Intellektuellenranglisten

Umfrage tagesanzeiger.ch
Bild: Screenshot tagesanzeiger.ch

So sieht sie also aus. Die Liste der 12 klügsten Menschen in der Schweiz.

Nun gut, sowas kommt raus, wenn das Boulevardportal tagesanzeiger.ch so eine Umfrage organisiert. Was nicht heisst, dass eine solche Ausmarchung nicht gemacht werden dürfte – der Unterhaltungswert ist sowohl auf dem Schulhof als auch im Internet recht hoch. Wobei vielleicht auf dem Schulhof eher der Dümmste ausgerechnet würde – das hat für alle, die dann nicht oben stehen, einen noch viel höheren Unterhaltungswert.

Wer jetzt meint, das sei mal wieder ein typisches Beispiel, wie „die Weisheit der Vielen“ versagt habe, liegt falsch. 20 Kandidaten wurden „von der Redaktion ausgewählt“, darunter waren auch zwei Frauen, von denen es keine auf die vorderen Plätze geschafft hat. Gewonnen haben natürlich nicht die tatsächlich „grössten Intellektuellen der Schweiz“, was sowieso nicht zu messen ist, sondern die bei der tagesanzeiger.ch-Leserschaft bekanntesten Figuren. Roger Köppel, so sehr ich ihn persönlich als „einer der neugierigsten Menschen“ schätze, hat nur gewonnen, weil er a) bei der Newsnetz-Leserschaft wohlbekannt ist und weil sich b) die anderen Stimmen auf verschiedene Personen ähnlicher Denkweisen verteilt haben.

Die Plätze 2 bis 4, von den Sozialismus-Freunden Roger de Weck, Jean Ziegler und Daniel Binswanger belegt, vereinen gemeinsam 36.6 Prozent der Stimmen, also mehr als das Doppelte der 18 Prozent von Köppel. Was wiederum die aktuelle gedankliche Lage recht gut abbildet.

Das mag manche erschrecken. Wie es andere erschrecken mag, dass es keine einzige Frau in die Liste geschafft hat. Wie wieder andere erschrecken mag, wie dünn die Liste ist (auch die der Vorauswahl). Und wie wenig bekannt jene sind, die in ihren Spezialgebieten wirklich etwas drauf haben und auch sonst etwas zu sagen haben. Was wiederum mit der Gewichtung der Medien zu tun hat. Was wiederum mit dem Desinteresse der Leser zu tun hat, wie man gemessen hat. Der Rest speist sich aus Selbstbezüglichkeit und Oberflächlichkeit.

In den Kommentaren zum tagesanzeiger.ch-Artikel werden von Leser Hans Maag beispielsweise Patrick Aebischer, Giovanni de Micheli und Michel Mayor genannt. Das Problem: Die kennt kaum jemand. Und warum kennt die kaum jemand? Weil kaum ein Journalist darauf kommt, sie zu kontaktieren. Und weil viele der Wissenschaftler sich selbst nicht in die öffentliche Debatte einschalten, zum Beispiel mit eigenen Blogs, per Twitter oder wie auch immer. Es sind Intellektuelle, die sagen: „Dazu kann (noch besser: darf) ich nichts sagen.“ Und denken: „Dafür werde ich nicht bezahlt und wenn ich was Falsches sage, dann gibt’s nur Ärger.“

Natürlich hat man an der Universität oder im Institut genug zu tun. Doch mit etwas mehr aktiver Öffentlichkeitsarbeit dieser Kreise würden solche Umfragen vermutlich anders rauskommen. Und mit aktiver Öffentlichkeitsarbeit meine ich nicht das Versenden von Pressemitteilungen, die von Journalisten nicht verstanden und darum ignoriert werden.

Wo sind sie, die geistig potenten Schriftsteller, Physiker, Mathematiker, Biologen, Chemiker, Philosophen der Schweiz? Und wie heissen sie? Wo bloggen sie? Wo twittern sie? Und wenn sie es tun, kann ich ihren Ausführungen auch ohne Doktorabschluss folgen?

Wer auch komplett fehlt: Die Unternehmer, die Manager, die Leader der Wirtschaft. Ah ja, ich vergass: Die haben ja nur die Abzockerei im Kopf. Und die Politiker (einer ist auf Rang 6, Rudolf Strahm) wollen ja nur wieder gewählt werden. Und nicht zuletzt: Die Romands, die Tessiner, die Rätoromanen.

13 Gedanken zu „Intellektuellenranglisten“

  1. Autsch – wie hat das Köppel auf Platz eins geschafft, dessen Intellekt grad mal für eine Expat-Cüpplibar reicht.
    Was sagt und das über den gesitigen Zustand der Nation, doer der Medien, oder der Frauen, oder…..?

    Und im übrigen kann ich – als Politikerin, die nur wieder gewählt werden will und als Unternehrein, die nur abzockt – Ronnie nur Zustimmen

  2. Dass Newsnetz gender-biased und deuschtschweiz-phil ist, bildet die gedankliche Lage der Deutschschweiz sehr gut ab.
    Die Frage, ob Intellektuelle ein öffentliches Profil haben und nach Bekanntheit streben sollen, kann gut auch verneint werden. Kurt Imhof übernimmt zusammen mit Georg Kohler die Öffentlichkeitsarbeit der Uni Zürich, so dass alle anderen Professoren forschen und lehren können, was sie auch tun sollen.
    Und warum Unternehmer und Politiker fehlen (und vor allem auch weiter rechts stehende Menschen außer Köppel) lässt sich einfach erklären: Intellektuelle werden nicht Unternehmer oder Poltiker oder rechtsdenkend, weil man in diesen Tätigkeitsfeldern als Intellektueller am falschen Ort ist.

  3. Philippe Wampfler: Ja? Also ich glaube, Roger Köppel zum Beispiel wurde durchaus schon nachgesagt, er sei rechtsdenkend und eigentlich ein Politiker. Und Unternehmer ist er ja bekanntlich.

    Natürlich kann man auch als Unternehmer oder Politiker wichtige, die Gesellschaft prägende Gedanken äussern. Nur weil das kaum einer tut, heisst das nicht, dass es nicht möglich wäre. Ich finde: es braucht genau solche.

    Nehmen wir Christoph Blocher, der Deine These meiner Meinung nach ziemlich klar widerlegt: Der ist Politiker, der ist Unternehmer und er ist „rechtsdenkend“. Und er äussert einmal wöchentlich bei teleblocher.ch seine Gedanken zu Politik und Gesellschaft.

  4. Genau, Jacqueline Badran ist natürlich auch ein schönes Beispiel: Unternehmerin, Politikerin, Bloggerin und dann auch noch Frau.

    Natürlich gibt es noch viele weitere Beispiele, vor allem, wenn man in der Geschichte etwas zurück geht.

  5. Gut – »am falschen Ort sein« ist vielleicht nicht ganz die richtige Formulierung. Gemeint war: Intellektualität ist keine Eigenschaft, die einen zur Unternehmerin oder Politikerin besonders befähigen würde. Das heißt natürlich nicht, dass Jacqueline Badran keine Intellektuelle ist, es liegt mir fern, das beurteilen zu wollen. Rechtsdenkend ist sie zumindest nicht.
    Christoph Blocher hingegen ist für mich kein Intellektueller. Dazu fehlt ihm die Fähigkeit, zu differenzieren – oder aber er hat diese Fähigkeit, und zeigt sie nicht.
    Auch dass es einzelne rechte Intellektuelle gibt, verneine ich nicht; doch sind rechte Positionen mit Haltungen verbunden, die sich nicht aus einem profunden Nachdenken ergeben, sondern mit Werten jenseits des Denkens zu tun haben.
    Meines Erachtens ist es die Aufgabe von Journalisten, das Handeln und Denken von Forschenden und Intellektuellen so darzustellen, dass dieses Handeln und Denken greifbar wird. Aber da kann man auch anderer Meinung sein.

  6. @Philippe Wampfler: Natürlich kann Christoph Blocher differenzieren. Allerdings darf auch jemand, der differenzieren kann, eine Haltung einnehmen.

    Zu:

    Meines Erachtens ist es die Aufgabe von Journalisten, das Handeln und Denken von Forschenden und Intellektuellen so darzustellen, dass dieses Handeln und Denken greifbar wird.

    Das ist richtig. Aber heute haben die Forschenden und Intellektuellen selbst Zugriff zu den verschiedensten Medien. Sie sind nicht länger nur auf Journalisten, die sie befragen und Verleger, die sie drucken, angewiesen. Sie können selbst senden. Also Videos aufnehmen und hochladen, Texte schreiben und bloggen, Tweets formulieren und senden, eigene und andere Arbeiten zusammenfassen und vorstellen, zur Diskussion einladen und sich bereichern lassen, Menschen für Forschungsprojekte einspannen, und und und …

  7. Dann kannst du mir sicher ein Beispiel nennen, wo Christoph Blocher ein Problem differenziert analysiert hat.
    M.E. ist ein Unternehmer, der zwar promovierter Jurist ist, sich aber weder habiliert noch jemals einschlägig als Ethiker publiziert hat, sich aber für eine Professur für Wirtschaftsethik bewirbt, als Intellektueller kaum ernst zu nehmen. Aber ich denke, du siehst das anders.

  8. also mal halt – verstehe ich hier irgendetwas falsch?
    Blocher ist sicher intellektueller als Köppel. Und vor allem klüger und gebildeter. Köppel ist ein lausiger Polemiker ohne Hintergrund und Wertebasis.
    Bei Blocher sehe ich das anders, auch wenn ich seine Meinung fast nie teile, ich meine, dass er ständig eine „hidden agenda hat“ und er natürlich auch polemisiert.
    Während ich von Köpel noch nie irgendwas intelligentes gehört habe, habe ich doch einige Reden von Blocher gehört, die in sich hochgradig stringent sind.
    Ich bin eine Zeit lang an Reden von Blocher gegangen, weil ich zu verstehen versuchte, wie sich ein so unschweizerisches Phänomen zur Inkarnation der helvetischen Werte aufschwingen kann. Aber das wäre ein anderes Thema.

  9. Ich habe Blocher mehrmals live erlebt – und finde seine Reden auch stringent; aber nicht intellektuell. Und ihn auch nicht, weil ich ihn noch nie habe differenziert denken sehen. Mit Stringenz hat das nichts zu tun.

  10. Lieber Philippe – wie kann man jemanden denken sehen? Du meinst wohl reden hören. Differenziert kommuniziert er nicht, ob er ifferenziert denkt weiss ich nicht. Aber intellektuelle ist er weil er es doch beherrscht „zwischen den Zeilen zu verstehen“.
    Jedenfalls ist er meilenweit intellektueller als Köppel.

Schreibe einen Kommentar zu Ronnie Grob Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert