Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Interview mit Frau Freitag

Unter dem Namen Frau Freitag schreibt eine Gesamtschullehrerin eines der unterhaltsamsten deutschsprachigen Blogs. Nun sind die Blogeinträge auf fraufreitag.wordpress.com auch als Buch erschienen.

Warum ich das, was Frau Freitag macht, bemerkenswert finde, habe ich vor einem Jahr schon mal aufgeschrieben. Weil ich wissen wollte, wer sich hinter der Figur verbirgt, fragte ich Frau Freitag, ob ich ihr ein paar Fragen stellen darf. Ich durfte.

* * *

Frau FreitagWas war der Auslöser, um das Weblog zu starten?
Als ich nach Lehrerblogs suchte, habe ich nur sehr didaktisch angelegte gefunden. Mein Freund hat mir die Seite dann bei wordpress.com eingerichtet. Ein Jahr lang blieb diese unbenutzt. Irgendwann sagte ein Lehrerfreund: “Fang mal an, sonst wird das zur Lebenslüge.” Geschrieben hab ich schon früher.

Warum der Name „Frau Freitag“?
Weil Freitag so ein schöner Tag ist. Mit dem Freitag beginnt das Wochenende. Ursprünglich wollte ich einen lehrertypischen Doppelnamen verwenden, letztendlich ist es aber bei Frau Freitag geblieben.

Warum bloggst Du nicht mit Deinem richtigen Namen?
Es weiß nur ein kleiner Kreis von Leuten, dass ich dieses Weblog schreibe. Weil ich nicht will, dass meine Schule da schlecht dabei weg kommt. Und es würde mich hemmen, wenn ich wüsste, dass meine Kollegen wissen, was ich blogge.

Wissen Deine Schüler, dass Du Frau Freitag bist?
Nein, natürlich nicht. Das wäre ja jeden Tag eine Debatte.

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Zur Terrorangst in Europa

Gemessen an den statistisch festgehaltenen Vorfällen der letzten Jahre muss die Angst vor Terror in Europa, vor allem vor islamischem oder rechtsextremem Terror, als übertrieben bezeichnet werden.

2009:

Terrorstatistik Europa 2009

2008:

Terrorstatistik Europa 2008

2007:

Terrorstatistik Europa 2007

2006:

Terrorstatistik Europa 2006

Quelle: „EU Terrorism Situation and Trend Report“ von 2006, 2007, 2008 und 2009 auf europol.europa.eu.

Was bedeutet „Vergewaltigung“ in Schweden?

Durch die Verhaftung von Wikileaks-Gründer Julian Assange am 7. Dezember 2010 ist die Frage aufgetaucht, was denn nun in Schweden alles als Vergewaltigung gilt.

Schweden
Bild: Schwedische Fussballfans in München, Flickr/4mediafactory, CC BY-Lizenz

Schauen wir doch einfach mal nach. Auf dem Faktenblatt „New legislation on sexual crimes“ (PDF-Datei, 118 kb), das vom Schwedischen Justizministerium 2005 herausgegeben wurde. Das Dokument beschreibt die Neuerungen der ab dem 1. April 2005 gültigen Gesetzgebung für Sexualstraftaten.

Ich habe mal versucht, das zu übersetzen (Fehler und Verbesserungsvorschläge bitte in den Kommentaren rückmelden, danke):

Die Verordnung zur Vergewaltigung wurde erweitert, indem das Mass an Gewalt herabgesetzt wurde. Um wegen Vergewaltigung verurteilt zu werden, genügt es unter der neuen Gesetzgebung, wenn der Täter das Opfer zu einer sexuellen Handlung durch einen Überfall, durch Gewalt oder durch Androhung einer kriminellen Tat gedrängt hat. Das heisst bezüglich des Ausmasses an Gewalt, dass weniger schwere Formen von Gewalt ausreichen. Was den Grad der Bedrohung betrifft, ist es nicht weiter erforderlich, dass die Gefahr unmittelbar Leben oder Gesundheit oder andere massgebliche Interessen bedroht. Stattdessen kann ein geringer Grad der Bedrohung ausreichen, um für eine Vergewaltigung verantwortlich gemacht zu werden.

The provision on rape has been broadened by lowering the requirement of force. In order to be convicted for rape it is sufficient under the new legislation if the offender has forced the victim to engage in a sexual act through assault, violence or the threat of a criminal act. This means that with regard to the requirement of violence, less grievous forms of violence will be sufficient. As to the degree of threat, it is no longer required that the threat be of the kind that constitutes a threat of imminent violence endangering life or health or some other more significant interest. Instead, a lesser degree of threat can suffice for liability for rape.

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Was ist konservativ?

Werner J. Patzelt ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden. Für dresdeneins.tv hat er sich um die Frage gekümmert, was eigentlich konservativ ist.

Werner Patzelt
Bild: Screenshot dresdeneins.tv

Ab 10:15 Minuten sagt er zum Beispiel:

Welche Parteien sind denn nun konservativ? Gewiss nicht eine Partei wie die NPD, die den bestehenden Zustand ja nicht aufrecht erhalten, sondern umwerfen und beseitigen will. Wie sieht es aus mit jenen Parteien, die unseren Sozialstaat aufrecht erhalten wollen, wie etwa der SPD oder der Linkspartei? Sind die nicht eigentlich konservativ? Und gar erst die Grünen, die für Nachhaltigkeit beim Umgang mit natürlichen Ressourcen, die für Nachhaltigkeit bei der Finanzwirtschaft, beim staatlichen Verhalten eintreten und für die Stabilität des Weltklimas werben?

Man sieht: Es ist gar nicht so einfach, Konservatismus mit parteipolitischen Gruppierungen zusammenzubringen. Und hier ist es insbesondere eine Gleichsetzung, die in die Irre führt. Auch sie geht zurück auf die französische Revolution. Es ist die Gleichsetzung von rechts mit konservativ und von links mit fortschrittlich. Im Grunde verdankt sich diese Gleichsetzung nur dem, dass während der Revolution in der revolutionären Nationalversammlung Frankreichs die gemässigten Revolutionäre vom Präsidenten gesehen aus rechts sassen und die radikalen links. Und dass sich dieses Muster in den europäischen Parlamentssälen jahrhundertelang erhielt. Rechts sitzen jene, die vorsichtig mit dem bestehenden Zustand umgehen wollen und links jene, die ihn überwinden wollen.

Und weil diese Gesässgeografie mit den tatsächlichen politischen Herausforderungen immer weniger zu tun hat, führt die Gleichung „rechts gleich konservativ“, „links gleich fortschrittlich“, in die Irre.

„Sind Sie konservativ?“
(dresdeneins.tv, Video, 14:46 Minuten, vom 21. September 2010)