Altpapier

Die schlechten Nachrichten aus der Schweizer Medienbranche reißen nicht ab. Seit Monaten grassiert der Stellenabbau. Besonders bei den Zeitungen schlägt die Krise durch.

Gemäss den “World Press Trends” des Weltverbands der Zeitungen (wan-press.org) hat Deutschland auf eine Million erwachsene Leser 5.2 täglich erscheinende Bezahltitel aufzuweisen. Die Schweiz hingegen, allen im Land um sich greifenden Gratiszeitungen zum Trotz: 78.2. Das mag an der Mehrsprachigkeit des Landes liegen, doch der nur noch von San Marino getoppte Platz 2 dieser Weltrangliste deutet schon auf eine aussergewöhnliche Pressevielfalt hin.

Die Krise trifft 2009 auch die Schweiz, jeden Monat dringen neue Meldungen durch. Im Januar kündigt die “NZZ” die Entlassung von 29 Mitarbeitern an, die “Basler Zeitung” streicht 22 Stellen. Im März schluckt die Tamedia den Westschweizer Verlag Edipresse – dem Deal fallen 20 Stellen zum Opfer. “Cash” wird eingestellt: 23 Stellen. Im Mai trifft es dann auch die Gratiszeitung “.ch”: 61 Stellen sind weg. Die “Neue Luzerner Zeitung”: 20 Stellen. Der Berner “Bund”: 19 Stellen. Der “Tages-Anzeiger”: 57 Stellen.

Fast alle Tageszeitungen entlassen in diesem Monat Mitarbeiter, der Abbau wird von “Tages-Anzeiger”-Angestellten als Mai-Massaker bezeichnet, ein Ende ist nicht in Sicht. Die Bezahl-Tageszeitungen sind unter Druck der Gratiszeitungen, die mit jüngeren und kleineren Redaktionen leichtere, aber auch frischere Inhalte produzieren. Doch auch die eigenen Online-Portale sind eine Bedrohung. Wer zahlt schon für eine Zeitung, deren Artikel er schon vor Drucklegung online gelesen hat?

Beiden neuen Medien gemeinsam ist der Abschied von der Recherche. Der Stoff, den die Nachrichtenagenturen liefern, erreicht den Leser unverändert oder leicht angepasst. Recherche ausserhalb der Redaktion wird, wenn überhaupt, nur noch mittels Telefon oder Internet gemacht. Um den dadurch nicht herausragenden Inhalt attraktiv zu machen, wird tüchtig aufgebauscht.

So mussten die Printjournalisten des “Tages-Anzeigers”, kurz “Tagi”, eine durchaus seriöse, jedoch im Volk gut verankerte überregionale Zürcher Tageszeitung, zusehen, wie ihre Marke in ein seichtes Boulevardportal überführt wurde, dem die Klicks der Online-Nutzer wichtiger sind als journalistische Grundsätze.

Im Tamedia-Verlag zeigt sich das Auseinanderdriften zwischen Verlag und Journalisten am Deutlichsten. “Tagi-Kall-Schlag NEIN!” heisst eine von einem Grünen-Politiker gegründete Facebook-Gruppe mit über 400 Mitgliedern, die in Anspielung auf den deutschen CEO Martin Kall nach den Protesten der Mitarbeiter am 26. Mai gegründet wurde. Damals verliessen die Mitarbeiter um die Mittagszeit ihren Arbeitsplatz und bevölkerten Vorplatz und Gehsteig der Werdstrasse. Sie protestierten gegen die geplanten Entlassungen mit dem Einsatz eines Megaphons sowie mit dem offiziellen Schlagzeilen-Aushang der Zeitung: “Enthüllt: Der Tagi wird zu Tode gespart” oder “Chefs führen den Tages-Anzeiger zur Schlachtbank” hiess es auf den zum eigenen Zweck abgeänderten Plakaten.

Die Mitarbeiter können und wollen nicht verstehen, dass ausgerechnet bei ihrem Blatt gekürzt werden soll, das doch über Jahrzehnte die Cash-Cow gewesen war. Dass schon im ersten Jahr, in dem der “Tages-Anzeiger” nicht mehr schwarze Zahlen schreibt, so massiv abgebaut würde, hätten viele Mitarbeiter dem Verlag, der 2008 noch rund 70 Millionen Euro Reingewinn erzielte, nicht zugetraut. Unter den Entlassenen ist übrigens auch der Vorsitzende der Mitarbeiterkommission, Daniel Suter, der einen Stellenabbau in diesem Umfang für übertrieben hält. Der linken Wochenzeitung “WOZ” sagte er: “Die Tamedia hätte das Geld gehabt, den Abbau abzufedern. Sie zahlte den Aktionären Mitte Mai 32 Millionen Franken [21 Millionen Euro] Dividenden aus. Bis 2011 lässt sie durch den Stararchitekten Shigeru Ban einen fünfstöckigen Neubau errichten. Dieser allein kostet einige Dutzend Millionen Franken.”

Es scheint fast, als fahre das marktwirtschaftlich ausgerichtete Verlags-Management eine Schritt-für-Schritt-Taktik, um die sozial engagierte Redaktion zu zermürben. Sie wartet zu, bis die Proteste verstummt sind – und leitet dann den nächsten Restrukturierungsschritt ein. Am Ende dieses Prozesses bleibt der Deutschschweiz wohl das tägliche Gratisblatt “20 Minuten” sowie wenige Tageszeitungen. Vielleicht auch gar keine.

Was Journalismus angeht, öffnet sich im Ringier-Verlag eine Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Führungsebene propagiert immer wieder publizistischen Anspruch und die Wichtigkeit von gutem Journalismus, allen voran der in Berlin residierende Chefpublizist Frank A. Meyer. Doch im Alltag ist davon kaum etwas zu finden, die gelungene Neugründung “Cicero” auf deutschem Boden explizit ausgenommen. In den Schweizer Blättern drehen sich viele Inhalte um Miss- und Mister-Wahlen, harmlose Ratgeber- und Lifestyle-Rubriken haben lesenswerte Geschichten abgelöst, politisch haben alle Blätter an Einfluss verloren.

Das ehemalige Flaggschiff, das Boulevardblatt “Blick”, torkelt von Relaunch zu Relaunch und von einem führungstreuen Chefredakteur zum Nächsten. Publizistisch hat es massiv an Einfluss verloren – es wird kaum zitiert, nicht mal mehr gelesen. Schuld daran ist eine am Boulevardleser vorbeigehende Magazinisierung und ein von der Führung verordneter politisch überkorrekter Kurs.

Das Online-Angebot der Zeitung, “Blick Online”, erschöpft sich auf der Jagd nach Klicks in der Erfindung von täglich neuen Schlüpfrigkeiten: “Ladina knabbert gern an Renzos Wurst” hiess beispielsweise der Titel einer Story, in dem es um eine Bratwurst ging, die Ex-Mister-Schweiz und Biobauer Renzo Blumenthal neu im Markt einführen will. Mit der Schlagzeile “Gute Brüste, grosses Herz” wurden Kandidatinnen zur Wahl einer Miss Earth Switzerland vorgestellt. Der einzige Lichtblick bei Ringier Schweiz ist der frische und kostenlose “Blick am Abend”. Die jeweils um 16 Uhr erscheinende Abendzeitung konnte sich in den Gewohnheiten der Pendler verankern – über die Hälfte von ihnen lesen die Zeitung auf dem Heimweg in den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Beispielhaft für die Internetinkompetenz des Verlags und seinem schleichenden Abschied vom Journalismus ist die Geschichte von “Cash”. Einst eine kritische Wirtschaftswochenzeitung mit einer treuen Leserschaft, wandelte es der Verlag in ein inhaltsarmes und bedeutungsloses Gratisblatt mit einem Online-Bereich, der seine Leser einsperren wollte und das Konzept Zeitung 1:1 auf das Internet zu übertragen versuchte. In der Krise wurde nun auch die Papierausgabe eingestellt, vorerst am Leben bleibt eine Restredaktion, die eine kleine Flamme von Glauben an das vermeintliche Online-Vorzeigeprojekt am Leben hält.

Tatsächlich ist der Verlag auf dem Weg zum Versandhändler, nimmt man denn die Worte von Verleger Michael Ringier ernst, der noch mindestens 10 Jahre an der Verlagsspitze bleiben will. Der “Handelszeitung” sagte er: “Der Versandhandel ist ein gutes Geschäft. Hubert Burda verkauft ja auch Schirmständer – was solls? Solange das Geschäftsmodell erfolgreich ist?”

Immerhin ein Zeitungsverlag in der Deutschschweiz sieht sich weiterhin ausdrücklich dem Qualitätsjournalismus verpflichtet. Es ist die NZZ-Gruppe, Herausgeber der “Neuen Zürcher Zeitung”, die schon seit sagenhaften 228 Jahren erscheint. Leider ist die “alte Tante”, wie sie im Volksmund genannt wird, tatsächlich etwas ältlich. Ihre Journalisten brüten in Einzelbüros, in denen kleine Bibliotheken stehen, über ihren oft exzellenten Texten. Ihre Auslandskorrespondenten haben noch immer nahezu den Status eines Botschafters und kosten den Laden, wie Chefredakteur Markus Spillmann in einer Fernsehsendung erzählte, jeder etwa 130.000 – 200.000 Euro im Jahr. Fragt man bei NZZ-Mitarbeitern nach, ob denn diese teuren Korrespondenten nicht auch mal etwas für online bloggen könnten, verwerfen diese die Hände. Keine gute Idee offenbar.

NZZ Online ist eines der wenigen im deutschsprachigen Zeitungsportale, die sich dem Lockruf der Klickjagd verwehrt haben. Es verarbeitet die aktuelle Nachrichtenlage etwas träge, doch es bietet seinen Lesern konsequent vertrauenswürdige Informationen an. Innovationen wie in die Artikel eingebundene Videos und Links finden ihren Weg nur sehr langsam ins Portal, die Veränderungen scheinen jedoch nachhaltig zu verbleiben.

Von den sich Politik und Wirtschaft widmenden Wochentiteln ist nach der Einstellung von “Facts” neben der “WOZ” nur noch die “Weltwoche” übrig, und auch diese entliess kürzlich so viele Mitarbeiter, dass viele fragten, ob Roger Köppel sein Blatt bald alleine führe. Die “Weltwoche” gibt es zwar seit 1933, doch den Weltwoche Verlags AG mit dem Ex-”Welt”-Chefredakteur Köppel als Besitzer und Chefredakteur erst seit 2006. Das Blatt polarisiert wie kaum ein Anderes, da es angriffig ist und gerne die Gewissheiten der Leser in Frage stellt. In der Krise restrukturiert es konsequent, bleibt aber konservativ dem Papier verhaftet. Um das Blatt ins Internet zu führen, leistet sich das Blatt genau einen (1) Mitarbeiter.

Sonntagszeitungen scheinen ein nicht zu sättigender Markt zu sein. Seit vierzig Jahren gründet alle paar Jahre ein Schweizer Verlag eine neue – die dann (für alle überraschend) erfolgreich ist. Zuletzt 2007 der “Sonntag” des vergleichsweise kleinen AZ Medien Gruppe. Der mutige Entscheid des Regionalverlegers Peter Wanner, den erst 34jährigen Patrik Müller zum Chefredakteur zu machen, zahlte sich längst aus. Er bringt die Konkurrenz, namentlich den “SonntagsBlick” (seit 1969, Ringier), die “Sonntagszeitung” (seit 1987, Tamedia) und die “NZZ am Sonntag” (seit 2002, NZZ Gruppe) mit immer neuen Primeurs ins Schwitzen.

Patrik Müller, der den nationalen Medienpionier Roger Schawinski als sein journalistisches Vorbild bezeichnet, ist nicht die Grösse einer Redaktion wichtig, sondern die “Qualität der Redakteure”: “Wir haben wenige, dafür sehr gute Leute. Wichtig ist auch die Heterogenität der Redaktion”. Fast die Hälfte davon besteht aus Frauen, Jungtalente und erfahrene Rechercheure ergänzen sich gegenseitig. Die verhältnismässig bescheidene Grösse des AZ Verlags sei sogar ein Vorteil für die noch vom “Gründer-Spirit” angetriebenen Zeitung: “Die Entscheidungswege sind kurz, die Redaktion ist unabhängiger und dadurch ‘frecher’ als diejenigen aus den bürokratischeren Grossverlagen Ringier und Tamedia”. Wie erfrischend, einen Chefredakteur zu hören, der so für sein Blatt und seine Mitarbeiter schwärmt. “Die Stimmung ist gut, und einer Zeitung merkt man immer an, in welcher Stimmung sie entstanden ist.”

Eine Übersättigung ist dagegen auf dem Gratiszeitungsmarkt zu beobachten. Verdrängt vom Markt wurde mit dem Auftritt von “News” (Tamedia) sowohl “Cash Daily” (Ringier) als auch “.ch” (Investorengruppe). Das Alleinstellungsmerkmal des Blatts, die Hauszustellung, scheiterte bald an Beschwerden aus der Bevölkerung, die das Blatt nicht in ihren Briefkästen haben mochten. Viele der in Wohngebieten aufgestellten Leichtbauständer, von “.ch” täglich für lokale Leser zur Verfügung gestellt, fielen Dieben zum Opfer.

Mit “News”, das dann und wann sogar eigene Interviews führt, verbleiben das kommerzielle Sensationsprodukt “20 Minuten” (Tamedia) sowie “Blick am Abend” (Ringier). Journalistisch anspruchsvoll sind beide nicht, es handelt sich um schnell produzierte und konsumierte Häppchen mit Unterhaltungswert, für die kaum recherchiert wird, schon gar nicht ausserhalb der Redaktion.

“Online ist nicht ein zusätzlicher Output. Online ist die Basis des gesamten Workflows schlechthin”, sagt Urs Gossweiler, Verleger der “Jungfrau-Zeitung”, die zweimal in der Woche, am Dienstag und am Freitag, ausgedruckt wird. Ein radikaler, aber konsequenter Weg. Auf der Website heisst es: “Im Zentrum der Jungfrau Zeitung steht das Internet.” Für ihn ist klar: Was sich die grossen Verlage noch leisten, nämlich mehrere Vollredaktionen für mehrere Titel, könnte er sich gar nicht leisten. Er kann auch nicht verstehen, warum noch immer in Druckzentren investiert wird. Stattdessen sollen die Verlage in “die schreibende Zunft” investieren und Journalisten das tun lassen, wofür sie da sind, nämlich journalistische Inhalte zu erarbeiten: ”Sich wiederholende Arbeit kann gut an Computer delegiert werden.”

Der Abschied von bezahltem Papier bewegt die gesamte Branche. Der Gang ins Internet geht nur langsam voran und ist verbunden mit Abbau von Personal und Journalismus. Noch schreiben viele Verlage Gewinne, vor allem kleinere Regionalverlage scheinen vorerst noch nicht hart getroffen. Das Spucken von grossen Tönen wie “Google hat Angst vor uns” (Verlegerverbandspräsident Hanspeter Lebrument, 2007) oder “Im Internet finde ich ja meist nur, was ich suche” (Michael Ringier, 2007) ist aber seltener geworden. Mit der Finanzkrise ist nun auch noch dem letzten Verleger klar geworden, dass die jahrhundertelange Tradition des Zeitungsdrucks seinem Ende entgegen sieht und das Geschäft komplett umgekrempelt werden könnte. Viele Journalisten haben ihren Argwohn den neuen Medien gegenüber etwas gelindert, sie bloggen, sie twittern, sie schalten sich in Online-Debatten ein. Doch wie die neuen Geschäftsmodelle aussehen werden, die der wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe Journalismus eine Zukunft ermöglichen, weiss auch in der Schweiz noch niemand so genau.

Dieser Artikel erschien am 30. Juni 2009 in redigierter Form im deutschen Branchenmagazin journalist.


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