Nein, der Kapitalismus ist nicht tot

Liegt der Kapitalismus, die Marktwirtschaft in den letzten Zügen? Haben die Kritiker, die schon immer gesagt haben, das gehe nicht auf, recht? Darauf könnte man kommen, wenn man Berichte zur Finanzkrise durchliest. Aber das ist natürlich Blödsinn.

Als Laie eine Meinung zur Finanzkrise zu haben, sollte man sich gut überlegen. Schnell mal wird einem nahegelegt, dass man davon ja keine Ahnung hat und besser mal den Mund halten sollte. Doch nicht nur der Laie hat keine Ahnung, auch der Anleger (der ja wissen sollte, was mit seinem Geld geschieht) und der Politiker (der ja wissen sollte, wofür er Steuergelder spricht) überblicken die Lage nicht, selbst den Finanzexperten, den Wirtschaftsjournalisten, den Börsenanalysten ist alles zu kompliziert geworden. Allerdings: über die Klimakatastrophe, über das Wetter, über die Existenz Gottes plaudern auch alle frohgemut, ohne einen Überblick zu haben. Also, keine Frage, auch der Laie darf und soll zur Finanzkrise zu Wort kommen.

Kapitalismus
(CC Flickr Martin Röll)

Finanzkrise vernichtet 1 400 000 000 000 Dollar„, schrieb welt.de kürzlich. Es werden sicher noch viel mehr werden. Aber was heisst schon vernichtet? Es waren Annahmen von Börsenhändlern, die vernichtet wurden. Und von vielen anderen Leuten, die ihr Geld irgendwie und irgendwo anlegten. Sie dachten, ihr Geld sei „sicher“. Es braucht schon einen Peter Sloterdijk (nzz.ch), der die Panikmacher wieder etwas herunterholt:

Seriöse Leute behaupten, dass von den realen Vermögenswerten gar nichts verschwunden ist. Es sind keine Schiffe gesunken, es müssen jetzt lediglich die surrealen Bewertungen revidiert werden, die während der letzten zehn Jahre die meisten ökonomischen Transaktionen verzerrt haben, insbesondere bei Betrieben, Immobilien und Kunstwerken. Die riesenhaften Pseudovermögen, die dabei «angehäuft» bzw. an der Börse fingiert wurden, sind auf einen sinnvollen Massstab zurückzukorrigieren. In der amerikanischen Hypothekenkrise sind ja die Häuser nicht verschwunden. Die berühmten Realwerte sind alle noch vorhanden. Es spricht vieles dafür, dass sich die Dinge nach der Anpassung des aufgeblähten Geldvolumens an die realwirtschaftliche Basis wieder einspielen. Es gab einfach zu viel Geld, das blosses Spielgeld war, daher gab es massenhaft illusorische Wertberechnungen und haltlose Reichtumseinbildungen.

Eine klassische Blase, wie sie Menschen immer wieder erzeugen und die irgendwann platzt. Jeder hat dem anderen vertraut, niemand wollte sagen, dass alles hochgeschaukelt ist, irgendwann wurde der Druck zu hoch und einiges stürzte zusammen. Neu daran ist nur, dass sich der Staat einmischt.

Muss man wirklich Mitleid haben mit den amerikanischen Kleinanlegern, die, so arm wie du und ich, sich dazu überschwatzen liessen, ein Haus auf Pump zu kaufen, das sie sich nie und nimmer leisten konnten? Ja, ein klein wenig unbedingt, wie mit allen, die naiv handeln. Und soll man mit dem Finger auf die Leute zeigen, die ihnen zum Hauskauf geraten haben, wider besseres Wissen? Ja, auch, wie auf alle, die Naivität ausnützen.

Die Verkäufer haben nur zum eigenen Vorteil gehandelt, man nennt das Kapitalismus. Und das geht, wie das Buch „die Weisheit der Vielen“ zeigt, unter bestimmten Voraussetzungen, auf. Und führt zu Weisheit und Wohlstand für alle.

Heute reicht es allerdings nicht mehr, den Kapitalismus Kapitalismus zu nennen. Man muss ihn Raubtierkapitalismus, Casinokapitalismus, entfesselten Kapitalismus nennen. Dabei ist es doch immer nur Kapitalismus. Jeder und jede handelt zum eigenen Vorteil. Und wer meint, die Marktwirtschaft sei das beste aller bekannten Wirtschaftsmodelle, muss sich sagen lassen, er sei ein Neoliberaler, was gerne wie ein Schimpfwort ausgesprochen wird.

Der Staat ist dazu da, die Schwachen zu schützen. Wie weit das gehen soll, ist ständiger Zankapfel fast aller politischer Debatten. Die eine Seite meint, der Staat muss mehr eingreifen, die andere Seite meint, der Staat muss weniger eingreifen. Zurzeit greift er in vielen Ländern massiv ein und verteilt Steuereinnahmen an verschiedenste Marktteilnehmer. Womit der Markt natürlich verfälscht wird, das heisst, es spielt mit dem Staat plötzlich einer mit, der ganz andere Voraussetzungen mitbringt (natürlich spielt der Staat immer mit, aber in der Regel nicht derart aktiv).

Bemerkenswert ist die Rezeption des Publikums auf diese Vorgänge. Als die Aktienkurse während Jahren anstiegen, führte das zu keinen Begeisterungsstürmen, sondern zu Neid. Viele waren der Meinung, dass Finanzspekulationen, denen keine echte Arbeit zugrundeliegt, keine Zukunft haben dürfen und forderten Steuern für alle möglichen Kapitalgewinne. Nun sind sie von alleine zusammengestürzt, und den Preis zahlen zum Teil andere. Das ist nicht fair, aber es erscheint auch nicht fair, wenn ein Löwe eine Antilope frisst.

Dem Kapitalismus zugrunde liegt Eigenverantwortung. Wer Geld hat, entscheidet, was er damit macht. Er kann es im Wald vergraben oder er kann versuchen, es gewinnbringend anzulegen. Beides birgt Risiken. Laotse sagt es lapidar (Tao Te King, 81):

„Der Berufene häuft keinen Besitz auf.“

Viele haben ein Problem mit der Eigenverantwortung, sie wollen Sicherheit und die soll ihnen der Staat liefern. Aber Sicherheit gibt es keine, sie ist künstlich, die Natur hat das nicht vorgesehen. Die Natur hat nur einen stetigen Wandel vorgesehen. Nach dem Hoch kommt ein Tief, nach der Sonne ein Regenschauer und so weiter. Krisen sind so normal wie Hochgefühle und sie kommen unweigerlich. Das kann man auch mit The Smiths untermalen:

I was happy in the haze of a drunken hour
But heaven knows i’m miserable now

Ich glaube, viele Übel der Welt entstehen nur, weil man aufkommende Krisen um jeden Preis verhindern will (mit aufkommenden Booms oder Hochgefühlen macht das ja auch niemand. Ok, vielleicht der chinesische Staat).

Krisen sind Chancen und durch Krisen muss man durch. Denn nach dem Regen, selbst wenn er schmerzt wie Eisregen oder Hagel, scheint wieder die freundlichste Sonne. Es ist der natürlichste Lauf der Welt.

Es ist ein Trugschluss, zu glauben, man könne aufkommende Krisen verhindern. Die Finanzspritzen der verschiedenen Staaten sind, wie korrekt angekündigt, Notfall-Spritzen, die nichts mehr als die Konsolidierung auf einer tieferen Ebene verzögern. Kurz: Was runterkommen muss, das kommt auch runter.

Mich erstaunt, wie überrascht alle sind von der westlichen Wirtschaftskrise. Was Tüchtigkeit angeht, macht die Welt, allen voran China, dem alten Westen schon lange was vor. Und mit den Legionen von vom Fernsehen und von Drogen ruhiggestellten Staatsgeldempfängern (in Europa) und den Schlangen von unbeweglichen Fettleibigen vor Schnell-Imbissen (in den USA) wird sich da auch nicht so schnell etwas ändern. Die Vorherrschaft der westlichen Welt, sie geht zu Ende.


Kommentare

8 Antworten zu „Nein, der Kapitalismus ist nicht tot“

  1. Wenn Du das Buch „Die Weisheit der Vielen“ noch ein einziges Mal erwähnst, dann werde ich es umgehend kaufen gehen.

  2. @Ralph: Das wäre ein guter Entscheid. Dieses Buch kann ich tatsächlich uneingeschränkt empfehlen.

  3. @Ralph: Gute Idee, aber bitte im englischsprachigen Original als «The Wisdom of Crowds» – momentan bei Amazon.de für weniger als 8 EUR erhältlich! :)

  4. Schön, dass mein Foto hier eine Verwendung gefunden hat. Macht sich gut da oben! :-)

  5. @Martin Roell: Find ich auch, danke für das Bild.

  6. […] natürlich, sie reagieren auf Anreize. Und sie werden es immer wieder tun, siehe dazu meinen Text “Nein, der Kapitalismus ist nicht tot” von […]

  7. […] dazu auch die Beiträge “Nein, der Kapitalismus ist nicht tot” und “Crash […]

  8. Avatar von Vera Kehrli
    Vera Kehrli

    Klar ist der Kapitalismus tot. Nicht wegen der Wirtschaftskrise. Diese hat es nur etwas schöner aufgedeckt. Man hätte den Tod sehen können. Aber viele ziehen es vor die Scheuklappen aufzusetzen und nicht genau hinzuschauen.

    Warum ist der Kapitalismus tot? Weil die viel gepriesene Selbstverantwortung eben doch fehlt. Die Banken wurden mit Steuergeldern gerettet. Vom Staat also. Die Scheinliberalen, die uns immer erklären, dass der Staat immer nur alles verschlimmert, mussten sich von diesem Staat retten lassen. Damit hätten auch die letzten sehen können, dass wir nicht im Kapitalismus leben. Dass dieser tot ist.

    Wie hätte man die Wirtschaftskrise verhindern können? Ganz einfach: mit echtem Kapitalismus und mit echter Eigenverantwortung. Banker haben den Leuten Hypoteken aufgeschwatzt auch wenn sie wussten dass sie Leute mit grosser Warscheinlichkeit in Probleme geraten würden und beim ersten Problem Konkurs machen würden. Warum haben sie diese Hypoteken abgeschlossen?
    1) Weil ihnen ihr kurzfristiger Bonus wichtiger war als die langfristigen Probleme ihrer Bank durch Zahlungausfälle
    2) Weil dies Banken die schlechten Hypoteken and Versicherungen weiterverkaufen konnte und so die Selbstverantwortung abschieben konnte
    3) Weil diese Versicherungen wussten, dass sie im schlimmsten Fall vom Staat gerettet werden
    Mit anderen Worten: im Bankwesen herrschte Sozialismus statt Kapitalismus. Leider ist das noch immer so und darum wird auch die nächste Finanzkrise so sicher kommen wie das Amen in der Kirche.

    Und dann gibt es leider noch die Journalisten die den heutigen Schein-Kapitalismus verteidigen statt sich dafür einsetzen einen echten Kapitalismus endlich einzuführen.

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