Interview mit Frau Freitag

Unter dem Namen Frau Freitag schreibt eine Gesamtschullehrerin eines der unterhaltsamsten deutschsprachigen Blogs. Nun sind die Blogeinträge auf fraufreitag.wordpress.com auch als Buch erschienen.

Warum ich das, was Frau Freitag macht, bemerkenswert finde, habe ich vor einem Jahr schon mal aufgeschrieben. Weil ich wissen wollte, wer sich hinter der Figur verbirgt, fragte ich Frau Freitag, ob ich ihr ein paar Fragen stellen darf. Ich durfte.

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Frau FreitagWas war der Auslöser, um das Weblog zu starten?
Als ich nach Lehrerblogs suchte, habe ich nur sehr didaktisch angelegte gefunden. Mein Freund hat mir die Seite dann bei wordpress.com eingerichtet. Ein Jahr lang blieb diese unbenutzt. Irgendwann sagte ein Lehrerfreund: “Fang mal an, sonst wird das zur Lebenslüge.” Geschrieben hab ich schon früher.

Warum der Name „Frau Freitag“?
Weil Freitag so ein schöner Tag ist. Mit dem Freitag beginnt das Wochenende. Ursprünglich wollte ich einen lehrertypischen Doppelnamen verwenden, letztendlich ist es aber bei Frau Freitag geblieben.

Warum bloggst Du nicht mit Deinem richtigen Namen?
Es weiß nur ein kleiner Kreis von Leuten, dass ich dieses Weblog schreibe. Weil ich nicht will, dass meine Schule da schlecht dabei weg kommt. Und es würde mich hemmen, wenn ich wüsste, dass meine Kollegen wissen, was ich blogge.

Wissen Deine Schüler, dass Du Frau Freitag bist?
Nein, natürlich nicht. Das wäre ja jeden Tag eine Debatte.

Doch Deine Schüler sind befreundet mit Dir auf Facebook. Wie geht das zusammen?
Auf Facebook habe ich eine Lehrerexistenz eingerichtet, weil ich vermehrt Freundschaftsanfragen von meinen Schülern erhalten habe. Ich bin dort mit meinem Nachnamen angemeldet, als “Frau xxx”.

Wie viel Zeit wendest Du für das Weblog auf?
Etwa 30 bis 60 Minuten pro Tag. Ausser in den Ferien und am Wochenende schreibe ich ja jeden Tag einen Blogbeitrag. Viele Beiträge sind direkt nach der Schule entstanden, zuhause am Schreibtisch. Dieses spontane Bloggen von frischen Erlebnissen wirkte auf mich oft reinigend.

«Sie sind ja gerne an der Schule, sie gehen nur nicht gerne in den Unterricht.»

Was sind die grössten Probleme, mit denen Du an der Schule konfrontiert bist?
1. Es sind zu viele Schüler in den Lerngruppen. Alles, was über 15 Leute geht, ist zu viel. Meistens sind es 25 oder mehr.
2. Die Zusammensetzung der Schüler an der Schule: Es gibt zu wenige Schüler, die an Leistungen, an einem guten Schulabschluss interessiert sind. Wenn es in den Klassen cool ist, nicht zu lernen, dann ist es schwierig, die Schüler zum Arbeiten zu bewegen.
3. Ich habe zu wenig Zeit für die Schüler. Es sollte weniger Unterrichtsverpflichtung geben. Statt 26 Pflichtstunden würde es besser nur 20 geben. Den Rest sollten die Lehrer mit den Schülern verbringen.

Frau Freitag

Was sind die grössten Probleme Deiner Schüler und Schülerinnen?
Sie tun zu wenig. Sie fehlen zu viel. Sie nehmen Angebote und Hilfsmöglichkeiten oft nicht wahr. Sie haben Angst vor der eigenen Zukunft, vor dem selbständig werden. Es gibt zu wenige positive Vorbilder in ihrem Umfeld. Besonders oft versäumt wird die erste Stunde am Morgen (was nicht immer die Schuld der Schüler ist).

Wenn es nach denen geht, könnten sie ihr Leben lang an der Schule verbringen. Da ist es warm, da haben sie ihre Freunde, da wird für sie gesorgt, da ist etwas los. Sie sind ja gerne an der Schule, sie gehen nur nicht gerne in den Unterricht. Sie bleiben dann an der Schule und stehen im Hof rum. Eine Freundin von mir sagt immer: “Die Schule ist für sie ein gemütlicher, warmer Pantoffel.”

Wie ist die Rolle der Eltern?
Die sind bemüht, wollen helfen, verstehen aber das Schulsystem nicht immer richtig. Es fehlt das Verständnis, worauf es ankommt. Ich wünschte mir mehr Mitarbeit, denn an der Kommunikation liegt es nicht: Wer kein Deutsch kann, bringt einen Übersetzer mit.

«Es ist angesagt, einen Migrationshintergrund zu haben.»

Wie stehst Du zur von Familienministerin Schröder aufgeworfenen Debatte zur Deutschenfeindlichkeit?
Von meinen 26 Schülerinnen und Schülern sind etwa 3 bis 4 “Urdeutsche”. Die finden sich auf dem Schulhof und stehen dann zusammen rum. Eine klare Trennung gibt es aber keine, Freundschaften gibt es in allen Variationen. Tatsächlich ist es aber angesagt, einen Migrationshintergrund zu haben.

Wie stehst Du zur sogenannten “Integrationsdebatte” rund um das Buch von Sarrazin? Und wie stehst Du zu Frau Sarrazin, die ja auch Lehrerin ist?
Ich habe “Deutschland schafft sich ab” nicht gelesen. Aber ich wundere mich, wie Sarrazin auf seine Weisheiten kommt und frage mich, welche Migranten er kennt. Ich vermute, vieles im Buch kommt von seiner Frau, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass er in der Bundesbank viel mit Migranten zu tun hatte. Ursula Sarrazin stelle ich mir als Lehrertyp “harter Hund” vor. Wenn sie so streng ist, finde ich es etwas fraglich, dass sie an der Grundschule arbeitet. Aber wahrscheinlich wird sie falsch verstanden und ist eigentlich nur sehr konsequent.

Ganz gut dagegen finde ich viele Ideen von Heinz Buschkowsky [der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln]. Das ist mal ein Gegensatz zu Sarrazin – denn der weiss wenigstens, wovon er redet. Ich hätte lieber ein Buch von ihm gelesen. Zum Beispiel könnte man bei Schulschwänzern schneller strafen, also Schulversäumnisanzeigen verteilen, die auch Geld kosten. Noch besser wäre es, Anreize zu schaffen: Also das Kindergeld dann auszahlen, wenn der Schulbesuch stattfindet.

Du bist also keine strenge Lehrerin?
Ich würde mich selbst gerne als strenge Lehrerin einschätzen, doch leider bin ich etwas zu leicht zu bequatschen. Ich möchte auch gar nicht streng sein, sondern nur konsequent. Bei strengen Lehrern herrscht Ruhe, aber damit hat man noch nichts erreicht. Gelernt haben die Schüler da noch nichts und in der nächsten Stunde kann alles wieder ganz anders sein. Viel hat mit dem grundsätzlichen Respekt zu tun: Wenn die Schüler merken, dass man sie mag und vor allem respektiert, dann sind sie grundsätzlich auch respektvoll gegenüber den Lehrern. Man kann und muss ja auch in denen, die Terror machen, etwas Liebenswertes entdecken.

«Es funktioniert einfach nicht, wenn die Mehrheit der Schüler in der Klasse nicht leistungswillig ist.»

Wie würdest Du die Stimmung an Deiner “Problemschule” umschreiben?
Es wäre ja furchtbar, wenn die Stimmung jeden Tag unterirdisch wäre. Grundsätzlich ist sie ganz gut, ich geniesse es, dass da was los ist. Ein Problem ist, dass unter dem Namen “Reform” immer mehr Anforderungen an die Lehrer gestellt werden. Die gesamte Verantwortlichkeit wird an so die Schulen gelegt. Wir müssen viel auffangen, was zu Hause nicht geleistet wird.

Ich bin dafür, das Gymnasium abzuschaffen und eine normale Drittelung für alle Schüler einzuführen. Es funktioniert einfach nicht, wenn die Mehrheit der Schüler in der Klasse nicht leistungswillig ist.

Den YouTube-Videos nach, die Du den Beiträgen voranstellst, hast Du einen breiten Musikgeschmack. Wie lange nimmst Du Dir Zeit für die Musikauswahl?
Manchmal dauert es länger, ein passendes Video zu finden, als einen Blogtext zu schreiben. Ich bin schon auch ein Musikfan.

Es gibt viele Kommentare in deinem Weblog. Konntest Du daraus auch schon mal was für die tägliche Arbeit entnehmen?
Die Tipps für den Unterricht sind oft etwas naiv. Ich bin schon 10 Jahre Lehrerin, da hat man schon einiges durchprobiert. Viele Probleme haben nichts mit dem Grundsätzlichen zu tun, sondern entstehen aus dem Stress heraus.

Ich schätze vor allem den Zuspruch und die Anteilnahme meiner Leser. Und ich bin überrascht, dass ich so viele Leser gekriegt habe, ohne aktiv etwas zu unternehmen.

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Das Buch ist seit Freitag im Handel und bereits jetzt in den Top 1000 von Amazon. Inhaltlich ist nicht viel anderes zu erwarten wie im Blog, wie die Autorin auch gern zugibt:

Die Texte sind echt ziemlich ähnlich wie im Blog. Etwas anders arrangiert und es gibt ein paar hart erarbeitete Übergänge zwischen den einzelnen Geschichten. Aber nur wenig neues.

Ich kenne Frau Freitag übrigens erst seit der Audienz, die sie mir gewährt hat. Dass sie vorerst Frau Freitag bleiben möchte, leuchtet mir völlig ein – ich werde darum auch keine diesbezüglichen Fragen beantworten. Wer das Interview in sein Angebot übernehmen will, kann sich gerne bei mir melden.

Nachtrag, 29. Juli 2011: Inzwischen ist das Buch auf der Top-Position der „Spiegel“-Bestellerliste der Taschenbücher angekommen.

Frau Freitag auf der "Spiegel Bestsellerliste"

Kaufen kann man das Buch hier (Amazon-Affiliate-Link).

4 Gedanken zu „Interview mit Frau Freitag“

  1. Hallo,

    Grüß mal Frau Freitag von mir…sie spricht und schreibt mir aus der Seele und hat das Lehrerbuch, dass ich auch mal schreiben werde, schon zu Papier gebracht. Zum Glück nicht alles, dass auch noch etwas für ein kleines Bändchen überbleibt ;). Hat sie toll gemacht, finde ich! Bin auch Gesamtschullehrer Englisch und künstlerisches Fach, aber in HH.

    Grüße, A.

  2. Schönen Gruß auch von mir an Frau Freitag.Wenn es mehr Lehrer gäbe wie sie,hätte Schule auch wieder den Sinn den sie eigentlich haben sollte,nämlich den Kids zu zeigen was sie können und nicht was sie nicht können.Mein großer(Elias 12)hat das Glück an genau so eine Lehrerin gekommen zu sein.Auch wir Eltern hätten es dann ein bischen einfacher.Wenn mein Kind auf einmal wieder gerne in die Schule geht gehe ich auch gerne dort hin.Dank Frau Freitag!Ich hoffe viele Lehrer/inen lesen ihr Buch und nehmen sich ein Beispiel.Nur wenn Kinder respektiert werden respektieren sie auch!Liebe Grüße,eine Mama

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