Monika Maron über das Leben in der DDR

SPIEGEL: In diesem Jahr jährt sich der Mauerfall zum 20. Mal. Und plötzlich kommen einige Politiker und fragen, ob die DDR wirklich ein Unrechtsstaat war. Glauben Sie, dass viele Menschen, die in Ostdeutschland gelebt haben, ähnliche Gedanken hegen?

Maron: Wer in diesem Staat nicht viel wollte, wer nicht bestimmte Bücher lesen oder gar schreiben wollte, wer nicht ständig seine Meinung sagen wollte – und zwar öffentlich, nicht einfach nur meckern, das konnte man immer und überall, da passierte einem gar nichts -, der hat ja gar nicht so schlecht gelebt, der wurde nicht behelligt. Wer sich in dem eingerichtet hat, was war, der kann heute mit Recht sagen: „So schlecht war es ja gar nicht“, weil er, abgesehen vom Reisen und von Konsumträumen, von 15 Jahren Wartezeit auf ein armseliges Auto, von schlechten Straßen, verfallenen Städten, gar nicht an die Grenzen seiner Wünsche gestoßen ist. Wer unter Unfreiheit nicht leidet, weil er sich nach Freiheit nicht sehnt, der konnte sich irgendwie einrichten.

SPIEGEL: Und warum fällt es denen so schwer, sich auch unter den neuen Bedingungen einzurichten oder doch wenigstens zurechtzufinden?

Maron: Plötzlich mussten die Menschen eine Ungleichheit ertragen, die es so vorher nicht gab. Sie haben nicht gelernt, damit zu leben. Man konnte alles, auch eine scheiternde Ehe, auf den Staat schieben. Du hast keine größere Wohnung bekommen, und darum ist die Ehe kaputtgegangen. Du bist ein begnadeter Dichter, aber niemand druckt dich. Plötzlich ist dieser Staat weg, du bekommst eine größere Wohnung, aber die Ehe funktioniert immer noch nicht. Mit den Gedichten wird es auch nichts. Du musst plötzlich die Verantwortung für dein Scheitern übernehmen, du kannst niemandem mehr die Schuld geben. Und dann siehst du, der Nachbar schafft es, du aber nicht, das kann ja nicht gerecht zugehen.

Aus einem Interview mit Monika Maron, Spiegel vom 15. Juni 2009, Seite 138

“Qualitätsjournalismus” mit Newsnetz (3)

In einem Artikel auf tagesanzeiger.ch mit dem Titel „Propagandaschlacht um eine Tote“ ist folgender Abschnitt zu lesen:

So trug der einstige designierte Schah von Persien, Reza Pahlewi ein Bild der Toten in der Tasche seines Jacketts, als er Anfang der Woche im Washingtoner Exil vor die Medien trat. «Ich habe Neda der Liste meiner Töchter hinzugefügt. Sie ist jetzt für immer in meiner Hemdtasche», sagte er mit grossem Pathos in die Kameras.

Auch John McCain gedachte ihr im amerikanischen Senat, auf dessen Gängen 1951 der Sturz der ersten demokratischen Regierung des Irans beschlossen wurde. «Sie ist wie die Johanna von Orléans», sagte McCain. «Heute gedenkt ganz Amerika dieser mutigen jungen Frau, die nur ihre fundamentalen Menschenrechte ausüben wollte und auf den Strassen Teherans gestorben ist.»

In diesen beiden Absätzen ist so gut wie nichts richtig. Etwas weniger falsch sind diese beiden Absätze. Sie erschienen auf der Website alles-schallundrauch.blogspot.com, einem politischen Blog, hinter dem ein „Freeman“ aus dem schweizerischen Arth steht:

So trug Reza Pahlewi ein Bild der Toten in der Tasche seines Jacketts, als er am Montag in Washington vor die Medien trat. „Ich habe Neda der Liste meiner Töchter hinzugefügt. Sie ist jetzt für immer in meiner Hemdtasche“, sagte er mit grossem Pathos in die Kameras.

Auch John McCain gedachte ihr im amerikanischen Senat, genau der Senat welcher der CIA den Auftrag gab die demokratisch gewählte iranische Regierung 1953 zu stürzen. „Sie ist wie die Johanna von Orléans“, sagte McCain. „Heute gedenkt ganz Amerika dieser mutigen jungen Frau, die nur ihre fundamentalen Menschenrechte ausüben wollte und auf den Strassen Teherans gestorben ist.“

Publiziert wurden die beiden Artikel gemäss den Zeitstempeln am selben Tag, der auf Alles Schall und Rauch am 24. Juni 2009, um 00:05 Uhr, der des Tages-Anzeigers am 24. Juni 2009, um 08:18 Uhr (wurde inzwischen auf 14:02 Uhr abgeändert). Zu den Details:

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