Schweizer Journalistengewerkschaften beklagen sich über die Pressefreiheit

Steinigt ihn, er hat eine Frage gestellt!
Die Schweizer Mediengewerkschaften SSM, syndicom und impressum beklagen sich über einen Journalist, der sich erlaubt, Fragen zu stellen.

Darf ein Reporter Fragen stellen? Die Schweizer Journalistengewerkschaften sind dagegen.Schweizer Mediengewerkschaften protestieren, weil sich eine Zeitschrift erlaubt hat, per E-Mail einigen bei der öffentlich-rechtlichen SRG angestellten Redaktoren Fragen zu stellen.

Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, verschickten sie heute Mittwochmorgen per E-Mail einen Brief (PDF-Datei) an ihre Medienverteiler, also an ungefähr alle Deutschschweizer Journalisten. Online findet sich ein Hinweis auf den Protest nur bei SSM, dem Syndikat Schweizer Medienschaffender. Bei Syndicom und impressum scheint man zurückhaltender vorzugehen (oder aber die Solidarität mit dem augenscheinlich federführenden SSM bereits wieder aufgekündigt zu haben).

Im Brief zu lesen ist zum Beispiel das:

Die Weltwoche hat einer Anzahl von Journalisten in der SRG per Email Fragen nach deren persönlichem politischem Hintergrund gestellt (Fragen siehe unten). Das Ziel ist klar: Mit einer unklaren Art von Umfrage sollen die Journalisten der SRG als „links“ diffamiert werden.

Die Weltwoche greift damit in die Privatsphäre und die verfassungsmässig garantierten Freiheitsrechte der Journalisten ein. Sie macht die falsche Gleichung, dass jeder Journalist seine professionelle Arbeit nach seinen persönlichen politischen Präferenzen ausrichtet. Wir fragen: wo sind da die Grenzen? Müssen sich in Zukunft Journalisten auch über ihre Religion ausweisen, weil auch religiöse Fragen Gegenstand der journalistischen Arbeit sind?

Das Schreiben, das „Weltwoche“-Redaktor Andreas Kunz per E-Mail verschickte, lautete so:

Sehr geehrter ………

Im Nachgang zur Nationalratskandidatur von Tagesschau-Redaktor Matthias Aebischer machen wir bei der Weltwoche eine Umfrage bei den wichtigsten SRF-Info-Redaktoren. Im Sinne einer Herstellung von Transparenz gegenüber den Gebührenzahlern möchten wir Ihnen gerne folgende Fragen stellen:

– Sind Sie Mitglied einer politischen Partei? Und wenn ja, in welcher?
– Waren Sie jemals Mitglied einer politischen Partei? Und wenn ja, in welcher?
– Waren Sie jemals auf eine andere Art und Weise politisch aktiv? Und wenn ja, wie?
– Sind Sie oder waren Sie jemals Mitglied in einer wirtschaftlichen Vereinigung oder einem NGO? Und wenn ja, in welcher?
– Sind Sie oder waren Sie jemals aktives Mitglied in einer gewerkschaftlichen Vereinigung? Und wenn ja, in welcher?

Bei Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Für eine Antwort bis spätestens nächsten Montag wäre ich Ihnen dankbar.

Herzlich
Andreas Kunz, Ressortleitung Gesellschaft
DIE WELTWOCHE

Ich halte fest: Journalistengewerkschaften beklagen sich über Journalisten, die Journalisten Fragen stellen. Und Journalistengewerkschaften glauben, ein Journalist, der per E-Mail Fragen verschickt, greife damit in die Privatsphäre der Empfänger ein und vergehe sich an verfassungsmässig garantierten Freiheitsrechten der (anderen) Journalisten.

Alle Journalistinnen und Journalisten, die sich von Fragen belästigt fühlen, möchte ich fragen, wie sie es eigentlich mit sich vereinbaren können, anderen Leuten Fragen zu stellen? Es könnte doch schliesslich sein, dass diese Person lieber nichts dazu antworten möchte und nur schon das Stellen der Frage als Angriff wertet.

Gibt es eine Tätigkeit, die von Journalisten mehr erwartet wird als das Stellen von Fragen? Und ausgerechnet diese Tätigkeit wird angeprangert? Sollten sich Journalistengewerkschaften nicht im Gegenteil dafür einsetzen, dass Journalisten keinesfalls am Stellen von Fragen gehindert werden? Und sich öffentlich erregen, wenn Fragen nicht beantwortet werden?

Ich bin verwirrt: Sind die Schweizer Mediengewerkschaften Partei für jene, die lieber verschleiern möchten als offenlegen? Und haben nicht Organisationen, die von unter Zwang eingezogenen Gebühren finanziert werden, viel mehr eine Verpflichtung, ihren Geldgebern gegenüber transparent zu sein als Verlage, die privat finanziert werden?

Ich halte durchaus für angebracht, Fragen, wie sie Andreas Kunz stellt, zu beantworten. Und wenn man das partout nicht möchte – gibt es nicht eine klügere Art, auf unliebsame Fragen zu reagieren?

SSM-Zentralsekretär Stephan Ruppen zumindest reagiert auf die Fragen, indem er in einem Interview auf persoenlich.com von einer „Diffamierung von Journalisten“ und einer „Schnüffelei in der Privatsphäre“ spricht. Auf der Website von SSM ist von „politischer Gesinnungsschnüffelei“, von „Pauschalurteilen und Diffamierungen“ und „fragwürdigen Methoden“ zu lesen.

Ich sehe das anders: Wenn eine Gesellschaft das Stellen von Fragen nicht mehr zulässt, dann ist die Pressefreiheit in ernsthafter Gefahr. Dass ausgerechnet Mediengewerkschaften das Stellen von Fragen in Frage stellen, schockiert mich.

Mir fallen nur zwei Schlussfolgerungen ein:

1. Wer für die Pressefreiheit ist, kann nicht Teil einer Journalistengewerkschaft sein, die Fragen nicht nur zurückweist, sondern auch noch verurteilt. Solche Organisationen müssen sich sonst den Vorwurf gefallen lassen, nicht im Sinn einer informierten Öffentlichkeit zu agieren.

2. Fragen von Journalisten, die selbst harmlose Fragen zurückweisen und verurteilen, können jederzeit unter Berufung auf die Privatsphäre verweigert werden. Das ist nicht im Sinn einer informierten Öffentlichkeit.

Die Debatte, wie transparent Journalisten sein sollen, wird nicht erst seit meinen Texten „Das Märchen der Objektivität“ und „Die politisch ach so neutralen Journalisten“ geführt, sondern schon lange.

Ich mache jetzt mal einen Anfang und veröffentliche meine Interessen und Haltungen. Feedback dazu bitte in die Kommentare oder an ronniegrob@gmail.com.

Bild: Reporter Tim an einer Wand in Göppingen, Flickr/dierkschaefer, CC BY-Lizenz


Kommentare

8 Antworten zu „Schweizer Journalistengewerkschaften beklagen sich über die Pressefreiheit“

  1. […] der Umfrage der Weltwoche ist nicht die Anfrage an sich (weshalb ich ausnahmsweise diesbezüglich gleicher Meinung bin wie Ronnie Grob: JournalistInnen dürfen, sollen und müssen Fragen stellen), sondern die damit verbundenen […]

  2. Avatar von Jürg F.
    Jürg F.

    Da scheint jemand in ein Wespennest gestochen zu haben! Es ist eben praktisch, alle WELTWOCHE-Journalisten in den Köppel/Blocher/SVP-Topf zu schmeissen als sich selbet einmal zu hinterfragen – oder hinterfragen zu lassen. Es könnte ja sein, dass man merkt, dass die eigenen Vorurteile nicht stimmen… Die Wirklichkeit sieht wahrscheinlich so aus, dass die WELTWOCHE tatsächlich Sympathien (und evtl. auch Unterstützung) aus SVP-Kreisen hat, dass aber die WELTWOCHE-Journalisten ziemlich unabhängig denken, arbeiten und recherchieren. Während beim SCHWEIZER FERNSEHEN (und bei einigen anderen Medien) einige Journalisten arbeiten, die gezielt, bewusst und ideologisch die SP unterstützen. Interessant ist, das verschiedene WELTWOCHE-Journalisten schon geäussert haben, dass sie NICHT politisch aktiv sind, NICHT SVP wählen oder Wechselwähler sind. Das scheint andere Journalisten nicht sonderlich zu interessieren; es könnte ja ihr Vorurteil in Frage stellen.

  3. Ganz ehrlich: Die Fragen dieser E-Mail hätte ich einfach ignoriert. Klar ist es erlaubt, Fragen zu stellen, aber zu Antworten kann man ja keinen Journalisten zwingen. Insbesondere nicht bei dem Verhör-Stil, in dem diese Fragen gestellt sind. Die US-Einwanderungsbehörde hat ja einen ähnlichen Tonfall bei ihren Einreisekärtchen. Und ob Ihre allzu allgemeinen Einlassungenzu über die eigenen Haltungen viel weiter helfen, halte ich für fraglich. Wer ist nicht dafür, das der Staat (ich nehme mal an die Behörden sind gemeint) effizient arbeitet und seine Bürger so weit es geht in Ruhe lässt? Aber wie weit ist, soweit es geht? Politische Haltungen werden im Konkreten sichtbar, nicht im Allgemeinen. Von daher ist die Haltung von Jorunalisten ja einfach an ihren Veröffentlichungen zu erkennen.

  4. @textkoch: Sind meine Haltungen und Interessen (hier) allzu allgemein? Ich finde nicht. Die Punkte, die erwähnt sind, lassen mich ziemlich klar verorten. Und die Punkte, die nicht erwähnt sind, ebenso. Würde ich, wie die Schweizer Sozialdemokraten, eine „Überwindung des Kapitalismus“ anstreben, hätte ich das dort hingeschrieben. Das tue ich aber nicht.

    Das Problem ist ja, dass viele Journalisten glauben, sie seien „objektiv“ – was ich sehr bezweifle.

  5. Avatar von Jürg F.
    Jürg F.

    Wenn die Linken de „-ismus“ überwinden und sich dabei nicht die Finger am Kapital verschmutzen, dann ist dagegen nichts einzuwenden.
    Was natürlich nicht geht ist, den „-ismus“ zu überwinden und sich beim Kapital bedienen!

  6. @Ronnie Grob Jepp, exakt das habe ich gelesen und find es zu allgemein. Könnte ich auch alles so unterschreiben und doch dürften wir sehr unterschiedliche Auffassungen haben. Ich habe mal etwas ausführlicher in meinem Blog geschrieben, wass ich damit meine, dass sich politische Haltungen im Konkreten zeigen und nicht im Allgemeinen. Das bezieht sich ganz besonders auf die FDP. Bei Interesse: http://tinyurl.com/5s53c6y

  7. Avatar von s. meier
    s. meier

    Die Weltwoche hat sich wohl einfach ein bisschen im Ton vergriffen. Ansonsten wäre die Reaktion vielleicht eine andere gewesen.

  8. Avatar von Jürg F.
    Jürg F.

    So ein Quatsch, S. Meier! Der Wortlaut der Weltwoche-Anfrage ist ja oben publiziert und vom Tonfall her weitaus anständiger als die Reaktionen darauf!

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