Die Fronten verhärten sich

Das offene Gespräch, der freie Austausch zwischen Lagern, die unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt haben, ist hochgradig gefährdet in diesen Tagen.

Es ist in der privaten Kommunikation zu spüren: Ich wurde in den letzten Wochen auf dem Kommunikationsdienst Twitter sowohl von Tages-Anzeiger-Journalist Marc Brupbacher als auch von Comedian Mike Müller geblockt. Nicht weil ich unhöflich oder unsachlich war. Sondern weil ich im Dialog eine andere Sichtweise vertreten habe.

Es ist in Geschäftsbeziehungen zu spüren: Das vom kürzlich verstorbenen Unternehmer Walter Reist ins Leben gerufene Unternehmerforum Lilienberg in Ermatingen hat den neuen Internet-Radiosender Kontrafunk äusserst kurzfristig wieder ausgeladen – gerademal zwei Wochen vor einer gebuchten Tagung. Offenbar ohne genauere Angaben teilte das Management mit, man befürchte, dass die Veranstaltung «den reibungslosen Geschäftsbetrieb, die Sicherheit und den Ruf des Lilienberg» gefährde.

Es ist auf globaler Ebene zu spüren: Nicht nur die Kriegsnationen Ukraine und Russland reden nicht mehr miteinander, auch der Dialog zwischen den USA und Russland ist abgebrochen. Die Intensität der gegenseitigen Abneigung wird auf allen Ebenen stärker – unter Druck kommen bereits Personen, die sich darum bemühen, die Position der anderen Seite auch nur zu verstehen. Du bist ein Putinversteher? Du bist ein Selenskiversteher? Pfui!

Empathie, also die Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinzuversetzen und die Welt aus ihrer Sicht zu sehen, scheint aus der Mode geraten zu sein. Wir lesen keine Romane mehr, die zur Herzensbildung beitragen und damit das Einfühlungsvermögen stärken, sondern wir verbringen unsere Zeit auf Big-Tech-Portalen, wo wir mit Aufmerksamkeit belohnt werden, wenn wir Streit suchen und andere angiften.

Kann man miteinander reden und sich ineinander einfühlen, ist Uneinigkeit gar kein Problem. Richtig angepackt kann sie sogar lohnenswert sein. US-Schriftstellerin Ayn Rand schrieb dazu in ihrem Buch «Für den neuen Intellektuellen»: «Bin ich mit einem rationalen Menschen uneinig, lasse ich die Wirklichkeit den letzten Schiedsspruch fällen; bin ich im Recht, wird er eines Besseren belehrt; bin ich im Unrecht, werde ich eines Besseren belehrt; einer gewinnt, doch beide profitieren.»

Das umzusetzen mag herausfordernd sein in der Praxis. Aber gar nicht mehr miteinander zu reden, macht uns jedenfalls sicher nicht klüger.

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Bitcoin Suisse schlägt Credit Suisse

Die vom Säulenheiligen der Schweizer Wirtschaftsliberalen, Alfred Escher, einst unter dem Namen Schweizerische Kreditanstalt (SKA) gegründete Bank Credit Suisse Group (CS) scheint sich in einem raschen Niedergang zu befinden. Milliarden von Kundengeldern werden abgezogen, die Quartalsergebnisse sind verheerend. 2022 halbierte sich der Preis für eine Aktie von 8 auf 4 Franken. Noch 2007 bezahlte man fast 100 Franken dafür – sie ist seither über 90 Prozent eingebrochen. Während die einen fragen, wer diesen angerosteten Tanker kaufen mag – «Sie würde doch nur 13 Milliarden kosten», titelte die NZZ verzweifelt – fragen sich die anderen, ob er bald irgendwo aufläuft, Leck schlägt und auseinanderbricht.

Newbies fliessen dagegen Kundengelder zu, etwa der Bitcoin Suisse aus dem Kanton Zug. Der wie so viele erfolgreiche Schweizer Unternehmen von einem Ausländer gegründete Finanzdienstleister hat seit der Gründung 2013 dreihundert Mitarbeiter eingestellt und wurde 2020 mit 302,5 Millionen Franken bewertet. Mit einem Preisanstieg von Kryptoassets wie Bitcoin dürfte sich das in den nächsten Jahren noch deutlich nach oben bewegen.

Noch ist das Zuger KMU ein Winzling gegenüber dem Platzhirsch am Zürcher Paradeplatz. Die Machtverhältnisse könnten sich aber verändern. Dafür spricht weniger die Agilität des Newbies, sondern vielmehr die völlige Gleichgültigkeit von Grossbanken gegenüber der Geldrevolution, die am 3. Januar 2009 mit dem ersten Block im Bitcoin-Netzwerk eingeläutet wurde. Die CS hat sich bisher kaum für die Verwahrung von Kryptowährungen interessiert und auch keine Geschäftseinheit für Key Storage aufgebaut, was beides valable Geschäftszweige für Schweizer Banken sein könnten (wir wiesen bereits im Juni 2018 darauf hin, ein zweites Dossier zu Bitcoin erschien im Dezember 2020).

Kurzum: Die Geburt einer revolutionären Innovation, welche die Finanzwelt herausfordert und erweitert, geht der Grossbank fast schon so lange am Allerwertesten vorbei, wie der Aktienkurs der CS sinkt. Mich erinnert ihr Vorgehen an die Verleger, die es eine gute Idee fanden, das Internet erstmal für ein paar Jahre zu ignorieren und zu verdammen. Hanspeter Lebrument behauptete noch 2007 im Namen der Schweizer Verleger: «Google hat Angst vor uns».

Wird nun Ulrich Körner, der neu auf der Kommandobrücke des Tankers steht und im Oktober 60 Jahre alt wird, das Ruder herumreissen? Ich würde nicht darauf wetten. Bitcoin Suisse jedenfalls hat keine Angst vor den Schweizer Banken. Und Bitcoin schon gar nicht.

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Nato und EU brauchen keine Rosinenpicker

In Kiew versprach letzte Woche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Ukraine ziemlich beiläufig einen nahtlosen Zugang zum Europäischen Binnenmarkt. Sie sagte: «Derzeit werden 98 Prozent der Zölle auf Waren nicht mehr erhoben. Gut so.» Was die Schweiz 1972 mit dem Freihandelsabkommen besiegelte, geht hier offenbar unbürokratischer. Nun denn, warum auch nicht. Dass die Europäische Union nun wieder mehr Freihandel auch mit Nicht-EU-Staaten umsetzt, ist ja per se erfreulich. Es bleibt die Frage, warum sie das Nicht-EU-Mitglied Schweiz in einen Rahmenvertrag zwängen will. Und weshalb sie uns bei der Börsenäquivalenz, bei der gegenseitigen Anerkennung von Medizinprodukten und bei Horizon Europe gängelt.

Die Beziehung von europäischen Politikern zu Schweizer Bürgern ist seit mindestens 1848 angespannt. Damals gelang ihnen als den einzigen in Europa die bürgerliche Revolution, und sie übernahmen die Macht im Staat. Glücklicherweise haben die anderen europäischen Länder seither nachgezogen, und wir sehen uns umzingelt von Demokratien. Einige EU-Mitarbeiter in Brüssel blicken dennoch einigermassen missmutig auf die Schweizer Bürger. Denn mit der Schweiz haben alle EU-Bürger jederzeit ein Land vor Augen, das auf kleinem Raum und in vier Sprachen täglich neu beweist, wie ein föderalistischer, direktdemokratischer Staat auch ohne Vorgaben aus Brüssel ganz gut funktionieren kann. Seien es Instrumente wie die Volksabstimmung, die Gemeindeautonomie oder der Steuerwettbewerb – ein anderes Leben funktioniert, und das mitten in Europa.

Doch nur, weil sich die Schweiz erfrecht, Dinge in Eigenregie anders zu machen als andere, ist sie noch lange keine Rosinenpickerin, wie ihr das immer wieder von EU-Exponenten unterstellt wird. Auch die Kritik aus Nato-Ländern, die die Schweiz als ein Land darstellt, das von ihrem Schutzschirm profitiert und selbst nichts einbringt, greift zu kurz. Die neutrale Schweiz hat in ihrer Geschichte vielfach dazu beigetragen, dass Frieden zwischen Kriegsparteien geschlossen werden konnte. Das 1863 in Genf gegründete Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beispielsweise machte weltweit den Anfang, um Schutz und Unterstützung für Betroffene bewaffneter Konflikte und Kämpfe sicherzustellen.

Zum Handeln in Eigenregie gehört jedoch auch, dass man sich unabhängig organisiert. Wer die Neutralität aufrecht erhalten will, muss eine starke Armee aufbauen und in Schwung halten, die das eigene Territorium auch verteidigen kann, wenn es angegriffen wird.

Was definitiv nicht geht, und die Vorwürfe der Rosinenpickerei verdient, ist, neutral bleiben zu wollen, sich aber zugleich an Nato-Übungen zu beteiligen. Nur um dann, wenn der Ernstfall tatsächlich eintritt, auf die eigene Nicht-Nato-Mitgliedschaft ohne Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags hinzuweisen. Mal ehrlich, weshalb sollten Nato-Mitglieder mit der Schweiz europaweit Übungen durchführen, wenn sie sich im Kriegsfall sowieso hinter die eigene Grenze zurückzieht?

Die Schweiz muss sich entscheiden, ob sie ein eigenständiges, frei handelndes Land bleiben will mit allen Konsequenzen, die dazugehören. Oder ob sie ein EU-Mitglied und ein Nato-Mitglied werden will. Mit allen Konsequenzen, die dazugehören.

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König Rentner

Nach dem Tod von Queen Elisabeth II. mit 96 Jahren wird Charles III. mit bald 74 Jahren zum König des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland. Als Brite hat er seit 2013 Anrecht auf eine Staatspension – die er beansprucht hat, bezieht und wohltätig weiter gibt. Auch als Schweizer würde er schon seit 9 Jahren eine Rente aus der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) beziehen. Die Politik stuft Charles also aufgrund seines Alters als so schwach ein, dass sie ihm seit Jahren eine Rente ausbezahlt.

Zugleich wird ihm nun die höchste Verantwortung im britischen Königshaus übertragen – Spötter lachen, dass er nun endlich seinen ersten echten Job antreten könne. Dass der lebenslange Prinz erst jetzt, wo ihn seine Kräfte verlassen und er sich mutmasslich einen geruhsamen Lebensabend wünscht, an die Macht und in die Verantwortung gelangt, ist sein persönliches Schicksal. Aber auch ein Ausdruck einer zunehmend geriatrischen westlichen Gesellschaft. Die freie Welt wird von Opis regiert.

An ihrer Spitze steht US-Präsident Joe Biden, der am 20. November dieses Jahres 80 Jahre alt wird. Es lässt sich trefflich darüber streiten, wie dramatisch die altersbedingten Ausfälle von Präsident Biden sind. Dass aber mit ihm jemand über den Einsatz von Atomwaffen verfügen kann, der vom Teleprompter abliest, als wäre er ein defekter Roboter, und nach Reden seine Hand ziellos in die Luft streckt und dann von der Bühne geführt werden muss, macht wohl nicht nur mir grosse Sorgen. Wer nicht mehr im Vollbesitz der geistigen Kräfte ist, führt falsch oder wird vielmehr von seinem Umfeld geführt.

Am 25. September stimmt die Schweiz ab über eine Mini-Reform der AHV, die nicht viel mehr als eine Gleichbehandlung der Geschlechter anstrebt: Wie Männer sollen auch Frauen ab 65 Jahren eine Rente erhalten, und nicht schon ab 64. Auch wenn Gleichstellung der Geschlechter eine Kernforderung der Linken ist, wenden sie sich dagegen, weil sie darin einen Sozialabbau sehen.

Für viele junge Menschen ist es eine Diskussion um Details, die sie selbst nicht so viel angeht. Sie rechnen nämlich schon längst nicht mehr damit, jemals gesetzliche Altersrenten ausbezahlt zu erhalten, die ihnen zum Leben reichen. Sie sorgen stattdessen selbst vor, zum Beispiel, indem sie mit einem persönlichen Sparplan jede Woche oder jeden Monat einen gewissen Betrag in Bitcoin anlegen.

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Energie ist nicht knapp

«Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht.» Das ist die Hauptbotschaft einer landesweiten Kampagne des Schweizer Bundesrats, die bis April 2023 laufen soll.

Die Regierung stellt sich vor, dass die Schweizer Bürger die Räume weniger warm heizen, weniger warmes Wasser verbrauchen, elektrische Geräte und Lampen abschalten, und auch beim Kochen und Backen Energie einsparen sollen.

Die Regierungsverantwortliche für die Energieversorgung, Simonetta Sommaruga, schlägt sogar vor, dass das Individuum nicht mehr alleine in die Dusche steigt, sondern wenigstens ein Familienmitglied oder einen WG-Mitbewohner mitnimmt.

Wie schon während der Coronakrise, als sich der Bundesrat anmasste, bestimmen zu wollen, wie viele Personen sich in privaten Räumlichkeiten treffen sollen, können diese Versuche des Staats, ins private Leben einzugreifen, nur vollumfänglich zurückgewiesen werden. Mit Verlaub, aber die Regierung geht es rein gar nichts an, was der Bürger in seinen vier Wänden treibt. Die Regierung hat sich, wenn überhaupt, um die Versorgung, nicht um das Verhalten der Bevölkerung zu kümmern.

Die Energiespartipps weisen auf sehr peinliche Weise auf das Versagen der Verantwortlichen, die Versorgung sicherzustellen. Waren sich jene 58,2 Prozent der Stimmbürger, die im Mai 2017 der Energiestrategie 2050 zustimmten, klar, dass das eine Art von «Energiewende» bringen würde, die in einem möglichen Totalausfall von Strom und Heizung resultiert? Dass sowas in einem der reichsten Länder der Welt möglich werden kann, ist kaum zu verstehen.

Was die gescheiterte Energiewende der Regierung erzeugt, ist eine relative Knappheit von Energie. Doch absolut ist Energie weder knapp noch begrenzt. Wie die Wirtschaft kein Kuchen ist, der irgendwann verteilt und gegessen ist, ist auch Energie fast unendlich vorhanden, kein Nullsummenspiel.

Nehmen wir die Sonnenenergie, die auf die Erde trifft – 2010 überstieg sie den Weltenergiebedarf der Menschheit um den Faktor 10 000. Auch die Energie von Wind, von Wasser, von Atomkraft muss nur aufgefangen und weitergeleitet werden, so dass sie zur richtigen Zeit dort ausgeliefert werden kann, wo sie nachgefragt wird. Nicht einmal das Erdöl ist uns ausgegangen – Anfang 2020 bezahlten Anbieter sogar kurzzeitig dafür, dass ihnen jemand Öl abnahm.

Richtig ist also: Energie ist nicht knapp. Die Menschen sind nur zu blöd, sie effizient zu nutzen. Wer mit einer Packung Chips faul auf dem Sofa rumliegt, glaubt vielleicht auch, dass seine Energie zu knapp sei, und vielleicht gerade noch ausreiche, den Kühlschrank zu erreichen. Doch steht er auf, und fängt an zu trainieren, kann er weit kommen. So wie der Japaner Nao Kazami, der 2018 in 6 Stunden und 9 Minuten 100 Kilometer weit gelaufen ist. Weltrekord.

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Journalist