„Das Magazin“ zerlegt sich in Häppchen

Im neuen „Magazin“ von Tamedia glänzt nach dem Relaunch vor allem die Werbung. Sind die grossen Zeiten nun vorbei? Muss der publizistische Leuchtturm ein Heftli werden?

“Facts” ist eingestellt, die “Weltwoche” verkauft immer neue Teile ihrer Titelseite und ich erkenne meine Lieblingslektüre der letzten 25 Jahre, das “Magazin”, nicht wieder. Als ich das komplett überarbeitete und am 3. Januar 2009 erstmals in grösserem Format erschienene Heft erstmals durchblätterte, stach mir vor allem die Werbung ins Auge, die sich in frohen Farben von den matt kolorierten redaktionellen Inhalten abhebt. Das publizistische Konzept wirkt damit wie auf eine bis vor kurzem nicht denkbare Weise umgekehrt: Nicht mehr die Werbung ergänzt die Inhalte, sondern die Inhalte ergänzen die Werbung.

Und es tauchen redaktionelle Inhalte auf, die mich stutzen lassen. Es erscheinen Artikel über pseudomoderne Fahrräder, die viel Geld kosten, allerdings keine Bremsen und Lichter haben – irgendwie der letzte Schrei. Oder es wird eine ganze Ausgabe mit Inhalten gefüllt, die zuvor im Geschäftsbericht des Detailhändlers Migros erschienen sind. Flankiert mit bezahlter Werbung – der Migros.

Das Magazin
Eine Vorliebe für Hemden, Krawatten, Anzüge? Foto: Ronnie Grob

Als Res Strehle im April 2007 vom Magazin-Chefsessel in die (zunächst stellvertretende) Chefredaktion des Tages-Anzeigers stiess, folgten im Magazin Finn Canonica und Guido Mingels (Stv.) nach. Ehemals der Ort für lange, herausragende Sozialreportagen, für Denkanstösse, für politische und wirtschaftliche Hintergründe, wandelt sich das Heft unter der neuen Führung in einen Styleguide der versnobten, städtischen Eltern. Die Themen drehen sich vornehmlich um Stil, Mode, Kochen, Frauen, Kinder, Reisen, Trends. Politik? Ja, aber dann nur die menschliche Seite. Gesellschaft? Ja, aber nur, wenn etwas Glamour dran ist. Wissenschaft? Das ist zu trocken, das geht nur aufgepeppt. Investigationen? Verlaufen nicht immer günstig; Redaktionsmitglied Sacha Batthyany widerfuhr das Unglück, in Liverpool von einem Fünfzehnjährigen ausgeraubt zu werden.

Das mehreren Tamedia-Zeitungen beiliegende Heft dreht sich vor allem um Zürich – auch wenn Mingels am 10. Juli 2007 in Bern ein “Frauenwunder” entdeckte und eine “Ode an die Bernerin” schrieb. Leser aus der Agglomeration oder vom Land finden sich kaum wieder. Chefredakteur Canonica scheint jedenfalls kein besonderes Interesse an Nicht-Zürchern zu haben. So twitterte er am 21. März 2009, um 14:28 Uhr (twitter.com/finncanonica): ”Hasse Zurich am samstag, zuviele provinznuesse”.

In einem Interview 2007 sagte Finn Canonica, er möge rückwärtsgewandte Geschichten weniger: “Ich will wissen, was die Menschen jetzt und heute beschäftigt und über was man in einem halben Jahr reden wird, welche Ideen die unmittelbare Zukunft gestalten werden.” Doch ausgerechnet das Internet, die grösste Revolution, die uns im Alltag ereilt hat, schweigt die Redaktion fast komplett aus. Sie reagiert kritisch-ängstlich auf die neuen Entwicklungen und lässt den Webkritiker Andrew Keen ran, der, selbst aktiv bloggend und twitternd, den Kult des Amateurs verdammen darf (am 21. September 2007).

Zaghafte Versuche, online aktiv zu sein, gehen oft nicht über den Versuch hinaus und verlaufen konsequent inkonsequent. Der Dialog mit den online kommentierenden Lesern gestaltet sich schwierig, die inzwischen abgesetzte Tech- und Medienkolumne von Thomas Zaugg durfte nicht mehr als eine nur online erscheinende Print-Kolumne sein (keine Links, kein Dialog).

Es fällt auch auf, dass einige der Redaktion offenbar nahestehende Personen sehr oft im Blatt stehen. Von Patrick Frey etwa, Verleger der Bücher des Redakteurs Max Küng, erschien am 23. Januar 2009 ein “Was ich mag / Was ich nicht mag”, an den Tagen vom 13. März bis zum zum 17. April insgesamt fünf Teile eines Gesprächs, in dem er von Canonica attestiert kriegt, “immer toll” auszusehen und selbst “in Jugenderinnerungen schwelgt”. Und zwischendurch, am 28. Februar, redeten sie in der Sendung DRS4 Talk miteinander, über den Aufenthalt von Frey in Dubai.

Überhaupt scheint Aussehen sehr wichtig zu sein, auch für Journalisten. So kann man auf einem der Fotos neben den Kolumnen von Daniel Binswanger geradezu zusehen, wie er diese im Geiste formuliert, tadellos angezogen und seinen Blick gedankenverloren durch die Pariser Wohnung schweifend.

Auch die SF-Journalistin Patrizia Laeri inszeniert das Magazin per Schwarz-Weiss-Foto. Canonica teilt sie im Heft “Menschen, denen die Zukunft gehört” ein in die Gruppe der “sehr schönen Frauen”. Was wahr ist, aber absurd wirkt, weil damit ebenfalls eine Äusserlichkeit und keine Qualifikation angesprochen wird. Was er im Portrait von ihr kritisiert: “In Blogs, wo ja immer nur Zukurzgekommene diejenigen verbal missbrauchen, die sie gerne sein würden, wurde Laeri auch schon als Barbie-Puppe bezeichnet.” Sucht man im Internet nach “Barbie” und “Laeri”, so findet sich keine solche Passage in Blogs. Nur einen Kommentar auf tagesanzeiger.ch; dort wird Laeri als “barbie-saubere Naiv-Journalistin” bezeichnet.

Die sich online äussernden Leser verstehen den “Hype um Frau Laeri” nicht ganz. Sie sehen das harte Nachfragen der Journalistin, die “Laeri-Brechzange” (Canonica), als “eine Selbstverständlichkeit” an. Die Kommentare zu einem Portrait von Ex-Miss-Schweiz Melanie Winiger sind dann schon deutlicher: “Wieviele dieser belanglosen People-Portraits müssen wir eigentlich noch lesen?”, “solche Berichte gehören in die ‘Glückspost’ und nicht hierhin”, “ein weiterer Meilenstein in der Vertrashung des Magazins”.

Diese Kommentare kann man aber seit Anfang Juni gar nicht mehr lesen. Denn dasmagazin.ch hat die Kommentarfunktion inklusive Nutzerprofil-Zugang ohne Ankündigung zum Verschwinden gebracht. Es ist zwar noch zu sehen, wenn ein Artikel Kommentare nach sich zog – zugänglich ist aber nur noch der abgedruckte Artikel. Entweder ist der Redaktionsleitung nach zwei Jahren plötzlich der Moderationsaufwand zu gross geworden. Oder aber sie will sich nicht weiter der öffentlichen Kritik stellen. [Update am 17.06.2009: Einzelne Stories sind nun offenbar entgegen der Ankündigung vom 02.06.2009 wieder Kommentaren geöffnet.]

Die zu einem guten Teil aus städtischen Eltern rund um die 40 bestehende Redaktion ist zu homogen, um vielfältige Inhalte zu produzieren. Die grenzenlos wirkenden Konzessionen an die Werbewirtschaft verringern den publizistischen Wert und sind mehr aus einem Selbsterhaltungstrieb als aus echter Notwendigkeit geboren. Denn die durch die Werbekrise in Schieflage geratene Bilanz liesse sich durchaus auch anders ausgleichen, nämlich mit einer Restrukturierung der (im Vergleich) durchaus luxuriös ausgestatteten Redaktion. Das ist bisher ausgeblieben und auch nicht in Sicht – es wird somit kaum frisches Blut in den (publizistisch) fahlen Patienten einfliessen. Die 2008 von der “NZZ am Sonntag” abgeworbenen Matthias Ninck und Sacha Batthyany setzten bisher kaum Akzente, richtig frisch sind nur die Texte des Ausnahmetalents Michèle Roten und des Praktikanten Thomas Zaugg.

Braucht es das “Magazin” überhaupt noch? Oder würde Tamedia nicht besser daran tun, es gleich mit der “Annabelle” zu fusionieren? Nein, denn das “Magazin” hat ein grossartiges Erbe zu verwalten. Ich kenne unzählige Leser, die den “Tages-Anzeiger” durchblätterten, das “Magazin” aber studierten und liebten. Mit der auf die Werbekunden ausgerichteten Strategie der harmlosen Häppchen wird die Zeitung diese Abonnenten verlieren.

Dieser Artikel erschien in redigierter Form am 1. Juni 2009 im Medienmagazin Klartext.
Siehe dazu auch den Artikel „Mehr Style als Life: Supplements werden zu Frauenzeitschriften“ auf medienlese.com vom 19. März 2009.

5 Gedanken zu „„Das Magazin“ zerlegt sich in Häppchen“

  1. treffende analüse. ich lese das magazin seit der ersten nummer (1970), es war ein wichtiger bestandteil meiner „mediensozialisation“ (kann man das so sagen?) und es ist ein jammer, das gute stück in diesem desolaten zustand zu sehen.

  2. Habe Stösse von «Das Magazin» der letzten 8 oder so Jahre im Estrich, sauber aufbewahrt, und kann mich einfach nicht entscheiden, diese ins Altpapier zu tun.
    Ob es den neueren Exemplaren auch so gehen wird, ist zweifelhaft – kann mich nicht erinnern, auch nur eines archivierungswürdig gefunden zu haben, in dem sich eins der lächerlichen Fotos mit Herrn Binswanger (immer ganz gepflegt am Denken) findet. Die Texte von Michèle Roten werden ja auch in Buchform veröffentlicht.

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