Der Terrorist, der in Norwegen am Freitagnachmittag fast 100 Menschen umgebracht hat, füttert die Medien in eigener Sache. Die Journalisten verhalten sich genau so, wie er sich das vorgestellt hat.
Der Anschläge in Norwegen vom letzten Freitag haben fast 100 Opfer gefordert. Es ist nicht die Tat eines verwirrten Amokläufers, sondern eine kaltblütige, genau geplante Exekution. Gemordet hat einer, für den die Leben seiner Opfer und ihrer Angehörigen keine Relevanz haben, dem es einzig und allein um die Auswirkungen seiner auf maximalem Narzissmus und Fanatismus gegründeten Tat geht.
Es bleibt, alle, die politische Ziele haben, an das Vorgehen in einer Demokratie zu erinnern: Man bringt nicht den um, der eine andere Meinung hat, sondern man diskutiert mit dem politischen Gegner – das Volk entscheidet dann, welchem Kandidaten, welcher Seite einer Abstimmungsvorlage sie ihre Stimme geben möchte.
Die Tat ist eine PR-Aktion für sein 2083-Manifest („A European Declaration Of Independence“) – was ihm wichtiger war, die Tötungen oder die Verbreitung seines Werks, darüber lässt sich nur spekulieren.
Das hinterlassene Manifest beginnt mit einer genauen Anleitung, wie es verbreitet und weitergeleitet werden soll, mit dem nachdrücklichen Vorschlag, es auch zu übersetzen und auf Papier zu drucken. Und es endet, als wäre es eine einzige, überdimensionierte Pressemitteilung, mit mehreren, zum Teil recht absurden Pressefotos (ein Foto zeigt ihn in einem Taucheranzug mit Waffe, ein anderes in einem Ganzkörper-Schutzanzug).
Wie verhalten sich die Medien? Natürlich genau so, wie sich das der Täter vorgestellt hat. Sie drucken seine Fotos dankbar ab, setzen ihn inklusive Waffe auf die Titelseite, versehen ihn mit Namen: „blonder Teufel“ (Bild), „Teufel von Oslo“ (tz), „Bestie“ (Express), „Mord-Maschine“ (Berliner Kurier).
Fast alle Zeitungen entscheiden sich am Montag dazu, die Tragödie vom Freitagnachmittag auf der Titelseite zu setzen. Neben wenigen kreativen Titeln lautet die Standardschlagzeile „Norwegen weint“ oder, etwas weniger doof, „Norwegen trauert“. Auch in der Schweiz.
Das hinterlassene Dokument im Umfang von rund 1500 Seiten wird nun von Tausenden, wenn nicht Millionen Journalisten, Bloggern, Interessierten gelesen und ausgewertet. Sie werden so mit Informationen versorgt, die sie zuvor vielleicht noch nie gelesen haben, und, so hofft der sich der Täter vermutlich, irgendwie hängenbleiben.
Natürlich haben die Journalisten dabei ein ungutes Gefühl, als besondere moralische Tat verweigern sie dem Dokument in aller Regel den Link – wer am hinterlassenen Dokument oder am hinterlassenen Video interessiert ist, muss sich schon selbst auf die Suche machen.
Die Hinterlassenschaften sind nicht überraschend: Im Video sind die üblichen, langweiligen Bilder und Karikaturen zu sehen, die Weltverschwörungs-Blogs eben so füllen – abwechselnd mit Mittelalter-Kampfbildern und stilisierten Texttafeln ziehen sie vorbei zu kitschiger Musik. Sollte jemand tatsächlich vor haben, die 1500 Seiten des Manifests zu lesen, wird er darin, so meine Spekulation, etwa das finden, was die letzten Jahre in solchen Blogs zu lesen war. Eine inhaltliche Zusammenfassung könnte lauten, dass er sich wünscht, die Länder in Europa würden sich vermehrt isolationistisch verhalten – als Vorbilder werden Japan und Südkorea genannt.
Der Wunsch des Terroristen, sich ganz für „die Sache“ hinzugeben, ist unübersehbar. Hier war ein Mensch am Werk, der, in gewissen Kreisen und wenigstens für ein paar Jahrhunderte, „unsterblich“ werden wollte, eine Art heroische Kultfigur revolutionären Widerstands, das alte Lied. Die Medien, deren Berichterstattung nach einem Anschlag eines solchen Ausmasses absehbar ist, geben ihr Bestes, damit das auch gelingt. Alles, was vom Täter für sie vorbereitet wurde, wird breit ausgewalzt, vom einen Satz im Twitter-Konto bis zum 1500-Seiten-Manifest.
Thomas Meyer schreibt auf Facebook:
Die Tatsache, dass man auch einen Massenmord begehen kann, um über Nacht Weltruhm zu erlangen, ist hauptsächlich den Medien geschuldet. Artig zeigen sie jedes Bild und zitieren jede Aussage.
Die Verantwortung dafür wollen sie natürlich nicht tragen, wie sie auch keine Verantwortung für Folgekosten ihrer Berichterstattung tragen wollen.
Nein, einen solchen Terroranschlag soll man nicht totschweigen. Aber es ist ein Fakt, dass ein Massenmörder nach seiner Tat von den Medien wochenlang „gefeiert“ wird. Ob im negativen Sinne oder nicht – hat das eine Relevanz für den Täter?
Bilder: Titelseiten deutscher Boulevardzeitungen von Samstag und heute Montag, via meedia.de.
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