Ein Besuch beim Mediendisput „Das Ende des Journalismus – Ist unsere Mediendemokratie noch zu retten?“ in den Berliner Ministergärten.
Nach der Veranstaltung standen die Leute in Grüppchen herum. Die einen nervten sich über den Unsinn, der immer noch verbreitet werde über das angebliche Ende des papierlosen Büros. Die anderen sagten einfach nur “Schrecklich!”, “Fürchterlich!”, “Wie vor 15 Jahren!”. Und meinten damit die eben zu Ende gegangene Podiumsdiskussion.
Auf dem erhöhten Podium, hinter dem (in dieser Reihenfolge) eine gigantische Glasscheibe, ein adrett geschnittener Rasen, eine Willy-Brandt-Statue, einige Gebäude und Bäume und viel blauer Himmel zu sehen war, sassen
– Wolfgang Blau (Chefredakteur „Zeit Online“)
Zitat des Abends: „Es ist ein Fehler, die Marken online boulevardesk aufzustellen.“
– Stephan-Andreas Casdorff (Chefredakteur „Der Tagesspiegel“)
Zitat des Abends: „Die Zeitung verführt zum Lesen.”
– Brigitte Fehrle (Stellv. Chefredakteurin „Berliner Zeitung“)
Zitat des Abends: “Ich nenne es nicht Hysterisierung, ich nenne es gepflegte Aufgeregtheit.”
– Hans-Juergen Jakobs (Chefredakteur „sueddeutsche.de“)
Zitat des Abends: „Wir müssen bestrebt sein, Qualitätsjournalismus zu erhalten.“
– Frank A. Meyer (Chefpublizist Ringier Verlag)
Zitat des Abends: “In der Tageszeitung findet man, was man nicht sucht.”
– Mario Sixtus (Blogger „Der Elektrische Reporter“)
Zitat des Abends: “Journalismus ist eine Tätigkeit, die kein Geschäftsmodell eingebaut hat.”
und in der Rundenmitte Gesprächsführer Thomas Leif, der die grösste Mühe hatte, seine eigene Wichtigkeit im Zaume zu halten.
Souverän und durchaus Herr der Lage, hielt Leif das Gespräch den ganzen Abend über im geistigen Schwitzkasten. Wer auch immer etwas Eigeninitiative zeigen wollte oder Anstalten machte, emotional zu werden, wurde sofort zurückgebunden. Auf die Aufforderung aus dem Publikum, sich doch bitte zugunsten der Gäste etwas zurückzunehmen, reagierte er stutenbissig (also so würde man das schreiben, wenn er eine Frau wäre) und nannte den Zuschauer später überraschenderweise „devot“.
Doch so langweilig und doof und ewiggestrig war der Abend dennoch nicht. Einen fulminanten Auftritt gleich zu Beginn legte Frank A. Meyer hin, das dadurch verrutschte Mikrofon musste später von einem Techniker wieder arretiert werden. Angesprochen auf den Begriff “Mediendemokratie”, stellte er fest, dass es nichts mehr gebe als die Demokratie: “Es gibt nur Demokratie, und wir sind ein Teil davon.” Die Absetzung von Kurt Beck nannte er ein wunderbares Beispiel dafür, dass viele Journalisten heute nicht mehr als Gegenmacht, sondern als Macht auftreten. Brigitte Fehrle widersprach ihm später: “Die Berichterstattung über Kurt Beck hat sich verfestigt über Erfahrungen von Journalisten, die ihn alle intensiv beobachtet haben. Mir geht die Schelte wahnsinnig auf den Geist. Es trifft nur einen kleinen Teil von Journalismus. Dieser ganz grosse Teil von Journalismus, der sich im Lokalen abspielt, wird davon überhaupt gar nicht tangiert.” Hans-Jürgen Jakobs meinte, bezüglich des “Agenda-Settings”: “Die Medien haben sich instrumentalisieren lassen.”
Dann stellte Frank A. Meyer seinen eigenen, unausgeglichenen Medienkonsum fest: “Ich lese morgens sechs deutsche Zeitungen – doch sie sind alle sehr ähnlich.” Da könnte man einwerfen: Was, nur 6? Jürgen Rüttgers liest 12! Matthias Döpfner liest 14!
Eine der besten Szenen des Abends war, als Stephan-Andreas Casdorff (“Wir fangen an, unsere Marken schlecht zu reden”) auf das Rieplsche Gesetz zu sprechen kam. Als hätte sie plötzliche Schmerzen ergriffen, stöhnten Wolfgang Blau und Mario Sixtus gleichzeitig auf und griffen sich an den Kopf. Das Rieplsche Gesetz besagt nämlich, dass “dass kein Instrument der Information und des Gedankenaustauschs, das einmal eingeführt wurde und sich bewährte, von anderen vollkommen ersetzt oder verdrängt wird“ (Zitat Wikipedia). Und genau darum schicken wir uns ja auch heute noch beinahe täglich Telegramme. Oder telegrafieren. Oder telexen.
Nach einer Fragerunde, in der zum Beispiel Blinkenlichten-Mitarbeiter Julius Endert wissen wollte, warum sich die Diskussion immer noch auf dem Stand des Jahres 2000 befindet, drehte sich das Gespräch, wie vom Gesprächsleiter vorgesehen, auf eventuelle zukünftige Finanzierungsmodelle. Einen grossen Auftritt hatte dabei Mario Sixtus, Chef der Blinkenlichten Produktionen Ltd. & Co. KG, eine Firma, die zu ihren Kunden die gebührenfinanzierten Sender ZDF und 3sat zählt. Er sagte: „Ich kann mir überhaupt keine Subventionierung vorstellen.”
Überhaupt sprach sich das Podium überraschend eindeutig gegen die Presseförderung durch den Staat aus. Brigitte Fehrle: „Ich bin strikt gegen staatliche Unterstützung, das ist der Tod jedes kreativen Arbeitens. Ausserdem ist eine Einflussnahme unausweichlich.” Und Stephan-Andreas Casdorff präsentierte der Runde mit verschmitztem Lächeln eine Handvoll Papiere: Presseförderungen aller Art, die bereits in Kraft sind.
Nicht geredet wurde über den bevorstehenden Tod einiger Marken und Verlage (das macht niemand gerne). Nur Wolfgang Blau sagte, vorsichtig und mit einleitenden Vorbehalten: „Ich würde vermuten, dass wir in einigen Jahren deutlich weniger Medienunternehmen haben wie heute. Starke Marken, regional und überregional, werden überleben. Wenn sie intern zusammenarbeiten“. Nach dem Anlass twitterte er: „Just coming from a rather weird panel. What year is it?“
Und auch nicht geredet wurde darüber, wie die Printunternehmen damit umgehen, dass sie nun online der Quote ausgesetzt sind, bzw. wie drastisch das ihren Journalismus verändert (vgl. medienlese.com vom 30. Januar 2009: „Jagd nach Page Impressions: Die zehn Klick-Garanten„).
Das Schlusswort sprach der erfrischend leidenschaftliche Frank A. Meyer: „Der Untergang ist nahe, in Deutschland sowieso immer. Den Verlegern steht weniger zuteil. Sie werden mit mit weniger umgehen müssen.“
Im Internet zum Abend:
Carta.info, Robin Meyer-Lucht: „Orientierungslosigkeit, Journalismus, Medienindustrie: Eine Endlosschreife, gerade“
Freitag.de, Susanne Lang: „Die bringen sich ganz groß raus“
Blogh.de, Peter Schink: „Das Ende des Journalismus?“
Netzeitung.de, Christian Bartels: „Spaß am Untergang“
Tagesspiegel.de, Sonja Pohlmann: „Zeit für die Zeitung – eine Diskussion über die Zukunft des Journalismus“
Fr-online.de, Harry Nutt: „Journalismus first“
Twitter zum Abend:
„Moderator T. Leif führt die Diskussion leider in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft.“ julius01
„Es ist erstaunlich, wie wenig Substanz der Mediendisput mit Thomas Leif + sechs Top-Journalisten liefert.“ ChristophN
„Fühle mich auf Zeitreise. Klingt alles nach 1999 hier. Wann gibts endlich Wein?“ netzpolitik
„Mediendisput in Berlin heute war langweilig. Hätte gerne mehr von @wblau und @sixtus gehört.“ lyroloff
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