Bewerbung als Blick-Chefredaktor

Sehr geehrte Herren der Ringier-Führungsetage

Die letzten Jahre als Blick-Leser waren eine Zumutung. Eigentlich wissen Sie das selbst, doch zugeben werden Sie das nur ungern, verständlich, es zeigt nur zu unschön die eigene Führungsschwäche, die Borniertheit und den Dogmatismus auf, mit dem an einem erfolglosen, moralistischen Kurs festgehalten wurde. Der grosse Bruder in Deutschland, die Bild-Zeitung, wird von vielen teilweise zurecht gehasst. Doch sie hat, und das wird niemand in Abrede stellen wollen, noch immer Macht, richtig viel Macht, denn sie beeinflusst nicht nur ihre Leser, sondern auch alle anderen Medien, die wiederum ihre Leser beeinflussen. Warum? Es ist ein Leitmedium.


Der Blick im Jahr 2007 (Bild: CC Flickr andreasmarx)

Der Blick ist das schon lange nicht mehr. Ich kenne niemanden, der den Blick regelmässig liest. Warum auch? Es ist ein ältliches, ein langweiliges Blatt geworden, das pflichtgemäss etwas Sex & Crime abspult und brav jede bescheuerte Miss- und Misterwahl rapportiert. Doch was höre ich hier (sf.tv, Video, 3:26 Minuten)?

Wenn man mit dem Blick zum alten Erfolg zurückkehren möchte, dann ist es … (?) in dem der Blick auch wirklich einzigartig positioniert ist, und das ist er, denn es gibt keine andere Boulevardzeitung. Es gibt viele Gratiszeitungen, es gibt viele Regionalzeitungen, aber es gibt nur eine Boulevardzeitung, und das soll der Blick sein.

Was auch immer der publizistisch verantwortliche Marc Walder hier gesagt hat, die Journalisten des Schweizer Fernsehens haben offenbar daraus entnommen, dass er der Meinung ist, „die Leser goutieren den konsequenten Boulevard-Stil des Blick„, wie es im das Zitat einführenden Satz heisst.

Diese Woche habe ich seit Jahren die erste Story im Blick gelesen, die mich wirklich erregt hat. Erregt im emotionalen Sinne, denn man kann es nicht anders als eine Schweinerei nennen, von den vielen Menschen, die nackt online sind, willkürlich eine herauszupicken und auf die Titelseite zu setzen. Und dann am nächsten Tag im Dorf nachzufragen, wie es um ihren Ruf steht. 20 Minuten, online die vergleichsweise seriöse Tamedia-Alternative zum Newsnetz, hat die Story hier und hier aufgearbeitet. Die Story ist dreist und ein Fall für den Presserat. Aber sie hat mich erregt, und das muss ein Boulevardblatt!

Man kann davon ausgehen, dass der eben abgesetzte Chefredaktor Bernhard Weissberg nicht mehr dafür verantwortlich war. Wenn er auch vieles kann (ich habe gehört, im Tischfussball sei er besonders gut!), Emotionen erzeugen kann er nicht. Sein Erfolg mit der Gratis-Abendzeitung Heute (heute Blick am Abend) ist nicht nur, aber vor allem der Gratis-Nische des Nachmittags geschuldet. Tatsächlich verantwortlich dafür ist aber das junge Team, das sich mit der Gewichtung der Inhalte erfrischend vom Rest des Schweizer Medienkuchens abhebt. Die teils naive Herangehensweise kommt nicht immer gut, aber oft. Kein Wunder also, dass der junge Blick am Abend auch international viel stärker wahrgenommen wird als der alte Blick.

Auch wenn Verleger Michael Ringier erzählt, dass der Blick und die Blick-Gruppe profitabel seien, ist zu lesen, dass der Blick letztes Jahr, erstmals seit Jahrzehnten, einen Verlust eingebracht habe. Nun also ist der Anlass da, darüber nachzudenken, was der Leser will. Ich bin mir sicher: Persönlichkeitsverletzungen und primitive Blossstellungen will er nicht (und genau dahin scheint der Kurs nun zu gehen). Der Leser möchte Journalismus. Und zwar Journalismus, der sich gegen die Doppelmoral der Mächtigen richtet.


So feierte sich Ringier 2008 in Luzern (Bild: CC Flickr Webdevil666)

Das Problem ist leider, dass die Leitung selbst an beidem erkrankt ist. Aus der Warte des Establishment kann das Establishment eben nicht angegriffen werden. Der kleine Mann, ja, den gibt es, sogar in der Schweiz, will zwar wissen, was der Nachbar treibt, aber täglich seine eigenen Fehler vorgehalten kriegen, das will er nicht. Und auch wenn er seinen Chef nicht immer mag, ist er sich doch bewusst, dass er es ist, der ihm ein Auskommen ermöglicht – also mag er auch keine täglichen Tiraden auf die raffgierigen Manager lesen.

Für vieles, das im Argen liegt, sind gar nicht die Mitarbeiter verantwortlich. Das Problem im Ringier-Verlag sind die Entscheider, die Machtpositionen, die Einflüsterer, kurz, der Filz in und zur Führungsetage im Ringier-Verlag. Die eingangs erwähnte Sado-Maso-Titelgeschichte ist das beste Beispiel für den Filz und die Doppelmoral im Haus. Die gar nicht blöden Leser haben das längst durchschaut. Über 4/5 der Reaktionen auf den ersten Artikel nehmen Partei für die Verunglimpfte und greifen zurecht den Blick an, der sich willkürlich in Privatangelegenheiten mischt.

Was ich hier schreibe, ist nichts neues. Der Blick war schon im Juli 2007 ältlich und ich forderte schon im Mai 2008 eine massive geistige Verjüngung der Redaktion. Passiert ist nichts seither, es ist alles nur schlimmer geworden. Die Langeweile des Magazin-Blicks hat zugenommen, die verzweifelte Klickgeilheit von Blick Online ist erschütternd.

Da ich, unregelmässiger Blick-Leser seit 1982, diesem traurigen Zustand nicht länger zusehen kann, will ich etwas dagegen tun. Ich bewerbe mich um den freigewordenen Posten. Es ist die richtige Zeit, es ist der richtige Ort und ich bin (wer würde daran zweifeln) der richtige Mann für den Job. Um Ihnen die Entscheidung zu erleichtern, liefere ich Ihnen gleich meine Stärken und Schwächen:

+ noch nicht alt
– keine Erfahrung
+ nicht im Ringier-Filz
– hat es sich mit ein paar empfindlichen Menschen schon längst verspielt
+ kennt sich aus mit Web 2.0 und so
– wohnt gar nicht in der Schweiz
+ ist in etwa auf dem Bildungsstand der meisten Blick-Leser (Lehre, kein Studium)
– besitzt keine Krawatten
+ kann motivieren

Ich freue mich jetzt schon auf die Einladung zum Vorstellungsgespräch. Meine Kontaktdaten finden Sie hier.

Freundlichste Grüsse
Ronnie Grob

12 Gedanken zu „Bewerbung als Blick-Chefredaktor“

  1. genau. einer, der noch nie eine geschichte hingekriegt hat und deshalb (gähn) nur über medien schreibt, die er im konkreten fall sogar nur gelegentlich liest (steht hier) und – obwohl er sich gar nicht auf schweizer redaktionen aufhält und deshalb keine ahnung hat einfach mal so behauptet, der blick sei kein leitmedium – der bewirbt sich hier. grob keine ahnung.

  2. Hallo Ronnie,

    spannende, wie gleichsam lustige Analyse. Etwas verstehe ich jedoch nicht ganz: Du schreibst, dass dich die Sado-Story erregt habe (ja sogar geärgert, wie ich es verstehe) aber trotzdem meinst du, es sei die Aufgabe des Boulevardblattes solche Storys zu produzieren? Ich verstehe nicht wirklich viel von Boulevard, aber für mich war diese Story Grund genug mein Blick-Abo zu künden (wenn ich denn eins hätte höhö). Etwas was mich ärgert lese ich nämlich nicht.

    Grüssewohl
    Pascal

  3. @Pascal: Natürlich soll der „Blick“ auf den Mann und auf die Frau spielen. Konkret überall da, wo Anspruch und Wirklichkeit, wo Ansage und Realität, wo Haltung und Handlungen aufeinanderprallen. Dazu gehört es sicher nicht, die privaten Angelegenheiten einer willkürlich ausgewählten Sekretärin auf die Titelseite zu bringen. Sowas würde ich nie machen! (Wow, fühle mich schon wie im Wahlkampf :-) – leider ist es keiner, sondern eine autoritäre Entscheidung.)

  4. Ich hoffe du belässt es nicht nur bei diesem Eintrag sondern wirst dich auch bewerben. Das heisst der Beweis wird am Schluss entweder die Ringier Absage oder dein neuer Posten beim Blick sein! Good Luck!

  5. Eine souveräne Bewerbung. Gratuliere.

    @Ringier: Give him a try!

    Nur etwas vielleicht: Für Fehler der Redaktion hat ein Chefredaktor bis zum letzten Arbeitstag einzustehen. So viel Haltung und Verantwortung muss sein.

    Und noch etwas scheint mir für ein Revolverblatt doch nicht ganz so unwichtig: „Haue“ wem „Haue“ gebührt! Auch und gerade Abzockern, korrupten Politikern, mauschelnden Behörden, usw, usf.

    Der Durchschnitts-Büezer, wie Du ihn beschreibst, kann durchaus selbst einschätzen, ob der eigene Chef in die Kategorie einigermassen- bis ganz integerer Unternehmer gehört, oder doch eher in die Kategorie leicht- bis maximal korrumpierter Mandate- und Boni-Sammler. Ein Chef, der Leistung fordert und diese anständig entlöhnt, oder ein Chef, der Peitsche schwingend auf Lohnsklaverei macht. Glaub mir Ronnie, solche inneren Massstäbe hat jeder Angestellte. Und sie interessieren! Aber sowas von. Je mehr Informationen vorhanden, desto leichter fällt ebendiese Einschätzung.

  6. Hat sich schon ein Ringier-Manager oder ein Anwalt gemeldet? Da hat es ein paar gefährliche Behauptungen, die ich niemals teilen würde.

  7. Hat sich schon ein Ringier-Manager oder ein Anwalt gemeldet? Da hat es ein paar gefährliche Behauptungen, die ich niemals teilen würde.

    Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass alle gleicher Meinung sind … :->

  8. @Christian Leu: Der Job ist online nicht ausgeschrieben, sonst könnte man sich auch online bewerben.

    http://www.ringier.ch/index.cfm?&id=8160

    @Ugugu: Danke! Ja, Haue, wem Haue gebührt. Natürlich sind abzockende Manager ein Thema für eine Boulevardzeitung. Ich glaube aber nicht, dass der Blick-Leser etwas anfangen kann mit der altsozialistischen Einstellung, dass (bis zum eindeutigen Gegenbeweis) jeder Unternehmer ein Ausbeuter ist.

    @Christian: Nein, es hat sich noch kein Anwalt gemeldet. Warum sollte sich denn einer melden?

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