„Elite“ vs. „Volk“

Die Medienmacht besteht noch immer fast ausschliesslich aus einer kleinen, homogenen Elite. In einer Demokratie bestehen aber andere Mehrheitsverhältnisse.

Die Annahme der Initiative “Gegen den Bau von Minaretten” polarisiert immer noch.

Daniel Cohn-Bendit

Der deutsch-französische Politiker und Publizist Daniel Cohn-Bendit beispielsweise, Ko-Vorsitzender der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, will die Schweiz nochmals abstimmen lassen und dazu „die Kassen der Eidgenossenschaft leeren“ (letemps.ch / tagesanzeiger.ch).

La plus formidable des ripostes – mais je rêve – serait que les plus riches des pays musulmans retirent leur argent des banques suisses. Vider les caisses de la Confédération: voilà ce qu’il faudrait! Que l’Arabie saoudite ou les Emirats arabes unis désertent votre place financière.

Ist er ein Linkspopulist? Vielleicht. Das Wort Rechtspopulist allerdings fällt derzeit viel öfters und auch leichter, es ist ein Common Sense gewordenes Schimpfwort. Henryk Broder stellte 2008 fest (spiegel.de):

Das Label “Rechtspopulist” hat heute die gleiche diffamierende Qualität wie “Kommunist” in den fünfziger und sechziger Jahren, “Faschist” in den Siebzigern und Achtzigern oder “Klimaleugner” heute. Es erspart jede inhaltliche Auseinandersetzung und macht allein seinen Träger für die Folgen seiner Handlungen verantwortlich.

Wer benutzt denn das Wort „Populist“ gerne? Es sind die gebildeten Eliten, die nach wie vor, so schätze ich das ein, über 90 Prozent der Medienmacht stellen.

Diese sogenannte „Elite“

– ist gut gebildet, meist mit akademischem Abschluss
– lebt mehrheitlich in urbanen Gebieten
– verkehrt oft in homogenen Kreisen aus anderen Akademikern
– vermischt sich oft kaum mit dem Volk (Büro -> Tiefgarage)
– konkurrenziert sich auf dem Arbeitsmarkt nur ansatzweise mit Einwanderern
– ist, wenn festangestellt, zufriedenstellend bis gut bezahlt
– lebt oft in Vierteln mit wenig Einwanderern
– wählt die Grünen und die SPD (eine Studie 2008 ergab bei Journalistenschülern folgende Werte: Grüne: 39 Prozent, SPD: 21 Prozent, FDP: 7 Prozent, CDU: 5 Prozent)

Natürlich ist die „Elite“ mittels Intelligenz (und Bildung) auch meist besser in der Lage, Problematiken zu analysieren und Populismus zu erkennen. Allerdings wird heute gerne jede unliebsame politische Haltung als populistisch denunziert – so wie Medien einander gerne gegenseitig vorhalten, mehr Boulevard zu produzieren.

Das Entscheidende an der Frage ist aber: Die 10 Prozent sind nicht für das Wohl der anderen 90 Prozent zuständig. Bei der Demokratie geht es um alle Menschen im Land, wählen und stimmen darf, wer dazu berechtigt ist (was je nach Wahlgesetz verschieden ist).

Um an ein bekanntes Beispiel zu erinnern: Der die Demokratie verachtende Adolf Hitler kam zwar in demokratischen Prozessen an die Macht, setzte dann aber die demokratischen Rechte der Bürger sofort ab – was verhindert hätte werden sollen. So schränkte kurz nach der Machtergreifung die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ massiv die Versammlungs- und Pressefreiheit ein. Hitlers Ziel war die „Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie“.

In einem Brief schrieb Hitler schon 1932 (bdp.de):

„Es ist daher in der Zukunft die Aufgabe eines Kanzlers, der […] die Schwerfälligkeit des parlamentarischen Vorgehens als gefährliche Hemmung ansieht, sich eine Mehrheit für ein aufgabenmäßig begrenztes und zeitlich fixiertes Ermächtigungsgesetz zu sichern. Die Aussicht auf den Erfolg eines solchen Versuchs wird umso größer sein, je autoritärer auf der einen Seite die Position dieses Mannes ist und je schwerer auf der anderen die […] schon in seinen Händen befindliche parlamentarische Macht in die Waage fällt.“

Die Zukunft wird uns viele Diskussionen liefern, die Machtspannungen zwischen den Vielen und den Einzelnen zum Thema haben. Bei den Medien sind wir, ausgelöst durch die mittels Innovationen ermöglichte Demokratisierung der Medien, schon längst mittendrin in der Debatte, siehe auch mein Artikel in der „NZZ“ von vor einem halben Jahr dazu.

Elitisten, die glauben, die Welt funktioniert am Besten, wenn man alle Macht einer kleinen, fähigen Elite übergibt (nämlich ihnen), gibt es in allen Lebensbereichen. Ich halte es für wichtig, solchen Menschen immer wieder klar zu machen, dass nicht sie das Mass aller Dinge sind, sondern in einer Demokratie vielfältige Kräfte herrschen.

Weisheit der Vielen

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich mag Populisten auch nicht. Ich halte den durch die Minarett-Initiative in die Bundesverfassung aufgenommenen Gesetzestext für unfair und einseitig. Aber: Es handelt sich dabei um eine von der Bundesversammlung akzeptierte Volksiniative (hier die Kriterien), die bei 57,5 Prozent der Abstimmenden Zuspruch fand. Das ist zu akzeptieren und soll wenn schon vor, aber nicht nach der Abstimmung beklagt und bekämpft werden. Nach dem Spiel ist es wie beim Fussball: Schweigen ist angesagt, wenn man denn besser hätte spielen können.

Aus der Schweiz zu hören ist, dass kaum Plakate gegen die Initiative zu sehen waren – was an den fehlenden Geldern dafür lag und heisst, dass die Gegner der Vorlage, anders als bei anderen Vorlagen, vor allem ihr Mundwerk locker machten. Viel schlimmer aber: Behörden verschiedener Städte erlaubten sich, den Aushang des meines Erachtens nicht überzogenen Initiativplakats zu verbieten. Und Zeitungen (zum Beispiel der „Tages-Anzeiger“), doch eigentlich der Ort für Meinungsfreiheit, setzten sich auch noch dafür ein. Nichts besseres hätte dem rechtskonservativen, doch sehr überschaubaren Initiativkomitee passieren können.

Wer demokratische Entscheide so anzweifelt, wie das im Nachgang zum Volksentscheid leider in beängstigendem Ausmass geschehen ist, sollte sich den Vorwurf, nicht reif zu sein für die Demokratie, mal genau durch den Kopf gehen lassen. Nicht reif für die Demokratie ist nämlich, wer rechtsgültig zustandegekommene Mehrheitsentscheide anzweifelt.

Als Beispiel zum Vergleich: Eine Forderung, die Bundestagswahl doch zu wiederholen, weil man mit der zustandegekommenen Gelb-Schwarz-Koalition nicht zufrieden ist, spielt sich auf dem genau gleichen Niveau ab. Zur Demokratie gehört es, die Tyrannei der Mehrheit ohne zu murren zu akzeptieren.

Ich bin ein bekennender Befürworter der direkten Demokratie und ich glaube, dass man die Volksrechte mit den Mitteln des Internets noch bedeutend ausbauen könnte und sollte. Viele Volksentscheide sind klug und weitsichtig, und dazwischen gibt es auch immer welche, die nicht so klug und weitsichtig sind (oder zu sein scheinen). Mir sind so gefällte Entscheide aber immer noch lieber als der Aktivismus einer kleinen Elite, die alles im Griff zu haben vorgibt und dann bei Misslingen untertaucht und ein Desaster hinterlässt (eine Aussage, die sich übrigens problemlos auch auf die Wirtschaft und ihre Manager und Anleger anwenden lässt).

Gemeinsam gefällte Entscheide muss man gemeinsam tragen. Wer in der Mehrheit einen Entscheid gefällt hat, ist dafür verantwortlich und kann und soll daran immer wieder erinnert werden.

Was für einen Sinn dieses Verbot von Minaretten in der Schweiz hat oder haben könnte, wird sich im Lauf der Geschichte zeigen. Falls es keinen Sinn macht, wird es, hoffentlich auf direktdemokratische Weise, wieder verschwinden.

5 Gedanken zu „„Elite“ vs. „Volk““

  1. Guter Artikel, dessen Tenor ich zustimme (auch wenn ich vom Grundatz her Volksentscheiden eher skeptisch gegenüber stehe). Es ist interessant, dass ausgerechnet diejenigen, die permanent das Wort Demokratie in den Mund nehmen in dem Moment, wenn ihnen das Ergebnis nicht passt so lange abstimmen wollen, bis es ihnen passt. Hierzu gibt es auch zahlreiche internationale Beispiele (Algerien; Palästina). Passt „uns“ hingegen das Ergebnis, scheuen wir auch nicht davor zurück, es zu akzeptieren, auch wenn die Umstände mehr als dubios sind (siehe jetzt aktuell Afghanistan). In Deutschland werden auf kommunaler Ebene Volksbegehren durchgeführt, deren Resultate entweder gar nicht erst bindend sin oder nur für eine gewisse Zeit gelten (zwei Jahre). Da wundere sich niemand, wenn sich die Bürger abwenden.

  2. Es ist interessant, dass ausgerechnet diejenigen, die permanent das Wort Demokratie in den Mund nehmen in dem Moment, wenn ihnen das Ergebnis nicht passt so lange abstimmen wollen, bis es ihnen passt.

    Das ist eine ganz natürlich Grundregel der Demokratie (nicht nur der direkten): Mehrheitsentscheide sind, solange sie gelten, zu akzeptieren, aber sie dürfen mit denselben Instrumenten auch wieder hinterfragt werden. Wäre nicht mehrfach über dasselbe Thema abgestimmt worden, hätte der europäische Gerichtshof wohl den Schweizern das Frauenstimmrecht aufzwingen müssen…

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