Der abtretende Bundesratssprecher Oswald Sigg konstatiert in einem Sonntag-Interview verludernde Sitten aufgrund einer wildgewordenen, rudelbildenden und einander abschreibenden Meute von Medien. Früher sei das anders gewesen.
Mitte der Siebzigerjahre erhoben sich die Journalisten noch von ihren Sitzen, wenn ein Bundesrat den Pressesaal betrat.
Weiter beklagt Sigg eine „Hetzkampagne“ gegen den eben unter Blut und Tränen zurückgetreten Bundesrat Samuel Schmid:
Ausser wenigen Medienleuten habe ich niemanden angetroffen, der sich nicht über diese Hetzkampagne empört hätte.
Das mag sein. Die Schweizer sind ein sehr harmoniebedürftiges Volk. Sie mögen es weder, wenn jemand laut die Wahrheit sagt, noch, wenn jemand zu sehr ausgegrenzt wird. Im Fall Schmid waren die gegen den Bundesrat sprechenden Argumente aber einfach zu zahlreich, als dass ihn jemand (Frank A. Meyer natürlich ausgenommen) hätte verteidigen können. Es ist etwas wie bei der vergangen US-Wahl: Es finden sich kaum Argumente für McCain/Palin oder gegen Obama/Biden. Den wenigen Ausscherenden kann man immerhin einen Versuch gegen die Meinungeinfalt attestieren.
Wer die öffentliche Bühne betritt und sich der Debatte stellt, der muss auch etwas aushalten können. Überdenkenswert ist wenn schon der Umgang mit Privatpersonen, die per Zufall mit einem Medienthema verknüpft sind und gegen ihren Willen öffentlich gemacht werden. Politiker, Blogger, Journalisten dagegen, die ein öffentliches Amt annehmen oder sich auf die öffentliche Debatte einlassen, sollten sich nicht beklagen, wenn ihr Status auch kritisch behandelt wird. Danach zu fragen, „wie“ das geschieht und „was“ verhandelt wird, ist aber natürlich legitim.
Dass die Debatte früher, zum Beispiel vor 23 Jahren, zahmer geführt wurde, glaube ich nicht. Als Anhaltspunkt dazu ein Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Helmut Kohl und Willy Brandt („ein Hetzer ist er, seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land“):
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