Marc Walder durchbricht das Trübglas

Fast zwei Jahre ist es her, seit ich feststellte, dass, was die „B.Z.“ in Berlin mit 35 Leuten gut bis sehr gut hinkriegt, nämlich eine Boulevardzeitung für ein paar Millionen Leser, der „Blick“ in Zürich mit 120 Leuten schlecht bis sehr schlecht hinkriegt.

Nun endlich scheint das auch der Ringier-Verlag verstanden zu haben. Marc Walder, Chef von Ringier Schweiz, enthebt per sofort alle Ressortleiter der „Blick“-Gruppe ihrer Funktion und lässt sie neu um den Posten bewerben (mehr dazu bei persoenlich.com und tagesanzeiger.ch).

Marc Walder
Bild: ringier.ch

Anlässlich einer Mitarbeiterinformation zur Einführung eines gemeinsamen Newsrooms sagte er:

„Ich habe viel Gejammer und viel Polemik gehört in letzter Zeit. Ich habe kein Verständnis für Gejammer oder Polemik, denn wenn das grösste Medienhaus die Bedürfnisse des Lesers nicht versteht und darauf reagiert, dann haben wir alle – ich inklusive – bald keinen Job mehr.“

Es gibt ja sonst nicht viel Grund, den Garant für Dauerlangeweile, Marc Walder, zu loben. Aber dieser (vielleicht schlicht vom Management verordnete) Schritt, nämlich die gleichzeitige Entmachtung aller Ressortleiter, halte ich für den genau richtigen. Nur so kann das frische Blut, das der bleiche „Blick“ so dringend benötigt, wieder bis in den Kopf der Organisation vorstossen.

Wäre Walder allerdings konsequent gewesen, wäre er gleich noch eine Stufen hochgegangen, in die Chefredaktionen und ins Management. Das aber hat ihm offenbar sein gesunder Menschenverstand verboten, denn dann, äh, hätte er sich ja selbst entmachten müssen, und das wäre ja, äh, schon nicht so schlau gewesen. Aus seiner Sicht jedenfalls.

Der Schritt, alle Ressorts mal aufzuheben bzw. ihre Leiter zu entmachten, ist jedenfalls wegweisend und stünde sehr vielen anderen Redaktionen auch gut zu Gesicht. Nur so können die verkrusteten Machtverhältnisse, die sich nach dem letzten Mitarbeiterabbau, bei dem kaum mittlere Kader entlassen wurden, noch verschärft haben, aufgebrochen werden. Endlich werden auch die tiefen Löhne der Online-Mitarbeiter den hohen Löhnen der Print-Mitarbeiter angepasst – unnötig zu sagen, dass das eher umgekehrt der Fall sein wird.

Während sonst im verschnarchten Ringier-Verlag die kleinste Veränderung ein über Jahre planendes Projektteam benötigt, ist die Frist, in der sich nun Interessierte für Ressortleiter-Posten bewerben sollen, geradezu frech kurz. Ganze 8 Tage lang können nun Interessierte ihr Dossier aufpolieren und sich beim kaum gnädig gestimmten Verlag bewerben – allzu viele eigene Leute entlassen möchte der ja auch nicht.

Verschlafen hat diese beiden Jahre übrigens auch der Axel-Springer-Verlag, der mit einem gutgemachten Blatt den Boulevardzeitungs-Monopolmarkt der Deutschschweiz hätte aufbrechen können. Wurde gerechnet und dann entschieden, nicht unnötig Geld in einen doch eher sterbenden Bereich zu investieren?

Vielleicht ist das die definitive Abkehr vom von oben verordneten sozialistischen Kurs einiger Moralisten, die selbst gerne mit den Mächtigen der Welt gekungelt und ebenso gerne dicke Schlitten gefahren und grosse Villen bewohnt haben. Dabei aber stets am Besten wussten, was richtig ist für die armen Leute, die das eigene Boulevardblatt kaufen. Wenn nicht, dann bin ich gespannt darauf, wie diese Leute die zu erwartenden Entlassungen im eigenen Verlag kommentieren, nachdem sie jahrelang jeden restrukturierenden Manager als asozialen Abzocker angegriffen haben. Am 1. Dezember wird über das genaue Ausmass des Stellenabbaus informiert.

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