Im Endspiel der verschleppten Finanzkrise

Platzt nun die Schuldenblase? 14 Jahre nachdem die Finanzkrise von 2008 nicht gelöst, sondern verschleppt wurde, steht das Finanzsystem erneut vor grossen Herausforderungen.

Im Fokus ist der Markt für Staatsanleihen. Niemand Geringeres als US-Finanzministerin Janet Yellen (Foto von 2010, mit Ben Bernanke) machte sich vor eineinhalb Wochen öffentlich Sorgen über einen möglichen Zusammenbruch des Handels mit Staatsanleihen. Sie äusserte die Befürchtung, dass der Markt nicht mehr ausreichend liquide sei. Tatsächlich ist der Schuldenmarkt inzwischen so fragil, dass es nur noch einen mittleren Schock benötigt, um echte Turbulenzen auszulösen – eine überraschende Neuigkeit oder Wendung könnte dafür ausreichen.

Nicht nur die Inflation ist höher; sie ist inzwischen bei weltweit über 10 Prozent von Jahr zu Jahr angekommen. Auch die Zinsen, die Staaten für ihre Staatsanleihen bezahlen müssen, steigen überall rasch in die Höhe. Für eine zehnjährige Anleihe musste beispielsweise Italien vor etwas mehr als einem Jahr nur ein halbes Prozent bezahlen – inzwischen sind es fast 5. Ein so rascher, sich auch noch beschleunigender Anstieg ist bei den Schuldpapieren fast aller westlicher Industrienationen zu beobachten. Mit der zunehmenden Last der Zinsen nimmt auch die Last ihrer Schulden immer stärker zu.

Das Finanzsystem insgesamt ist so instabil geworden, dass eine Politikerin wie Liz Truss die Unterstützung für ein Programm mit Steuersenkungen sofort verloren hat – an der Spitze behaupten können sich nur noch Leute, die Einnahmen und Ausgaben maximieren, um das System zu «stabilisieren». Bisher bleibt alles unter Kontrolle; lediglich die Aktien haben etwas von ihren Allzeithochs abgegeben. Der US-Dollar, der König unter den Schwundwährungen, strotzt vor Stärke und ist nachgefragt wie nie. Unter Druck kommen dagegen der Yen und das britische Pfund, die gegen den Dollar rasch an Wert verlieren. Ob die Schuldenblase diesen Winter platzt oder ob die Zentralbanker noch ein neues As aus dem Ärmel ziehen, bleibt also völlig offen.

2017 sagte Janet Yellen, es werde wohl keine Finanzkrise mehr geben zu unseren Lebzeiten. Glauben Sie ihr? Ich nicht. Yellen lag bereits in Sachen Inflation völlig falsch. «Ich glaube, ich habe mich damals geirrt, was die Entwicklung der Inflation angeht», sagte sie vor ein paar Monaten gegenüber CNN. Sie ist sicher bereit, auch weitere Irrtümer auf Kosten von Sparern und Anlegern einzugestehen.

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Der staatsfinanzierte Klimaschreck

Der Kanton Waadt hat letztes Jahr 333 Millionen Franken an die Universität Lausanne bezahlt, andere öffentliche Körperschaften 184 – was zusammengenommen rund 77 Prozent der Gesamteinnahmen von 675 Millionen Franken ausmacht (hier der Jahresbericht als PDF). Der Steuerzahler kommt also für mindestens drei Viertel von allem, was die Uni Lausanne macht, auf.

Ebenfalls übernehmen muss der Steuerzahler die Kosten, die letzten Mittwoch dafür angefallen sind, um die angeklebte Hand von Julia Steinberger (Bild) von einer Berner Autobahnausfahrt zu entfernen. Die Professorin der Uni Lausanne beteiligte sich so am Klimaprotest der radikalen Gruppe «Renovate Switzerland». Professorin Steinberger, die sich in ihrem Twitter-Profil @jksteinberger als «ökosozialistischen Blaustrumpf» bezeichnet, ist die Tochter von Physik-Nobelpreisträger Jack Steinberger. Bei der Uni Lausanne hat sie eine Professur für soziale Folgen des Klimawandels inne und verdient dabei um die 200 000 Franken Jahreslohn, so wie andere ordentliche Professoren an Schweizer Unis auch.

Sollen Professoren eine eigene Meinung haben dürfen, sollen sie an einer Demonstration teilnehmen dürfen? Freilich. Auch wenn sie ihren Lohn von staatsfinanzierten Stellen beziehen, sind sie freie Bürger, die sich demokratisch beteiligen dürfen. Die sie finanzierende Öffentlichkeit darf aber genau hinschauen, was für Werte sie verbreiten.

In einer öffentlichen Diskussion, organisiert 2020 von der ökoradikalen Gruppe Extinction Rebellion UK, sagte Steinberger (ab Minute 37:45): «Die rechtsgerichteten Regierungen, die neoliberalen Regierungen, hören nur auf Gewalt. Sie hören nur auf den sozialen Zwang von Experten, Medien, Öffentlichkeit und Aktivisten. Das ist das Einzige, was sie bewegen kann. Und das ist kein netter Zwang, das ist Schreien, Drängeln, Schubsen, Brüllen und Sagen: Wenn ihr jetzt nicht schnell handelt, werden wir euch das Leben zur Hölle machen.»

Die Frage sei erlaubt: Wir bezahlen Professoren, die dazu aufrufen, herumzubrüllen und andere zu schubsen? Die das Leben von demokratisch gewählten Regierungen zur Hölle machen wollen? Die offenbar nur noch einen Ausweg sehen – die Sprache der Gewalt?

Die selbsternannten Aktivisten für Flora, Fauna und Klima scheinen die Geisteshaltung von Professorin Steinberger verstanden zu haben und drängen sich weltweit in die Schlagzeilen: In dem sie im Supermarkt Milch ausleeren. In dem sie Tomatensuppe über ein Gemälde von Vincent van Gogh schütten. Oder eben, in dem sie den Alltag von Normalbürgern mit einer destruktiven Aktion behindern. Aufkommen muss der Bürger für beides: Für die Professorin, die sich auf der Strasse festklebt. Und für die Polizei, die sie wegträgt.

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Die Fronten verhärten sich

Das offene Gespräch, der freie Austausch zwischen Lagern, die unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt haben, ist hochgradig gefährdet in diesen Tagen.

Es ist in der privaten Kommunikation zu spüren: Ich wurde in den letzten Wochen auf dem Kommunikationsdienst Twitter sowohl von Tages-Anzeiger-Journalist Marc Brupbacher als auch von Comedian Mike Müller geblockt. Nicht weil ich unhöflich oder unsachlich war. Sondern weil ich im Dialog eine andere Sichtweise vertreten habe.

Es ist in Geschäftsbeziehungen zu spüren: Das vom kürzlich verstorbenen Unternehmer Walter Reist ins Leben gerufene Unternehmerforum Lilienberg in Ermatingen hat den neuen Internet-Radiosender Kontrafunk äusserst kurzfristig wieder ausgeladen – gerademal zwei Wochen vor einer gebuchten Tagung. Offenbar ohne genauere Angaben teilte das Management mit, man befürchte, dass die Veranstaltung «den reibungslosen Geschäftsbetrieb, die Sicherheit und den Ruf des Lilienberg» gefährde.

Es ist auf globaler Ebene zu spüren: Nicht nur die Kriegsnationen Ukraine und Russland reden nicht mehr miteinander, auch der Dialog zwischen den USA und Russland ist abgebrochen. Die Intensität der gegenseitigen Abneigung wird auf allen Ebenen stärker – unter Druck kommen bereits Personen, die sich darum bemühen, die Position der anderen Seite auch nur zu verstehen. Du bist ein Putinversteher? Du bist ein Selenskiversteher? Pfui!

Empathie, also die Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinzuversetzen und die Welt aus ihrer Sicht zu sehen, scheint aus der Mode geraten zu sein. Wir lesen keine Romane mehr, die zur Herzensbildung beitragen und damit das Einfühlungsvermögen stärken, sondern wir verbringen unsere Zeit auf Big-Tech-Portalen, wo wir mit Aufmerksamkeit belohnt werden, wenn wir Streit suchen und andere angiften.

Kann man miteinander reden und sich ineinander einfühlen, ist Uneinigkeit gar kein Problem. Richtig angepackt kann sie sogar lohnenswert sein. US-Schriftstellerin Ayn Rand schrieb dazu in ihrem Buch «Für den neuen Intellektuellen»: «Bin ich mit einem rationalen Menschen uneinig, lasse ich die Wirklichkeit den letzten Schiedsspruch fällen; bin ich im Recht, wird er eines Besseren belehrt; bin ich im Unrecht, werde ich eines Besseren belehrt; einer gewinnt, doch beide profitieren.»

Das umzusetzen mag herausfordernd sein in der Praxis. Aber gar nicht mehr miteinander zu reden, macht uns jedenfalls sicher nicht klüger.

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Bitcoin Suisse schlägt Credit Suisse

Die vom Säulenheiligen der Schweizer Wirtschaftsliberalen, Alfred Escher, einst unter dem Namen Schweizerische Kreditanstalt (SKA) gegründete Bank Credit Suisse Group (CS) scheint sich in einem raschen Niedergang zu befinden. Milliarden von Kundengeldern werden abgezogen, die Quartalsergebnisse sind verheerend. 2022 halbierte sich der Preis für eine Aktie von 8 auf 4 Franken. Noch 2007 bezahlte man fast 100 Franken dafür – sie ist seither über 90 Prozent eingebrochen. Während die einen fragen, wer diesen angerosteten Tanker kaufen mag – «Sie würde doch nur 13 Milliarden kosten», titelte die NZZ verzweifelt – fragen sich die anderen, ob er bald irgendwo aufläuft, Leck schlägt und auseinanderbricht.

Newbies fliessen dagegen Kundengelder zu, etwa der Bitcoin Suisse aus dem Kanton Zug. Der wie so viele erfolgreiche Schweizer Unternehmen von einem Ausländer gegründete Finanzdienstleister hat seit der Gründung 2013 dreihundert Mitarbeiter eingestellt und wurde 2020 mit 302,5 Millionen Franken bewertet. Mit einem Preisanstieg von Kryptoassets wie Bitcoin dürfte sich das in den nächsten Jahren noch deutlich nach oben bewegen.

Noch ist das Zuger KMU ein Winzling gegenüber dem Platzhirsch am Zürcher Paradeplatz. Die Machtverhältnisse könnten sich aber verändern. Dafür spricht weniger die Agilität des Newbies, sondern vielmehr die völlige Gleichgültigkeit von Grossbanken gegenüber der Geldrevolution, die am 3. Januar 2009 mit dem ersten Block im Bitcoin-Netzwerk eingeläutet wurde. Die CS hat sich bisher kaum für die Verwahrung von Kryptowährungen interessiert und auch keine Geschäftseinheit für Key Storage aufgebaut, was beides valable Geschäftszweige für Schweizer Banken sein könnten (wir wiesen bereits im Juni 2018 darauf hin, ein zweites Dossier zu Bitcoin erschien im Dezember 2020).

Kurzum: Die Geburt einer revolutionären Innovation, welche die Finanzwelt herausfordert und erweitert, geht der Grossbank fast schon so lange am Allerwertesten vorbei, wie der Aktienkurs der CS sinkt. Mich erinnert ihr Vorgehen an die Verleger, die es eine gute Idee fanden, das Internet erstmal für ein paar Jahre zu ignorieren und zu verdammen. Hanspeter Lebrument behauptete noch 2007 im Namen der Schweizer Verleger: «Google hat Angst vor uns».

Wird nun Ulrich Körner, der neu auf der Kommandobrücke des Tankers steht und im Oktober 60 Jahre alt wird, das Ruder herumreissen? Ich würde nicht darauf wetten. Bitcoin Suisse jedenfalls hat keine Angst vor den Schweizer Banken. Und Bitcoin schon gar nicht.

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Nato und EU brauchen keine Rosinenpicker

In Kiew versprach letzte Woche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Ukraine ziemlich beiläufig einen nahtlosen Zugang zum Europäischen Binnenmarkt. Sie sagte: «Derzeit werden 98 Prozent der Zölle auf Waren nicht mehr erhoben. Gut so.» Was die Schweiz 1972 mit dem Freihandelsabkommen besiegelte, geht hier offenbar unbürokratischer. Nun denn, warum auch nicht. Dass die Europäische Union nun wieder mehr Freihandel auch mit Nicht-EU-Staaten umsetzt, ist ja per se erfreulich. Es bleibt die Frage, warum sie das Nicht-EU-Mitglied Schweiz in einen Rahmenvertrag zwängen will. Und weshalb sie uns bei der Börsenäquivalenz, bei der gegenseitigen Anerkennung von Medizinprodukten und bei Horizon Europe gängelt.

Die Beziehung von europäischen Politikern zu Schweizer Bürgern ist seit mindestens 1848 angespannt. Damals gelang ihnen als den einzigen in Europa die bürgerliche Revolution, und sie übernahmen die Macht im Staat. Glücklicherweise haben die anderen europäischen Länder seither nachgezogen, und wir sehen uns umzingelt von Demokratien. Einige EU-Mitarbeiter in Brüssel blicken dennoch einigermassen missmutig auf die Schweizer Bürger. Denn mit der Schweiz haben alle EU-Bürger jederzeit ein Land vor Augen, das auf kleinem Raum und in vier Sprachen täglich neu beweist, wie ein föderalistischer, direktdemokratischer Staat auch ohne Vorgaben aus Brüssel ganz gut funktionieren kann. Seien es Instrumente wie die Volksabstimmung, die Gemeindeautonomie oder der Steuerwettbewerb – ein anderes Leben funktioniert, und das mitten in Europa.

Doch nur, weil sich die Schweiz erfrecht, Dinge in Eigenregie anders zu machen als andere, ist sie noch lange keine Rosinenpickerin, wie ihr das immer wieder von EU-Exponenten unterstellt wird. Auch die Kritik aus Nato-Ländern, die die Schweiz als ein Land darstellt, das von ihrem Schutzschirm profitiert und selbst nichts einbringt, greift zu kurz. Die neutrale Schweiz hat in ihrer Geschichte vielfach dazu beigetragen, dass Frieden zwischen Kriegsparteien geschlossen werden konnte. Das 1863 in Genf gegründete Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beispielsweise machte weltweit den Anfang, um Schutz und Unterstützung für Betroffene bewaffneter Konflikte und Kämpfe sicherzustellen.

Zum Handeln in Eigenregie gehört jedoch auch, dass man sich unabhängig organisiert. Wer die Neutralität aufrecht erhalten will, muss eine starke Armee aufbauen und in Schwung halten, die das eigene Territorium auch verteidigen kann, wenn es angegriffen wird.

Was definitiv nicht geht, und die Vorwürfe der Rosinenpickerei verdient, ist, neutral bleiben zu wollen, sich aber zugleich an Nato-Übungen zu beteiligen. Nur um dann, wenn der Ernstfall tatsächlich eintritt, auf die eigene Nicht-Nato-Mitgliedschaft ohne Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags hinzuweisen. Mal ehrlich, weshalb sollten Nato-Mitglieder mit der Schweiz europaweit Übungen durchführen, wenn sie sich im Kriegsfall sowieso hinter die eigene Grenze zurückzieht?

Die Schweiz muss sich entscheiden, ob sie ein eigenständiges, frei handelndes Land bleiben will mit allen Konsequenzen, die dazugehören. Oder ob sie ein EU-Mitglied und ein Nato-Mitglied werden will. Mit allen Konsequenzen, die dazugehören.

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Journalist