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Unter linksurbanen Hypochondern

Als freiheitlich gesinnter Journalist ist man einsam geworden und sieht sich in einer Branche umgeben von Staatstreuen, Übervorsichtigen, Hyperkorrekten. Bin nun ich im richtigen Beruf oder sind sie es?

Die Leser der «Schweizer Journalist:in» haben die nicht mit Namen auftretenden Menschen hinter dem Medium Megafon Reitschule Bern zur Chefredaktion des Jahres 2021 gewählt. Ich hingegen habe mich längst damit abgefunden, nie einen Journalistenpreis zu gewinnen. Nicht, dass es wichtig wäre, aber natürlich leben Journalisten von Anerkennung: Sie geben sich Mühe, so attraktiv wie möglich zu schreiben, um gelesen zu werden. Und wenn sie herausfinden müssen, dass dem nicht so ist, dann leiden sie: So wie die Theaterkritikerin, die Jahrzehnte in der Illusion lebte, von der ganzen Kulturschweiz, ja, von halb Europa gelesen zu werden, und dann mit dem Internet herausfinden musste, dass ihre Artikel kaum je angeklickt werden. Es sollen schon gestandene Männer mit Tränen in den Augen sich im Chefbüro verzweifelt beklagt haben, dass niemand, aber auch gar niemand eine Rückmeldung zu ihrem Text gegeben habe! Journalisten sind wie Künstler; sie leben ein Stück weit vom Einkommen, vor allem aber vom Applaus.

Als Chefredaktor eines Nischenmagazins habe ich mich wohl oder übel daran gewöhnt, von meinen Berufskollegen ignoriert zu werden: Die Themen des «Schweizer Monats» seien zu schwierig, die Artikel zu lang, das Lesen zu anstrengend: So wie die Smartphone-Konsumzeit ansteigt, so sinkt die Aufmerksamkeitsspanne, natürlich auch bei Journalisten. Wer mehrere Stunden täglich auf Twitter ist und Dutzende Tweets absetzt, ist kaum noch in der Lage, einen längeren Text bis zu Ende zu lesen. So viele sind, ohne es sich bewusst zu sein, von der Big-Tech-Industrie via KI und Algorithmen in den festen Griff genommen worden, nicht nur die Teenies und die Boomer. Ein Problem, um in der von Social Media dominierten Welt Aufmerksamkeit zu erhalten, sind die Bezahlmauern: Während Grosskonzerne wie TX Group oder Ringier die Marktmacht haben, ihre Leser zu einem Login zu bringen oder zu zwingen, ist das für ein Nischenmagazin schwierig. Der «Schweizer Monat» hat zwar mehr Abonnenten, seit ich Chefredaktor bin, aber es ist ein grosser Kampf um jeden einzelnen Leser.

Eine WOZ in jeder Stadt
Im Jahr 1982 war die Inflation zuletzt so hoch wie heute, und wir erleben auch in anderen Fragen eine Wiederholung dieser Zeit. Der Star der Linken zu dieser Zeit war Niklaus Meienberg: Ein Kraftwerk von einem Mann, für den jeder Mächtige, der seinen Weg kreuzte, eine Einladung war, ihn zu zerlegen. Wer seine Texte heute liest, bleibt fasziniert von seiner Kreativität und Sprachgewalt, muss aber auch eingestehen, dass er es nicht immer so genau nahm mit den Fakten, wenn denn nur die Richtigen an die Kasse kamen. Beim Megafon Reitschule wäre er zu einem Leader geworden, und er wäre sicher nicht so feige gewesen, sich in einem anonym auftretenden Kollektiv verstecken. In der Realität der 1980er-Jahre stand er am Rande der Gesellschaft. So wie die WOZ, die ständig nach Geld suchte.

Den heutigen WOZes geht es sehr viel besser, es gibt in jeder Stadt eine, und sie sind nicht nur salonfähig, sondern auch erfolgreich geworden: Republik und Tsüri in Zürich, Bajour in Basel, Hauptstadt in Bern, Zentralplus in Luzern. Finanziert werden sie direkt von Abonnenten, aber auch von grünlinksurban gesinnten Millionären. Man könnte meinen, es sei alles in Butter, aber doch wollen sie noch lieber das Geld vom Staat erhalten. Dass der Staat private Medien aktiv auf Antrag nach selbst gewählten Kriterien finanziert (Online-Medienförderung), war in den 1980er-Jahren nicht nur auf staatlicher Seite undenkbar, sondern auch von privater Seite unerwünscht. Unabhängigkeit vom Staat war damals erstrebenswert. Dass Journalisten heute die Abhängigkeit vom Staat suchen, zeigt, dass sie ihn auf ihrer Seite wähnen.

Entscheidend ist die Beziehung zur Privatwirtschaft
«Die vehementesten Fürsprecher der Medien sind die Linken. Und das kommt nicht von ungefähr. Denn links der Mitte weiss man, was man an den Journalisten hat.» Das schrieb Katharina Fontana in der NZZ, und sie hat recht. Ein Blick auf Journalistentwitter zeigt deutlich, wie die politischen Sympathien verteilt sind: Gut dort sind linksurbane Projekte, Jacqueline Badran und die GLP, schlecht sind Freiheitstrychler, Thomas Aeschi und die FDP. Gegenstimmen gibt es wenige: Sie sind desillusioniert verstummt, weil sie nicht immer neue Lust haben, in Diskussionen alleine gegen eine Übermacht von grünlinken Journalisten anzutreten, die sie immer wieder in den Dunst des Rechtsextremen oder den Dunst des bezahlten Lakaien rücken.

Wie eine 2021 veröffentlichte Analyse verschiedener Umfragen unter westlichen Journalisten zeigt («The Left-liberal Skew of Western Media»), sind die Unterschiede zwischen Journalisten und der Wählerschaft beträchtlich. Während christliche Ideen mehr als doppelt so viel Rückhalt unter Wählern finden (Faktor 2), sind es bei nationalistischen, EU-skeptischen und libertären Ideen Faktor 3 oder 4, bei nationalkonservativen Ideen sogar mehr als Faktor 5. Umgekehrt sind doppelt so viele Journalisten als Wähler EU-positiv eingestellt (Faktor 2), und Themen wie Kommunismus, demokratischer Sozialismus und Sozialismus kommen – ihrer bisher mit Millionen von Opfern gepflasterten Umsetzung zum Trotz – fast auf Faktor 2. Mehr als Faktor 2 findet das Themen Feminismus, und etwa drei Mal so viele Journalisten als Wähler finden grüne Themen wichtig.

Der entscheidende Punkt, den die Journalisten von der Bevölkerung unterscheidet, ist die Beziehung zur Privatwirtschaft, ein Punkt, den auch Katharina Fontana macht: «Journalisten haben überwiegend eine akademische Bildung, sie sind häufig städtisch geprägt und steigen oft in den Beruf ein, ohne vorher solide Erfahrung auf einem anderen Gebiet gesammelt zu haben.» Tatsächlich ist es die Prägung, die mich von den anderen unterscheidet: Ich habe nämlich vor meinem Journalistendasein kein Studium absolviert, sondern eine kaufmännische Lehre gemacht und vornehmlich in der Privatwirtschaft gearbeitet. Und so zu jenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Privatwirtschaft gehört, die gezwungen werden, mit ihren Steuern grünlinke Träume zu verwirklichen. Sie kommen in den Medien wenig vor, und wenn, dann meistens als herzlose Kapitalisten, die in einer Krise die Frechheit haben, sich von Mitarbeitern zu trennen. Vorzugsweise sprechen Journalisten mit dem Personal aus Universitäten, NGO und anderen staatsnahen Kreisen, oder aber, wie zunehmend bei SRF, mit internen «Experten». Also mit sich selbst.

Panik in der Pandemie
In der Pandemie hat es sich gezeigt, dass die Probleme, Einschränkungen, Sorgen und Nöte, die Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Privatwirtschaft durch die Regierungsmassnahmen erwachsen sind, von den Journalisten mehrheitlich ignoriert wurden. In den Redaktionen dominierten recht bald die Hypochonder mit riesiger Angst vor dem Virus jene, die grundsätzlich auf ihre Abwehrkräfte vertrauten und eigenverantwortliche Massnahmen befürworteten. Stimmen, die die Massnahmen zu extrem, einschränkend und freiheitsfeindlich fanden, wurden von den Leitmedien erst dann als valide aufgenommen, als die Pandemie vorbei war. Mehr Staatstreue geht nicht.

Wie Rainer Stadler auf Infosperber.ch treffend feststellte, hätten die Journalisten in der Coronakrise autoritärere und einschneidendere Massnahmen umgesetzt als der Bundesrat. Ähnlich wie Neil Ferguson vom Imperial College London, der zu Beginn der Pandemie Millionen von Toten in wenigen Wochen falsch prophezeit hat, haben Journalisten wie Marc Brupbacher von TX Media mit ihren Schreckensszenarien von überfüllten Spitalbetten – es gab in der Schweiz nie zu wenig Intensivbetten, man kann es nachprüfen – die Regierung zu immer extremeren Massnahmen gedrängt. Wer die Welt anders sieht oder darstellt, betreibt dann halt eben «Wissenschaftsleugnung» – so macht man es sich.

Hätten diese Journalisten politische Macht ausüben können, dann hätten wir auch in der Schweiz Massnahmen erleiden müssen, wie sie die kommunistische Partei Chinas durchsetzt. Menschen, die gegen die verrückte No-Covid-Politik der KPCh mit ihren sinnlosen Lockdowns opponierten und demonstrierten, um sie zu verhindern, wurden und werden lächerlich gemacht von Journalisten. Ich bin sehr froh, dass diese Journalisten keine direkte politische Macht haben. Es ist absurd geworden: Wenn man jene, deren Auftrag es ist, die Regierung zu kontrollieren, politisch mehr fürchten muss als die Regierung selbst.

Dieser Artikel ist in gekürzter Form in der Branchenzeitschrift «Schweizer Journalist:in» 2/2022 vom 16. Mai 2022 erschienen.

Nachbern.ch erfolgreich abgeschlossen

Das Projekt Nachbern.ch, das den Wahlkampf um die National- und Ständeratswahlen 2015 in der Schweiz beobachtete, ist erfolgreich abgeschlossen. Der journalistische Annäherungsversuch dauerte 42 Tage lang, vom 7. September bis zu den Wahlen am 18. Oktober. Ermöglicht wurde das über ein Crowdfunding: 101 Personen sammelten in 30 Tagen 10’430 Franken. Gemacht habe ich unter anderem das hier:

Ein vollständiger Rückblick ist auf Nachbern.ch nachzulesen.

Crowdfunding für Nachbern.ch auf Wemakeit.ch

Noch bis zum 28. August 2015 ist es möglich, ein Projekt zu finanzieren, das mich für sechs Wochen nach Bern bringt. Es ermöglicht mir, als Journalist und Blogger den Wahlkampf um die Schweizer Parlamentswahlen im Herbst zu beobachten.

Update: Es hat geklappt!

Mehr auf Nachbern.ch. Deine Unterstützung auf Wemakeit.ch.

Gu-Gu-Guttenberg!

Glanz geht vor Verantwortung: Karl-Theodor und Stephanie zu Guttenberg waren bislang die Lieblinge vieler Politikjournalisten in Deutschland.

Die letzten Monaten und Jahre schrieben deutsche Politikjournalisten das Ehepaar Karl-Theodor und Stephanie zu Guttenberg zum neuen Kanzler und zur neuen First Lady empor. Überraschend ist das nicht, da Journalisten eine Vorliebe haben für elitäre Kreise, die sich vom Fussvolk abheben. Tatsächlich hat Guttenberg auch im Volk gute Beliebtheitswerte – was wiederum mit den Journalisten zu tun hat, die ihn so positiv darstellen (vom Gegenteil kann Guido Westerwelle ein Lied singen).

"Spiegel"-Cover: "Die fabelhaften Guttenbergs"Es lohnt sich, nochmals die „Spiegel“-Titelgeschichte vom 18. Oktober 2010 (Ausgabe 42) zu lesen, in der Guttenberg vom „Spiegel“ als „Der Bürgerkönig“ verkauft wird.

Als ich das Cover das erste Mal erblickte, dachte ich an eine witzige, distanzierte Titelgeschichte. Stattdessen las ich ein gänzlich unironisches Stück, das die Guttenbergs als neues Kanzlerpaar zu inthronisieren versuchte.

Ich picke hier mal einige Passagen heraus (in chronologischer Reihenfolge):

Nach der Diskussion stellte sich Guttenberg an die Theke, gleich neben dem Eingang. Die Massen schoben sich schmachtend an ihm vorbei, ihr Blick zeugte von tiefer Achtung. Die wenigsten trauten sich, ihn anzusprechen, viele nickten anerkennend, worauf Guttenberg sein Bierglas hob. Die Szene hatte etwas von der Huldigung für einen König. (…)

Auf seinem Rundweg durch das Dorf ist Bürgermeister Hain am Schlagbaum vor dem Schloss angelangt. Ein Warnschild verkündet „Einfahrt verboten“. Dies ist die Grenze zwischen bürgerlicher und adliger Welt. (…)

Kein anderer Spitzenpolitiker hat eine Herkunft wie diese. Die meisten kommen aus kleinen oder gutbürgerlichen Verhältnissen. Es wirkt wie ein Witz, dass ausgerechnet der Mann, der hinter einem Schlagbaum aufgewachsen ist, die Hoffnung der Bürger sein soll. Aber es ist so. Was hat er politisch gemacht aus seinem Leben im Schloss?

Guttenbergs Aufstieg zur politischen Lichtgestalt begann mit dem Fall Opel. (…)

Guttenberg wurde vom Faszinosum zum Star. (…)

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