Oberzocker Staat

Die aktuellen Diskussionen zur schwelenden Krise von Banken, Staaten, Firmen enthüllen bei vielen ein überraschendes Wirtschaftsverständnis. Da sprechen sich eigentlich ganz vernünftig wirkende Personen gegen die Macht der Märkte aus. Und fordern, dass der Handel bitte schön brav in irgendwelchen, von ihnen imaginierten Schranken bleibt.

Was für ein Unsinn! Märkte entstehen, sobald zwei oder mehr Marktteilnehmer miteinander handeln. Märkte kann man nicht oder nur sehr bedingt kontrollieren, da sie eine Auswirkung des Verhaltens unzähliger, einzelner Marktteilnehmer sind.

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Bild: Börse in Frankfurt am Main, Juni 1988

Kann man denn wenigstens die Marktteilnehmer kontrollieren? Das klappt noch viel schlechter, denn ein jeder beteiligt sich täglich an den Märkten. Dazu muss er nicht mal mit Aktien oder Hedgefonds handeln, schon der Kauf eines Käsebrots löst komplizierte Bewegungen aus auf dem Brot-, dem Käse-, dem Butter-, und auch auf dem Korn- und dem Milchmarkt aus, wenn auch in sehr homöopathischen Dosen. Im gleichen Umfang erschüttert der Kauf einer Zigarettenschachtel alle beteiligten Industrien, vom Tabakpflanzer, dem Papier- und Filterhersteller über den Importeur, Verpacker, Händler und Kioskmann bis zum Staat, der mit dem Verkauf seine Einnahmen erhöht, ohne konkret am Produkt mitzuwirken.

Ob wir wollen oder nicht, wir sind alle Märkte bestimmende Marktteilnehmer. Das gilt, und es ist mir ein Rätsel, warum das so viele nicht verstehen, auch für den Staat.

Es gibt nur einen gewichtigen Unterschied: Während private Marktteilnehmer ihr eigenes Geld oder das ihrer Anleger riskieren, setzen staatliche Marktteilnehmer Geld aufs Spiel, das sie Steuerzahlern unter Zwang vorher weggenommen haben.

Wenn Geld leichtfertig verzockt wird, ist es …

Fall A: Anleger verzockt eigenes Geld
… das Problem von dem, der es verzockt (wenn er es selbst und redlich verdient hat). Der übliche Fall in der Marktwirtschaft. Geld anlegen birgt Risiken.

Fall B: Anleger verzockt aus freien Stücken geliehenes Geld
… das Problem jener, die dem Anleger das Geld aus freien Stücken geliehen haben. Gehört auch zur Marktwirtschaft. Wer sein Geld jemandem leiht, zum Beispiel einer Bank, muss damit rechnen, dass der Schuldner es nicht zurückzahlen kann oder will. Es bleibt die Möglichkeit, den Rechtsstaat anzurufen und den Schuldner zu verklagen.

Fall C: Anleger verzockt geliehenes Geld, das keinesfalls zum Zocken angelegt war, zum Beispiel Pensionskassengelder
… das Problem jener, die per Gesetz dazu gezwungen wurden, dieses Geld anzulegen? Am Ende wohl schon, denn wer wird den Schaden bezahlen? Die Pleite gegangene Bank? Hat kein Geld mehr. Der Staat? Hat kein Geld mehr, nur viele, viele Schulden.

Fall D: Staat verzockt Geld der Steuerzahler
… das Problem jener, die per Gesetz dazu gezwungen wurden, dieses Geld dem Staat als Steuern zu überlassen? Am Ende wohl schon, denn wer wird den Schaden bezahlen? Der Staat? Hat kein Geld mehr, nur viele, viele Schulden.

Nicht ganz unwichtig ist auch die Höhe der Beträge. Während Normalbürger kleinere Beträge herumschieben, bewegen Banken und Staaten Beträge, die gewaltige Auswirkungen auf die Märkte haben – und zu extremen Ausschlägen nach oben und unten führen können.

Noch haben die Algorithmen der Computerprogramme die ärgsten Ausschläge im Griff. Aber wie lange noch? Und was passiert dann?

Siehe dazu auch die Beiträge „Nein, der Kapitalismus ist nicht tot“ und „Crash Coming“.

9 Gedanken zu „Oberzocker Staat“

  1. Ich verstehe das Hauptargument so: Gesetze zwingen gewichtige MartktteilnehmerInnen (wie Pensionskassen und den Staat), zu irrationalen und ergo marktbeeinflussenden Entscheiden – während der Markt immer nur aus freiwilligen Geschäften zwischen zwei Partnern besteht, also gar keine problematischen Entscheide erzwingen kann. (Verstehe ich das richtig?)
    – Meiner Meinung nach ist das Problem komplexer. »Verzocken« tut ja selten jemand bewusst. Vielmehr wurde das, was der Markt ist, unter dem Einfluss einer Reihe von Faktoren (Globalisierung, Wirtschaftstheorien, Geldgier) so erweitert, dass wohlinformierte Entscheide für die MarktteilnehmerInnen nicht mehr möglich sind. Der Markt lässt ja kein »verzocken« zu, ursprünglich – ich kaufe etwas, von dem ich denke, es hat mehr Wert, als ich dafür zahle. Schon nur die Erweiterung um die Möglichkeit, ein Kaufrecht zu verkaufen und zu kaufen führt zu Berechnungen, die geschätzt 98% aller Menschen überfordern – und verschiebt den Markt, bei dem im Idealfall Informationen verfügbar sind.

  2. @Philippe Wampfler: Nein. Auch wenn es keine absolute Sicherheit gibt, können Pensionskassengelder recht sicher angelegt werden. Weiter sollte der Staat nicht unnötig aktiv in den freien Markt eingreifen, also anders, als er es in letzter Zeit öfters getan hat.

    Ein Markt entsteht aus Geschäften zwischen zwei oder mehr Teilnehmern, das kann sehr einfach oder sehr kompliziert strukturiert sein.

    Wohlinformierte Entscheide gab es noch nie für Marktteilnehmer, jeder Kauf ist grundsätzlich auch ein Risiko. Es ist ihm selbst überlassen, dieses einzuschätzen.

  3. Guter Artikel, danke! Allerdings halte ich die Forderung nach Kontrolle überhaupt nicht für Unsinn. Es geht bei den Forderungen auch weniger um die Kontrolle des ganzen Marktes sondern um die Kontroller einer relativ kleinen Gruppe Marktteilnehmer, die durch hohe Investitionssummen, Hebel und Spekulationen auf Kursverfall in sehr kurzer Taktung für starke Kursschwankungen sorgen.

    Ich halte in jedem Fall eine Kontrolle oder Einschränkung der Marktteilnehmer für realisierbar.
    Worunter inzwischen ganze Länder leiden ist doch einerseits die extreme Volatilität der Kurse und andererseits die Tatsache, dass sich die Kurse längst nicht mehr am wirtschaftlichen Erfolg eines Landes / Unternehmens orientieren, sondern an Spekulationen auf Spekulationen auf Spekulationen.
    Extrem kurzfristiger Handel mit großen Summen beschädigt Kurse auf Kosten kleinerer, langsamerer Anleger und bildet nie eine realwirtschaftliche Situation ab.

    Dementsprechend besteht auch gar keine Notwendigkeit Kleinanleger zu kontrollieren. Dazu sind Investitionssummen zu klein und Diversifikation zu groß.
    Anders bei Banken und Investoren. Dort ballen sich unglaubliche Investitionssummen auf extrem wenige Marktteilnehmer.
    Dort werden Kursschwankungen in Gang gesetzt, denen die träge Masse der Kleinanleger langsam folgt und die erst dann schwierig aufzufangen sind. Vor allem, weil sich dafür die Verursacher der Schwankung nicht zuständig sehen.

    Eine Regelung beispielsweise, die kurzfristige Handel mit hohen Beträgen unattraktiv macht würde genau die Marktteilnehmer treffen, die die Märkte nicht nutzen, um Geld in etwas zu investieren, was Zukunft hat, sondern sich auf Kosten trägerer Kleinanleger bereichern wollen.
    Und sie würde Staaten entlasten und damit Steuerzahler, die bisher dafür herangezogen werden, wenn irgendetwas aufgefangen werden muss.

  4. Gute Frage. Ich bin all zu sehr Laie, um sehr konkret werden zu können. Aber ich denke, dass man nur dann erfolgreich regulieren kann, wenn solche Geschäfte langweilig für Spekulanten werden.
    Die meisten Menschen sind ja so gestrickt, dass sie als Reaktion auf jegliches Verbot sofort beginnen, nach Umgehungen und Vermeidungsstrategien zu suchen.

    Daher wäre meiner Meinung nach eine sehr kurze, schlichte und damit konkrete Formulierung nötig, damit nicht andernorts sofort Hintertüren geschaffen werden können. Damit wird die Vorstellung natürlich sofort zur Utopie, denn seit den zehn Geboten wurden nicht mehr viele Regeln erlassen, die nicht irgendwo ein „außer“ oder „es sei denn“ enthalten.

    Innerhalb meines begrenzten finanzpolitischen Horizonts denke ich, dass man zunächst alle Produkte beseitigen könnte, die direkt durch einen fallenden Kurs Profit erwirtschaften. Das widerspricht meiner Meinung nach dem Grundgedanken von Aktien und Anleihen, die eigentlich dazu dienen sollen, in ein Unternehmen oder Staat zu investieren.

    Bei Hebeln sehe ich es ähnlich. Grundsätzlich handelt man dort mit Werten, die man nicht besitzt. Eine Art und Weise, die man sonst nirgendwo in der Gesellschaft anwenden kann.

    Was den zeitlichen Rahmen angeht gibt es ja bereits Strafen für z.B. Aktien, die man innerhalb von kurzer Zeit wieder abstößt. Diese Form der Bestrafung scheint den Gewinn durch kurzfristiges ein- und aussteigen nicht hinreichend zu dezimieren. Evtl. wäre es effizienter, wenn man die Mindesthaltedauer an die Investitionssumme koppelt und damit dafür sorgt, dass Investoren, die große Summen investieren auch gezwungen sind, die Papiere länger zu halten.

    Bei alle Überlegungen bleibt allerdings die Frage wie man so etwas überhaupt zu einem internationalen Konsens bringen möchte. Ich sehe ehrlich gesagt absolut keine Chance, solche Forderungen umzusetzen. Ich denke, die Verflechtungen der Finanzwelt mit Politik und Medien sind zu dicht und einflussreich, um ernsthafte Umwälzungen zuzulassen.

  5. Du hast Fall E vergessen: Banken verzocken geliehenes Geld, wobei der Staat für den Verlust geradesteht. Dieser Fall ist wesentlich relevanter als Fall D, weil wir es mit viel höheren Beträgen zu tun haben.

    Verwundert hat mich die Aussage „Märkte kann man nicht oder nur sehr bedingt kontrollieren“ und insbesondere die Begründung dazu. Wenn man nicht kontrollieren kann, was die Auswirkung des Verhaltens unzähliger einzelner Akteure ist, können wir den Staat abschaffen.

    Tatsächlich werden praktisch alle Märkte schon heute kontrolliert, teilweise sehr exzessiv. Der Milchmarkt beispielsweise ist komplett durchreguliert, aber auch der Handel mit anderen Lebensmitteln, mit Spielzeugen, Autos, Versicherungen und Finanzdienstleistungen ist Einschränkungen unterworfen. Die Finanzmärkte sind da keine Ausnahme. Die ärgsten Ausschläge werden im Übrigen nicht von Algorithmen verhindert, sondern von (automatischen) Handelsunterbrüchen durch die Handelsplattformen.

  6. @floyd: Ohne internationalen Konsens, und den wird es wohl nie geben, sehe ich auch „keine Chance, solche Forderungen umzusetzen“.

    @Lukas Leuzinger: Der Staat steht für den Verlust gerade? Und woher hat denn der Staat sein Geld?

    Warum den Staat abschaffen? Der Staat versucht ja nur, jene Auswirkungen freien Handelns, die von der Gesellschaft am wenigsten akzeptiert werden, in einigermassen kontrollierte Bahnen zu lenken. Auch wenn der Staat hohe Strafen für Morde garantiert, geschehen weiterhin Morde. Auch wenn der Handel mit Drogen, Aktien oder Optionen verboten ist, handeln weiterhin Leute mit Drogen, Aktien oder Optionen. Man kann sie zwar nachträglich bestrafen, aber auch nur, wenn ein Gesetzbruch nachgewiesen werden kann. Ausserdem stehen immer schon x andere bereit, die ähnliches verbrochen haben oder zu verbrechen beabsichtigen.

    Die Etatisten glauben halt einfach daran, dass der Staat alles kontrollieren kann. Wie gross diese Illusion ist, wird derzeit einigen Politikern klar, die hiflos vor der Schuldenkrise und ihren Problemen stehen und begreifen, dass sie sie nicht lösen werden können.

  7. Der Staat bezieht sein Geld hauptsächlich über Steuern, die demokratisch legitimiert sind und dazu dienen, staatliche Aufgaben wie Bildung, Wasserversorgung oder Landesverteidigung sicherzustellen. Man kann das Geld natürlich auch dazu verwenden, Unternehmen, die Milliarden in den Sand gesetzt haben, zu subventionieren. Welche Anreize damit geschaffen werden, kann sich jeder selbst überlegen…

    Hmm, das soll beweisen, dass sich Märkte nicht kontrollieren lassen? Ich bin versucht, das Gegenteil zu behaupten: Viele Märkte funktionieren überhaupt erst dadurch, dass sie kontrolliert werden – sei es durch den Staat oder eine andere unabhängige Instanz. Das ist nötig, um die negativen Auswirkungen von Marktmanipulationen, adverser Selektion oder Informationsasymmetrien zu verhindern. Man stelle sich nur einmal vor, der Verkauf von Medikamenten würde vollständig liberalisiert und man könnte sich beim Betreten einer Apotheke nicht mehr sicher sein, ob man nicht ein wirkungsloses Medikament mit tödlichen Nebenwirkungen angedreht bekommt…

    Im Übrigen ist es nicht das Ziel des Strafgesetzbuchs, dass keine Morde geschehen, sondern dass jene, die einen Mord begehen könnten, durch die wahrscheinliche Strafe (über 90 Prozent der Mordfälle werden aufgeklärt) abgeschreckt werden. Das Gleiche gilt für die Wirtschaft: Preisabsprachen, Insiderhandel etc. wird es immer geben, durch gesetzliche Vorschriften und Meldepflichten sind sie inzwischen aber stark erschwert.

  8. Man kann die Finanzmärkte sehr wohl regulieren. Es kursieren auch diverse Vorschläge: Finanztransaktionssteuer, Verbot von Leerverkäufen, Verbot von (Milli-)sekundenhandel (andere Taktung des Finanzmarktes), Verbot von gewissen Finanzprodukten.

    Während Verbote immer irgendwie umgangen werden können, scheint die Finanztransaktionssteuer das einfachste Instrument zu sein. Sie macht den kurzfristigen Handel mit grossen Volumina und kleinen Kursschwankungen unattraktiv. Ein Verbot von Leerverkäufen könnte allenfalls helfen, dass sich die Finanzwirtschaft nicht zu sehr von der Realwirtschaft entfernt.

    Das Problem bei der ganzen Sache ist höchtens eine globale Regulierung zu finden, die von allen relevanten Akteueren (d.h. Finanzplätzen) akzeptiert und mitgetragen wird. Es gibt ja gar nicht so viele Orte, wo tatsächlich die Transaktionen drüber laufen. Es sind nämlich einfach alle Börsen.

    Ein weiteres Problem, das der Staat regulierend angehen könnte, ist die Geldschöpfung. Theoretisch können Zentralbanken (die unter staatlicher Kontrolle) stehen, entscheiden, wem sie zu welchen Bedingungen Geld leihen. Hier könnte eine Regulierung ebenfalls ansetzen. Zum Beispiel, in dem eine Geschäftsbank einen grösseren Teil des geliehenen Geldes mit Eigenmitteln unterlegen muss.

    Der Finanzmarkt ist heute teilweise tatsächlich überreguliert. Nur leider an den falschen Orten. Und der freie Markt spielt nicht, weil Staaten Banken retten, von denen sie sich dummerweise abhängig gemacht haben (unter anderem auch, weil sie an den entscheidenden Stellen, sprich Eigenmittel, zu wenig reguliert haben).

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