«The Washington Post» wird an den Gründer eines Internethändlers verkauft, der Axel-Springer-Verlag stösst Printprodukte ab. Zeitungsmenschen sind verstört, doch die Verkäufe weisen in die richtige Richtung. Ins Internet.
Zeitungsleute sind überrascht und verunsichert diese Tage. Jeff Bezos, der 1994 den inzwischen zum Gigant angewachsenen Internethändler Amazon gegründet hatte, kauft die nach Auflage achtgrösste Zeitung der USA – «The Washington Post» ist nach dem «Wall Street Journal» und der «New York Times» die aus internationaler Sicht wohl bekannteste und wichtigste US-Zeitung. Und das für gerade mal 250 Millionen US-Dollar, einem Hundertstel seines von Forbes auf 25 Milliarden US-Dollar geschätzten Privatvermögens. Zum Vergleich: Für den 2010 gegründeten Mobilfotografie-Dienst Instagram, ein Soziales Netzwerk mit 13 Angestellten und inzwischen 130 Millionen aktiven Nutzern, zahlte Facebook im April das Vierfache, nämlich 1 Milliarde US-Dollar.
Ebenso überraschend gab am 25. Juli der deutsche Axel-Springer-Verlag bekannt, sich von fast allen Printprodukten zu trennen, darunter auch die «Hörzu» und das «Hamburger Abendblatt», mit denen der Aufstieg des Verlags nach Kriegsende 1946 und 1948 überhaupt erst begonnen hatte und mit denen nach wie vor gut Geld zu verdienen ist. Behalten wurden lediglich die «Bild» und die «Welt»; journalistisch scheint es Springer offenbar zu reichen, zukünftig mit einem Boulevard-Titel und einem seriösen Titel auf dem Markt präsent zu sein. Ob die Leser diese Titel auf Papier konsumieren wollen oder doch lieber auf einem digitalen Lesegerät, wird ihnen überlassen. Der Verkauf in der Höhe von 920 Millionen Euro an die Funke Mediengruppe ist zukunftsweisend, heisst es doch, dass der deutschsprachige Branchenleader, von dem sich viele andere im Markt Impulse erhoffen, kleineren, hauptsächlich auf Papier agierenden Titeln keine Zukunft mehr gibt.
In seinem Schreiben zur Begrüssung der Angestellten auf washingtonpost.com wird Jeff Bezos nicht sehr konkret, was die Zukunft angeht, schreibt lediglich von einem Bedarf an Erfindungen und Experimenten. Doch es gibt selbstredend Gründe, warum Jeff Bezos die Washington Post gekauft hat. Die Annahme, der Kauf sei nur aus Prestigegründen geschehen, greift wohl zu kurz. Amazon verfügt über ein grosses Wissen, wie Kundenbewegungen eingeschätzt und verwertet werden können. Dieses Know-How kann von Zeitungsportalen genutzt werden, schliesslich können, anders als bei der gedruckten Zeitung, alle Nutzerbewegungen gespeichert und ausgewertet werden. Es ist eines der Erfolgsgeheimnisse der grossen Internetplayer wie Google, Amazon oder Facebook, dass sie diese Daten konsequent ausnützen. «Unser Massstab werden die Leser sein und unser Verständnis darüber, was ihnen wichtig ist», schreibt Bezos und zählt Interessensgebiete auf von Restauranteröffnungen über Wirtschaft bis zum Sport – von da aus werde man arbeiten, rückwärts.
Darf sich die Washington Post auf ihren neuen Besitzer freuen? Ja, denn er ist die Zukunft, während die an die Funke Mediengruppe verkauften Titel der langsame Tod in einer untergehenden Welt erwartet – es sei denn, die Trends ändern sich grundsätzlich. Bezos scheint jemand zu sein, der aus dem Gekauften etwas machen will und keiner, der möglichst viel Geld herausziehen will. Seine Besitzverhältnisse erlauben es, auch nachträglich noch zu investieren und die Marke in der Not am Leben zu erhalten. Seine Erfahrungen und seine Beziehungen erlauben es, einen Medienkonzern in die Zukunft des Internets zu führen. Dass er nicht an Print glaubt, ist kein Geheimnis; 2012 antwortete er auf die Frage, ob er eigentlich noch Zeitungen lese mit «Nein, schon lange nicht mehr».
Während die Börsenkurse der Washington Post Company und der Axel Springer AG nach den Verkäufen hochschnellten, waren in den Zeitungen dazu traurige und wütende Kommentare zu lesen. Aber es macht keinen Sinn «gute Verlegerfamilien» gegen «böse Internettycoons» auszuspielen. Die alten Verlegerfamilien haben oft kein echtes Interesse mehr an Publizistik, sondern vor allem daran, ihr Erbe zu behalten und zu erweitern. Was viele Journalisten, Verleger und Werber alter Schule auch 2013 noch nicht begriffen haben, ist die Unabhängigkeit der journalistischen Qualität von ihrem Träger. Zeitungen werden ja nicht gekauft, weil die Menschen Papier lieben oder Druckerschwärze, sondern wegen ihren Inhalten.
Die Verlegerlandschaft braucht neue Verleger, die Geschäftssinn und ein Interesse an gutem Journalismus mitbringen – ob Bezos so einer ist, wird sich zeigen. Der Journalismus braucht weiterhin clevere Journalisten, aber auch jede Menge an guten Informatikern. Arbeiten Geldgeber, Journalisten und Programmierer erspriesslich zusammen, könnte ein ganz neues Zeitalter des Journalismus anbrechen. Die im Internet entstandenen technischen Möglichkeiten für den Journalismus sind nämlich beeindruckend. Es braucht nur noch jene regelmässigen Einnahmen, von denen das Zeitungsgeschäft seit Jahrhunderten lebt. Das Internet ist nach wie vor jung.
Der Artikel erschien in der «Basler Zeitung» vom 7. August 2013.
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