Gouvernantenprosa

Im Blog des Perlentauchers hat Thierry Chervel eine sehr ausführliche Must-Read-Kritik an verschiedenen in den Feuilletons deutscher Zeitungen erschienenen Texten veröffentlicht.

Es geht um „eine tapfere kleinere Minderheit aus Freitag, taz, Zeit, Süddeutsche, FAZ und FAS“, die sich gegen die Riesen Henryk M. Broder, Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek wendet.

Der Karikaturenstreit war eine Zäsur in der Geschichte der Medien. Er war zwar noch von einer Zeitung ausgelöst worden, aber die allermeisten anderen Zeitungen dieser Welt – und auch die allermeisten Fernsehanstalten – nahmen den Impuls nicht mehr auf. Sie zensierten die Zeichnungen mit wenigen Ausnahmen. Sie nannten sie plump (oder „albern“, wie Thomas Steinfeld, mehr hier), um behaupten zu können, dass sich eine Veröffentlichung nicht lohne. Eine Kapitulation. Die Zeitungsleser informierten sich anderweitig. Eine einfache Google-Suche reichte aus. Seit dem Karikaturenstreit ist das Internet die eigentliche Öffentlichkeit, allen Wehmutsseufzern Habermas‘ zum Trotz. In den Zeitungen ließ die Affäre einen blinden Fleck. Und der breitet sich aus und pocht und arbeitet wie stets schon das schlechte Gewissen.

Immer saurer wird die Gouvernantenprosa (so Reinhard Mohr bei spiegel.de) unserer Verwalter der demokratischen Öffentlichkeit. Die Feuilletons sind zu Schutz- und Ausweichräumen eines immer mehr zum Pfäffischen tendierenden juste milieu geworden, das sich von den eigenen Traditionen der Kritik und des Witzes längst abgeschnitten hat. Klassisch liberale, aufklärerische Positionen lassen sich in praktisch keinem einzigen Feuilleton der Republik mehr artikulieren. Man erinnert sich an Zeiten, in denen Autoren wie Henryk Broder oder Ulrike Ackermann noch in der taz publizieren konnten, damals stand dort eine Fraktion der Realos gegen eine Fraktion der Fundis. Heute sind die Fundis weich gespült – und warten in sämtlichen Feuilletons auf die Rente.

(…)

Die Öffentlichkeit wird dadurch öde, weil die Gegenposition in den meisten dieser Medien gar nicht mehr zugelassen wird. So dankbar man sein muss, dass die Öffentlichkeit nicht mehr der Filter von „Qualitätsmedien“ wie den Feuilletons der FAZ und der SZ bedarf: Die Artikel der Thomas Steinfelds, Claudius Seidls, Thomas Assheuers und Andrian Kreyes sind ja doch Chefsache. Sie markieren ein weithin abgestecktes Terrain. Steinfeld münzt es auf die Gegenseite und beschreibt doch sich selbst: „Absolut selbstgerecht schauen die Kulturkämpfer auf sich selbst, und was ihnen entgegentritt, das wird geächtet. Der Debatte tut das nicht gut“, schreibt er in der SZ. Als würde nicht er selbst die Debatte organisieren, und als hätten die Keleks und Broders, die in der SZ in kurzer Zeit mehrmals angegriffen wurden, in dieser Zeitung je noch die Chance auf Erwiderung!

Das Behagen an der Unkultur (perlentaucher.de, Thierry Chervel, 18.1.2010)

2 Gedanken zu „Gouvernantenprosa“

  1. Bin heute auch länger beim Perlentaucher und Chervel verharrt, weil ich ebenfalls sprachlos bin angesichts des unterirdischen Argumentationsniveaus im Steinfeld-Artikel, nachdem Kreye und Seidl schon ähnlich vorgelegt hatten. Und Chervel hat schon recht mit der Feigheitsdiagnose hinsichtlich der Karikaturen.

    Besonders aufgefallen ist mir auch folgende sehr zutreffende Passage Chervels:

    „Held der Helden ist seit neuestem Claudius Seidl: Er versprach in der FAZ am Sonntag hoch und heilig, sein Leben hinzugeben, falls Henryk B. und seine fundamentalistischen Konsorten den muslimischen Frauen das Recht aufs Kopftuch erfolgreich streitig machen sollten. […] Für das Recht, kein Kopftuch zu tragen, wollte Seidl sein Leben vorerst nicht in die Waagschale werfen.“

    Es in der Tat ziemlich pervers, was da für eine Rangordnung in der Betonung vorgenommen wird. Reinhard Mohrs Kommentar zur Sache fand ich auch gut.

    Irgendwie bemerkenswert finde ich ja, dass Du in der deutschsprachigen Blogszene schon so lange dabei bist und Dich immer wieder mal — mehr oder weniger nebenbei — auf ähnliche Weise gesellschaftspolitisch positioniert hast, ohne dass das zu prinzipielleren Zerwürfnissen geführt hat. Gerade bei Spreeblick etc. scheint es ja so einen piefig taz-linken Grundkonsens in den Kommentaren zu geben, der sich mit Stimmen aus der aufgeklärten Mitte überhaupt nicht ernsthaft auseinandersetzt, sondern so tut, als könne jede andere Meinung nur von fremdenfeindlichen PI-Hassköppen stammen.

    (Zum langen Copy-and-Paste sage ich jetzt einfach mal nichts.)

  2. @base rate: Ich bin überzeugt, dass man den Dialog mit allen Lagern, die es gibt, führen sollte. Natürlich ist das nicht immer sinnvoll und manchmal ist es besser, darauf zu verzichten. Eine Verabschiedung in Zirkel, wo nur diese oder jene Meinungen vorgebracht werden dürfen, führt jedenfalls auf direktem Weg in die Meinungseinfalt – und damit in die Dummheit.

    Für meinen Geschmack gibt es zu viele Debattenteilnehmer, die alle Aussagen, die ihnen nicht behagen, präventiv verunmöglichen oder nachträglich verunglimpfen (wollen). Eine Debatte lebt aber nun mal davon, dass die Diskussionsteilnehmer sagen bzw. schreiben, was sie denken.

    Wir können gerne NOCHMALS Schlingensief zitieren:

    (…) weil man sich in Deutschland nichts mehr traut. Weil man meint, sobald jemand etwas anderes denkt, sei er schon ein Provokateur oder so. Das sind die Methoden, um hier alles plattzumachen. Das ist ein grauenhafter Haufen.

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