Ich bin erstaunt, wie wenig Aufmerksamkeit die Medien dem Skandal widmen, der Exekutivpolitiker betrifft und Cross-Border-Leasing (CBL) heisst. Kürzlich konnten nur zwei lange und lesenswerte Artikel von Roland Kirbach in der Zeit meine Aufmerksamskeitsschwelle überschreiten.
„Cross-Border-Leasing: Für dumm verkauft„, zeit.de, 12.03.2009
„Kommunen: Die Rathauszocker„, zeit.de, 16.07.2009
Die anderen Medien machen ihren Konsumenten offenbar lieber mit der Schweinegrippe Angst. Was für Gründe mag das haben? Im zweiten Artikel von Kirbach gibt es einen österreichischen Bauer, der morgens, bevor er in den Stall geht, auf seiner Homepage alles veröffentlicht, was er über die CBL-Geschäfte des regionalen Stromkonzerns TIWAG, der Tiroler Wasserwerke AG, findet. Diese schalten seine Domain ab, er findet eine Ausweichadresse. Der Konzern schickt Unterlassungserklärungen, die er nicht unterschreibt, verklagt ihn auf 500’000 Euro und setzt einen Privatdetektiv auf ihn an, der mit 150’000 Euro entlöhnt wird. Danach gewinnt der Bauer alle Prozesse gegen den Konzern. Äh. Ist das nicht so ungefähr alles, was eine interessante Story ausmacht?
Glauben denn die anderen Medien nicht, dass es zum Beispiel die Berliner interessieren könnte, wenn ihre Verkehrsbetriebe BVG, die gerade auf Druck der Behörden auf unbestimmte Zeit fast alle S-Bahnen ausfallen lassen, „zwischen 1997 und 2002 insgesamt 22 Leasingverträge“ abschliessen? Könnte es nicht sein, dass das „Loch von 157 Millionen Euro“ im Budget, das durch die Verträge ausgelöst wurde, Grund ist für die ausgelassenen Sicherheitskontrollen, die die Behörden nun einfordern? [Edit 22.7.: Nein, könnte es nicht, siehe Kommentare] Dass der Berlin-Bewohner, also ich, vielleicht eben wegen diesen Verträgen und den damit einhergegangenen Sparmassnahmen nicht S-Bahn fahren kann? Ok, andere reden die Ursachen betreffend lieber von „Heuschrecken“, die, „weil sie so gierig sind“, den Betrieb „auspressen“.
Wie viel auch immer die Verluste mit den aktuellen Problemen zu tun haben, ein Skandal ist CBL in jedem Fall. Nicht nur, weil grobfahrlässig gehandelt wurde (und wird, mit den Nachfolgeprodukten von CBL) – sondern auch, weil bis heute wenig bis gar nichts geschieht. Die Medien berichten nicht darüber, die Täter werden nicht belangt, es herrscht eisiges Schweigen, vor allem aber Nichtwissen.
Als Einstieg ein paar Zitate aus dem zweiten Artikel:
Die Ermittler ermitteln nicht, obwohl »im schlimmsten Fall bis zu 30 Milliarden Euro«, wie der Bund der Steuerzahler schätzt, von führenden Leuten in öffentlichen Verwaltungen verschwendet wurden. (…)
Es war die Regel, dass den politischen Gremien in den deutschen Städten die 1000 Seiten umfassenden Verträge gar nicht erst ausgehändigt wurden. Die englischsprachigen Originale lagern in den USA; den Gemeinderäten wurden nur knappe Zusammenfassungen auf Deutsch vorgelegt. Die Kommunalpolitiker wussten meist nicht, worüber sie im Detail abstimmten. (…)
Die Stuttgarter Staatsanwältin sah jedoch kein pflichtwidriges Verhalten der Verantwortlichen. Bei Cross-Border-Verträgen gehe es »weniger um ein offen erkennbares und bewusst eingegangenes Risiko als vielmehr um im Vertragswerk versteckte, bei bestimmten Eventualitäten sich realisierende Risiken«, schreibt sie in ihrer Einstellungsverfügung. Weil die Kommunalpolitiker die Details der Verträge nicht kannten, können sie auch nicht belangt werden. Dummheit soll vor Strafe schützen?
Der Vorwurf, pflichtwidrig gehandelt zu haben, so die Staatsanwältin, sei »angesichts der Außergewöhnlichkeit der aktuellen Finanzkrise… nicht haltbar« (…)
In Nordrhein-Westfalen, dem Land mit den meisten Zockerstädten, hat der Bund der Steuerzahler alle 396 Kommunen des Landes aufgefordert, mitzuteilen, ob sie Zinswetten abgeschlossen haben, und wenn ja, mit welchem Ergebnis. Fast alle gaben Auskunft. Fast alle haben Swaps, Doppelswaps, Zinsswaps oder Forwardswaps abgeschlossen – haben sich also wie Investmentbanker verhalten. Ein gutes Dutzend Städte hat sich dabei richtig verzockt. Allen voran Hagen am Rand des Sauerlands mit 50 Millionen Euro Verlust. (…)
Viele Städte versuchen nun, von ihrer Schuld abzulenken und sie allein den Banken zuzuschieben. Je mehr Geld sie verzockt haben, desto lauter rufen die Kommunen nach Entschädigung, am lautesten die Stadt Hagen.
Danke, Roland Kirbach, danke auch der Zeit. Genau sowas will ich lesen.
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