Aus dem Begriffsbestand der Berliner Politik

Zitate von Frank A. Meyer, Tobias Korenke, Uwe Pörksen, Christina Schildmann und Thomas Steg anlässlich einer Podiumsdiskussion zur Sprache in der Politik.

Gestern abend war ich an einem „Mediendisput“ mit dem Titel “Klartext oder Weichzeichner – vom Sprachverlust und Orientierungssinn der Politik” in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin. Da ich ohne Fotoapparat los bin, hier ein Bild des Orts aus dem Sommer (was im Winter gar nicht so anders aussieht):

Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin

Es war wider Erwarten ein unterhaltsamer Abend, was an einem Frank A. Meyer in Höchstform lag, an der kurzen und guten Rede von „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo, am Moderator Thomas Leif, der seine Eitelkeit im Gegensatz zu seinem Auftritt vor einem halben Jahr recht gut im Griff hatte und überhaupt an der ehrlichen Bereitschaft der Teilnehmer, sich der Wahrheit anzunähern.

Zuerst wurde der “Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen” an den Reporterpool an NDR Info verliehen. Ausgezeichnet werden damit „außergewöhnliche Recherche-Leistungen, die Themen und Konflikte beleuchten, die in der Öffentlichkeit bislang nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen wurden“.

Nach einer Einspielung des Medienmagazins „Zapp“, die einige der Recherchen von NDR Info aufzeigte, folgte die Laudatio von Georg Mascolo. Die Ausgezeichneten, geschätzte 15 Personen, wurden auf die Bühne gebeten und erhielten Blumen; nach Fotos und einer kurzen Dankesrede, gedankt wurde „nicht den Müttern, sondern dem NDR“, wurden Audioausschnitte eingespielt, NDR-Info-Wortbeiträge, hinterlegt mit Musik aus der Telefonwarteschleife.

Verleihung Leuchtturm 2009 an NDR Info
Bild: Markus Kirsch, mit freundlicher Genehmigung von Günter Bartsch, Netzwerk Recherche

Es folgte die Podiumsdiskussion, zu der sich die Teilnehmer nur mit Mühe aufraffen konnten (es scheint fast so, als wäre es ein unglaublich peinlicher Faux-Pas, als Erster auf einer Bühne zu sitzen). Entschuldigt wurde die Abwesenheit von Michael Spreng, der aus persönlichen Gründen leider nicht teilnehmen konnte.

Beim Zuhören habe ich einfach mal aufgeschrieben, was ich gehört habe von der Dame und den Herren. Die Zitate sind nicht autorisiert, aber ziemlich genau so gefallen. Falls etwas total daneben sein sollte, bitte ich zur Anpassung um einen Hinweis in den Kommentaren oder per Mail.

Hier also die Zitate:

Tobias Korenke, Publizist, Berlin:

“Guttenberg unterscheidet sich auch in der Sprache vom Establishment. Er verfügt über mehr Begriffe als andere Politiker.”

“Die Politik hat vergessen, dass es einen Vermittlungsauftrag gibt.”

“Journalisten bewerten weniger die Leistung, mehr den Erfolg der Politiker.”

Uwe Pörksen, Sprachwissenschaftler, Universität Freiburg:

“Offenbar hat Wolfgang Schäuble meine ‚Plastikwörter‚ gelesen.”

“Ich höre am liebsten jemandem zu, der in dem Augenblick, in dem er spricht, denkt.”

“Unschärfe gehört zur politischen Sprache, sonst wird sie allzuschnell widerlegbar.”

Frank A. Meyer, Chefpublizist Ringier Verlag, Zürich:

“Für HartzIV kann man gar nicht sein, schon vom Begriff her.”

“Es kann nichts ehrlich sein, was die Leute nicht in einem Atemzug sagen können.”

“Man glaubt, man muss eine Sprache erfinden.”

“Wenn einer redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, dann verzeihen das zu viele Journalisten nicht.”

“Ich komme aus einem Land, wo die Politiker nicht reden können.”

“Es ist an uns Journalisten, aus denen, die gut sind und vielleicht nicht so gut reden, das zu machen, was sie sind, nämlich gute Politiker.”

“Die Berliner Politik hat ein geschlossenes Sprachsystem, an dem die Politiker, Lobbyisten und Journalisten mitwirken. Ich glaube, das ist stärker in der Bonner Politik.”

“Es gibt unter Journalisten eine grosse Sehnsucht nach Willy Brandt. Und wenn man etwas schwarz ist, vielleicht nach Franz-Josef Strauss, der auch noch mit zwei Promille etwas hervorzaubern konnte.”

“Kurt Beck wäre am Besten gewesen, wenn er Kurt Beck geblieben wäre und nochmals Kurt Beck und nochmals Kurt Beck.”

“Es ist erstaunlich, was sich Politiker von TV-Journalisten bieten lassen. Bei Plasberg sitzen sie in einem klassischen Schüler-Lehrer-Verhältnis – sie sitzen, er steht. Bei Beckmann und Kerner sind sie sozusagen in einem Anstellungsgespräch.”

“Schauen sie doch mal hin, zum Beispiel beim ZDF: Die Nachrichtenstudios im Fernsehen sind Weltregierungszentralen!”

Christina Schildmann, SPD Parteivorstand, Berlin:

“In den USA gibt es Think Tanks, die den ganzen Tag nur über Begriffe nachdenken.”

“Wir hatten einen Begriffsbestand, der verwendet werden sollte.” (Ein Satz, der fällt, als sie über ihre gemäss Thomas Leif verzweifelten Bemühungen, Kurt Beck zu beraten, spricht)

“Guttenberg klingt eben nicht wie einer, der die Ochsentour gemacht hat und sich durch zehn Kilometer Akten gewälzt hat.”

“Wir haben immer mal wieder Amerkaner eingeladen, die uns auf die Sprünge helfen konnten.”

“Das Problem war, dass wir uns auf Begriffe eingelassen haben, die eigentlich aus dem Diskurs des Gegners stammten.”

Thomas Steg, Ex-Regierungssprecher:

“Agenda 2010 ist kein Begriff, der Emphase auslöst oder Euphorie.”

“Die Agenda 2010 hat für die eigene Klientel gewirkt wie ein Fussballspiel aufs eigene Tor.”

“Das Beamtendeutsch ist eine vernebelnde Tarnsprache.”

“Die Sprache der Politik wird blutleer, schablonenhaft, technisch.”

“Wir müssen jetzt die Zeitschiene mit Inhalten füllen.” (Gibt ein Beispiel, was ein ehemaliger Politiker mal gesagt hat)

“Journalisten sind Teil des Spiels.”

“Dass das hermetische System nicht aufgebrochen wird, liegt auch an den Journalisten, die sich alles bieten lassen.”

Am Schluss waren sich alle einig, dass es sich bei der Berliner Politik um eine geschlossene Gesellschaft handelt, bei der sich Lobbyisten, Politiker und Journalisten täglich neu an den Händen fassen und einen „ausgelassenen, meist spontanen Kreistanz ohne feste Form“ (-> Ringelpiez) vorführen.

Ich fragte nach Auswegen aus diesem Spiel und Frank A. Meyer antwortete, als Journalist würde man sich am Besten heraushalten und noch besser nicht an Anlässe gehen wie an den, an dem wir alle „hockten“ (um ein FAM-Wort zu benutzen).

Und es sah tatsächlich nicht so aus, als würde auch nur einer der Beteiligten den dringenden Wunsch verspüren, etwas zu ändern. Das geschlossene System funktioniert nach wie vor, und es funktioniert teilweise auch für sie. Sehr schön zu sehen war das an den Zuschauerfragen, von denen etwa fünf zwar gnädig zugelassen, aber aufgenommen wurden, als wären sie eine Zumutung in der Grössenordnung eines unverlangten Blogbeitrags oder Leserbriefs. Thomas Leif reagierte auf zwei nicht besonders konstruktive Einwürfe aus dem Publikum geradezu brüskiert, Thomas Steg beantwortete dann eine davon in der Manier eines Regierungssprechers. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Menschen ausserhalb des Zirkels sieht für mich anders aus.

Ich sehe folgende Rezepte, um „das hermetische System“ (Thomas Steg) aufzubrechen:

1. Einführung direktdemokratischer Mittel
2. Beachtung von Grenzen und Einhalten der Distanz
3. Erneuerung des Personals
4. Veränderung der Verhaltensweise des bestehenden Personals
5. Erhöhung des Drucks von Personen ausserhalb des Systems

Schliessen wir mit einem Wort aus der Rede von Georg Mascolo:

Die Fleißigen, die Hartnäckigen, die Unerbittlichen sind es, die den Erfolg unserer Unternehmungen ausmachen.

Andere zum Abend:

„im geschlossenen system journalismus“ (blog.rebell.tv)

„Wortnebel, Plastikworte oder warum Politiker nicht verstanden werden!“ (martinawilczynskimeinung.blog.de)

3 Gedanken zu „Aus dem Begriffsbestand der Berliner Politik“

  1. @sms: Also ich hab mir „Es kann nichts ehrlich sein, was die Leute nicht in einem Atemzug sagen können“ aufgeschrieben. Das wäre das Gegenteil, oder? Aber dafür hast Du die Ausführungen über das ZDF-Studio mitgeschrieben, die ich leider total verpasst habe… gibt es vielleicht eine Ton-Aufnahme zum Nachhören?

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