Christoph Schlingensief über die Medien

In seinem Buch “So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ (erschienen im April 2009), dem „Tagebuch einer Krebserkrankung”, schreibt Theaterregisseur Christoph Schlingensief auch über die Medien (auf den Seiten 108 bis 110 und 120). Ich möchte das gerne einfach mal unkommentiert zitieren.

Fernsehen:

Habe versucht, noch ein bisschen fernzusehen, aber das geht gerade nicht. Ich halte dieses Medium, das so klug tut, sich zu Gott und der Welt äussert und uns alle im Griff hat, nicht mehr aus. Nicht, weil sie da von einem unbeschwerten Leben sprechen, gönn dir was, kauf dir ein neues Auto und deinen Kindern Schokolade oder sonst irgendwas. Auch nicht, weil ich die Sachen niveaulos finde – ich lache gerne über Blödsinn. Aber ich kann den Fernseher nicht mehr einschalten. Das ist ein Medium, das mir im Moment völlig fremd ist, weil da wie in einer Endlosschleife immer dasselbe geredet wird. Da kann man reinschalten und wie nach einer Betäubung ohne Probleme an den Satz anschliessen, der vor der Betäubung gesprochen wurde. Das haben mir die Anästhesisten hier erklärt. Man kann sich heutzutage einschläfern lassen, dabei irgendwas reden, und wenn man aufwacht, redet man einfach weiter, die Sätze passen aneinander. Der Mensch ist gar nicht weg gewesen, er wurde einfach nur kurz in seiner Zeit unterbrochen.

Zeitungen:

Zeitungen will ich auch nicht mehr lesen. Da steht das Geblubber von armen kleinen Menschen, die schreiben, weil sie schreiben wollen und im besten Fall auch können. Meist schreiben sie das, was der Chef will, vielleicht dürfen sie auch mal ausbüchsen, aber bitte nicht zu viel. Dann liefern sie etwas ab, was in dem Moment, wo es auf die Welt kommt, schon verschwindet. Wenn sie Glück haben, ruft mal irgendjemand an und beschwert sich, oder ein Freund sagt, habe deinen Artikel gelesen, fand ich sehr spannend. Und das war’s.

Dieses Argument, dass das morgen schon tot ist, zählt natürlich nicht. Ich weiss. Ich kann mir auch vorstellen, dass man jetzt denkt: Ja, typisch, der Schlingensief meint wohl, er schreibt einen Artikel und die Politik fällt tot um. Das meine ich nicht. Ich meine nur, dass man die Dinge in Relation sehen muss. Irgendein Artikel wird gedruckt, gammelt abends schon irgendwo in einem Lokal herum, und der Einzige, der ihn zur Kenntnis nimmt und ausflippt, ist der Sänger, der lesen muss, dass er nicht gut war, oder der Regisseur, der wieder mal lesen muss, dass das alles total unschlüssig war.

Diskussionskultur:

Ja, stimmt schon, eigentlich beschreibe ich mich selbst, ich bin selbst oft genug ausgeflippt, habe oft genug die Relation nicht beachtet. Aber egal, ich will das nicht mehr, das ist doch komplett bescheuert. Gibt doch genug Menschen, die keine Möglichkeit haben, sich lautstark zur Welt zu äussern, weder als Künstlerarsch noch als Kritikerdepp. Man kann doch wahrscheinlich auch gut ohne all das leben, vielleicht sogar noch besser leben.

Und deshalb möchte ich mich damit nicht mehr konfrontieren. Den sozialen Aspekt in meiner Arbeit hat man mir sowieso meist weggeschrieben, weil man sich in Deutschland nichts mehr traut. Weil man meint, sobald jemand etwas anderes denkt, sei er schon ein Provokateur oder so. Das sind die Methoden, um hier alles plattzumachen. Das ist ein grauenhafter Haufen. Ich merke gerade, dass ich sogar Angst davor habe, mich damit zu beschäftigen, weil sie einfach Gemeinheitsfabriken sind, diese Feuilletons und Talkshows. Überall sieht man Leute, die permanent Stellung beziehen zu irgendwas und ihr Kleidchen durch die Lüfte werfen. Dabei ist keiner informiert, was der andere vorhat. Und keiner weiss wenigstens ungefähr, um welches Thema es geht und wie man darüber nachdenken könnte. Es geht nur darum, so zu tun, als würde man über etwas nachdenken. So zu tun, als hätte man sich schon masslos mit einer Sache beschäftigt. (…)

Boulevardzeitungen:

Ich habe heute auch erfahren, dass meine Sache hier wohl schon vorgestern in der Öffentlichkeit ausposaunt wurde. Dass ich Lungenkrebs habe, dass ich einen brutalen Eingriff von fünf Stunden hinter mir habe, dass ich echt kämpfe und dass die Zukunft mit Fragezeichen gespickt ist, das quasselt irgend so ein Dödel in der Kneipe rum. Dann kommen diese Kletten mit dem Block, der Idiot fängt an zu labern, und am nächsten Tag steht in einer blöden Boulevardzeitung: Schlingensief schwer erkrankt. Dödel macht sich grosse Sorgen.

Warum kann man mir jetzt nicht einfach mal diese Krankheit überlassen? Warum muss da irgendwer, den ich seit Jahren nicht mehr gesprochen habe, überall erzählen, er mache sich grosse Sorgen? Warum kann ich nicht selbst bestimmen, wann und wie ich das mitteile?

10 Gedanken zu „Christoph Schlingensief über die Medien“

  1. Hm, korrigiere mich, aber könnte es nicht sein, dass du da jetzt Schwierigkeiten bekommst?

    Ich bin ja ein Fan davon zu zitieren, wenn man denn was neues daraus macht und der neue Teil den zitierten überdeckt. Dann hat man sich Arbeit gemacht, schafft eine neue Diskussionsebene und und und…

    Aber schmückst du dich da nicht mit fremden Federn?

  2. @christine: Meines Erachtens ist es ein vom Zitatrecht abgedecktes Zitat – ich zitiere etwa 2 von 250 Seiten. Zudem darf das Zitat durchaus auch eine Empfehlung aufgefasst werden, das ganze Buch zu erwerben. Darum habe ich ja auch auf den Verlag verlinkt und ein kleines Bild des Buchtitels eingefügt. Ich habe das Buch gekauft und ich kann es weiterempfehlen. „Mit fremden Federn“ schmücke ich mich nicht, nein. Das täte ich, wenn ich behaupten würde, die Zeilen stammen aus meiner Feder.

  3. Ja Ronnie, dass Du mit diesen langen Zitaten, denen Du nichts Neues hinzufügst, geradezu um Schwierigkeiten bettelst, habe ich mir auch gedacht. Auch wenn ich’s interessant und nachvollziehbar finde, was Schlingensief sagt. Aber wie naiv Du da gerade als Medienblogger vorgehst, das überrascht mich schon.

    Hast Du denn gar nichts jemals vom Theater um Blogger und das Zitatrecht mitbekommen? Don Alphonso bei Peter Turi vor wenigen Jahren etwa? Oder Eva Schweitzer? Und da ging es um deutlich kürzere Zitate… Mannmannmann.

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