Kürzlich habe ich endlich auch persönlich Leute kennengelernt, die Angst haben vor der Schweinegrippe. Kein Wunder, dass es diese Ängste gibt, wird doch im Grippemonat November mit steigender Kadenz in fast allen Medien über die vielfältigen Gefahren dieser Grippe berichtet. In Kassel beispielsweise ist bereits sowas wie „Hysterie“ ausgebrochen.
All jenen, die sich vor einer Anstreckung fürchten, sei dieses „Spiegel“-Interview aus dem Sommer 2009 dringend empfohlen.
„Sehnsucht nach der Pandemie“, spiegel.de, 20. Juli 2009
Darin gibt der Epidemiologe Tom Jefferson Auskunft über die Gefahren:
Es stimmt, dass Influenza-Viren mitunter unberechenbar sind. Eine gewisse Vorsicht ist deshalb geboten. Trotzdem finde ich es verrückt, welche Katastrophen uns Jahr für Jahr von den Grippeexperten vorausgesagt werden. Diese Prophezeiungen werden schlimmer und schlimmer. Dabei ist bislang keine davon jemals eingetroffen. Was zum Beispiel ist aus der Vogelgrippe geworden, an der wir alle sterben sollten? Nichts. Aber diese Leute machen trotzdem immer weiter und weiter mit ihren Vorhersagen. Manchmal kommt es mir vor, als hätten manche geradezu Sehnsucht nach einer Pandemie.
Bild: CC Flickr frollein2007
Wer die „Bild“- und „Bild am Sonntag“-Titelseiten studiert hat in letzter Zeit, weiss, wer diese Panik anschürt. Von den 27 Titeln zwischen dem 14. Oktober und dem 9. November 2009 waren zwölf! der Schweinegrippe gewidmet (mehr bei bildblog.de).
Das stört auch andere, zum Beispiel Justus Kliss:
Schlagzeilen wie „Erster Toter in Berlin“ und „Impfschock – Patient in Lebensgefahr“ spiegeln die ganze Bandbreite wider. Die Boulevardpresse als Petrischale, auf der immer neue, nutzlose Geschichten wuchern. Mit der „Neuen Grippe“ lässt sich wahrscheinlich die Auflage steigern – weniger der Informationsstand der Leser. In der U-Bahn erntet inzwischen jeder böse Blicke, wer nur leise hüstelt.
Die Panikmache wird von der Boulevardpresse angeworfen – dramatisch ist, dass die sogenannt seriösen Medien (hier zwei Beispiele vom letzten Sonntag) sich dieser anschliessen und die Behörden dazu animieren, „etwas zu tun“ – was dann natürlich gemacht wird auf Kosten auch von jenen, die keinen Handlungsbedarf sehen. Die Auswirkung der Schweinegrippe-Panik ist nur eines von vielen Beispielen, in dem das Diktat der totalen Sicherheit die Freiheit der Einzelnen (also konkret: die Ignorierung des Wunschs, sich nicht an den Kosten für die Grippekampagnen zu beteiligen) beschneidet.
Wie schlimm die Schweinegrippe wirklich ist, bzw. in einem konkreten Fall ist, hat Jörg Winterfeldt von der „Welt“ erfahren, der daran erkrankt ist:
Das Schlimmste an einer Woche Schweinegrippe waren Kopfschmerzen Dienstagnacht und Mittwochabend, die über Stunden und trotz mehrerer Aspirin einfach nicht besser werden wollten.
Das grosse Problem bei der Thematik ist, dass zu fast 100 Prozent Nicht-Experten darüber sprechen und schreiben. Und dass die Gefahr einer Pandemie, die die Menschheit in kurzer Zeit dahinrafft, tatsächlich nie ganz ausgeschlossen werden kann. Das wissen wir nicht nur aus vielen Hollywoodfilmen, das ist tatsächlich so. Genausogut könnte die Erde von einem Meteorit getroffen werden. Es ist die Furcht vor dem schnellen, nahen Ende, vor dem sich der Mensch gerne gruselt. Das viel mehr der Realität entsprechende, langsame, eher ferne Ende einer von Menschen nach und nach zerstörten Welt ist kein Bruchteil so sexy.
Ein anderes grosses Problem ist, dass niemand als Verharmloser auftreten kann, da niemand behaupten könnte, es würde mit Sicherheit keine Gefahr bestehen. Allerdings besteht auch eine grosse Gefahr, auf dem Gehsteig zu laufen, denn es könnte einem ein Blumentopf auf den Kopf fallen. Man könnte vom Blitz getroffen werden. Oder in einen Amoklauf geraten. Das sind alles echte Gefahren, die nicht zu unterschätzen sind.
Die redaktionelle Panikmache in den Boulevardmedien kann übrigens auch sehr gut mit Werbung ergänzt werden, wie „Blick am Abend“ und „Emmi“ beweisen:
Bild: CC Flickr puyol5, weblog.ch
Der Schweizer Presserat hat die Vorgehensweise scharf kritisiert. Dominique von Burg, Präsident des Schweizerischen Presserates:
Mit der Wortwahl und dem Produkt in der Anzeige wird ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Artikel hergestellt.
Und:
Wenn man den regelmässigen Erscheinungsrhythmus der Artikel in Betracht zieht, dann kann man sich schon fragen, ob diese ohne die Anzeigen auch erschienen wären
Update am 13. November 2009 – ich möchte drei Links nachtragen.
Seit heute 12.30 Uhr steht es fest, dass ich die Schweinegrippe habe.
Schweinegrippe – Jetzt hab ich sie (seonauten.com)
Was habe ich heute früh in der U-Bahn gelacht beim umsteigen am Hauptbahnhof. Ein Mann, ca mitte 30, hielt sich dauerhaft seinen Edeldesignerschal vor sein Gesicht und schaute von uns all’ die besonders böse an, die schnieften, husteten oder etwas mitgenommener (oder müder) dreinblickten. Mich auch, was aber eher daran lag, dass ich ihn sehr offen auslachte.
Von der Schweinegrippe ihrer Lüge (poirates.de)
Die wichtigste Maßnahme gegen ein Virus ist nicht das Impfen sondern die Stärkung des eigenen Immunsystems.
Wie gefährlich ist die Schweinegrippe wirklich? (dr-feil.com)
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