühe gibt, jedem aktuellen Lifestyle-Trend nachzuspüren.)

Die über das Newsnetz verbreitete Story „Die echten Geri Weibels“ ist inzwischen überhaupt nicht mehr zu lesen. Wie aus der Redaktion zu hören ist, erfolgte die Entfernung des Artikels wenige Stunden nach der Publikation auf Anweisung des Verwaltungsratspräsidents der Tamedia AG, Pietro Supino, der so auf die Verärgerung von Canonica reagierte.

Und diese Woche wunderte ich mich einmal mehr, als ich das in einer kürzlich verschickten Medienmitteilung las:

Das Magazin begreift Stil nicht ausschliesslich als Mode und Luxus, sondern als Zeichen einer authentischen Lebensführung. Unter der Leitung von Chefredaktor Finn Canonica setzt sich die Magazin-Redaktion mit Stil als persönliche Haltung oder Lebensweise auseinander.

Schauen wir dazu einige Sekunden auf diese Leinwand und denken darüber nach:

Leinwand

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Frust-riert: Supinos Qualität der Presse

“Das Magazin” veröffentlichte am 23. Oktober einen Text mit dem Titel “Die Qualität unserer Presse”. Geschrieben hat ihn der Verwaltungsratspräsident der Tamedia AG, Pietro Supino. Zu lesen ist davon auf dasmagazin.ch nur der erste Absatz, denn Inhalte aus dem Heft sind seit kurzem nur noch für iPad-Nutzer zugänglich, kostenpflichtig.

In voller Länge und kostenlos ist der Artikel dagegen auf tagesanzeiger.ch, bazonline.ch, derbund.ch, bernerzeitung.ch und thurgauerzeitung.ch zu lesen. Da er offenbar von CMS zu CMS kopiert wurde, verblieben mehrere Trennungsstriche im Text stehen. Was zu Dutzenden Wörtern wie “Forschungsins-titut”, “Zent-rum”, “frust-riert”, “Gratiskul-tur” oder “Konformi-tät” im Fliesstext führte. Korrigiert hat das bisher niemand.

Es stellen sich zwei Fragen:

1. Wird das mehrfach wegen herausragendem Journalismus preisgekrönte „Magazin“ die Beruhigungsgesänge ihres Verlegers unwidersprochen stehen lassen? Was würde das bedeuten für die publizistische Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Autorenzeitschrift?

2. Was sind Publikationsstrategie und Korrektoren des “Magazins” wert, wenn sie vom hauseigenen Newsnetz unterwandert werden? Wieso gilt online nicht, was offline gilt?

Erfüllen nun die Medien ihre “Forums-, Kont-roll- und Integrationsfunktion”? Supino beruhigt: “Etwas mehr Gelassenheit ist ange-bracht.”

Dieser Artikel erschien im Pressespiegel von mediaforum.ch, den man hier per E-Mail abonnieren kann.

Newsnetz schaut in den Spiegel

Das hinter diversen Tamedia-Zeitungen stehende Newsportal „Newsnetz“ hat sich bisher weder durch Faktentreue, noch durch vielfältige Inhalte einen Namen gemacht. Sondern durch Aufbauschung von Banalitäten, durch Quotengeilheit, durch die mitunter Urheberrechte verletzende Übernahme von Flickr-Fotos und YouTube-Videos, durch Abschreiben aus Blogs und aus der Wikipedia.

Um so erstaunlicher ist darum, wie die Leserfrage “Warum zählt heute Quote mehr als Qualität?” einer „K.H.“ auf tagesanzeiger.ch beantwortet wird. Ein ungenannter Autor findet den Grund in der Tatsache, „dass Medien (und die mit ihnen verbandelten Akteure wie Politiker, Interessenverteter, Experten) möglichst viel Aufmerksamkeit möglichst günstig produzieren müssen“:

Am allergünstigsten geht das so: Man behauptet irgendeinen knalligen Haberkäse oder berichtet von einem, der irgendeinen als «Tabubruch» aufgemotzten Schwachsinn verkündet, wartet auf die aufgeregten Reaktionen, welche man nunmehr ausführlich zitiert und kommentiert und als Beweis dafür ausgibt, ein schwelendes Unbehagen in der Bevölkerung endlich zum Thema gemacht zu haben. Dazu gibt es eine Onlineabstimmung oder ein schnell am Telefon zusammengeschustertes Experteninterview. (…)

Aus der Not, leere Seiten und Sendeminuten billig füllen zu müssen, wird so die Tugend des gesellschaftspolitischen Hyperventilierens. Doch ob aus dieser leider nicht mehr ganz seltenenen Form der Aufmerksamkeitsbewirtschaftung ein auf die Dauer brauchbares (neudeutsch: nachhaltiges) Geschäftsmodell werden kann, bezweifle ich. (…)

Ich zweifle auch daran, dass dieses Geschäftsmodell nachhaltig ist. Aber es existiert. Die Ausführungen des anonymen Autors beschreiben exakt das, was Newsnetz tut.

Wer das volle Ausmass der Selbstverleugnung erfassen möchte, sollte die ganze Antwort lesen:

„Warum zählt heute Quote mehr als Qualität?“ (tagesanzeiger.ch)

Nachtrag, 13 Uhr: Eine Anfrage auf swissdox.ch ergibt, dass der Artikel erstmalig im „Tages-Anzeiger“ vom 23. Juni 2010 erschienen ist. Autor ist Peter Schneider. Danke an Matthias.

Marc Walder durchbricht das Trübglas

Fast zwei Jahre ist es her, seit ich feststellte, dass, was die „B.Z.“ in Berlin mit 35 Leuten gut bis sehr gut hinkriegt, nämlich eine Boulevardzeitung für ein paar Millionen Leser, der „Blick“ in Zürich mit 120 Leuten schlecht bis sehr schlecht hinkriegt.

Nun endlich scheint das auch der Ringier-Verlag verstanden zu haben. Marc Walder, Chef von Ringier Schweiz, enthebt per sofort alle Ressortleiter der „Blick“-Gruppe ihrer Funktion und lässt sie neu um den Posten bewerben (mehr dazu bei persoenlich.com und tagesanzeiger.ch).

Marc Walder
Bild: ringier.ch

Anlässlich einer Mitarbeiterinformation zur Einführung eines gemeinsamen Newsrooms sagte er:

„Ich habe viel Gejammer und viel Polemik gehört in letzter Zeit. Ich habe kein Verständnis für Gejammer oder Polemik, denn wenn das grösste Medienhaus die Bedürfnisse des Lesers nicht versteht und darauf reagiert, dann haben wir alle – ich inklusive – bald keinen Job mehr.“

Es gibt ja sonst nicht viel Grund, den Garant für Dauerlangeweile, Marc Walder, zu loben. Aber dieser (vielleicht schlicht vom Management verordnete) Schritt, nämlich die gleichzeitige Entmachtung aller Ressortleiter, halte ich für den genau richtigen. Nur so kann das frische Blut, das der bleiche „Blick“ so dringend benötigt, wieder bis in den Kopf der Organisation vorstossen.

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