Wörterbuch der politischen Haltung

Was die politische Haltung angeht, gibt es immer wieder Missverständnisse. Ich zum Beispiel wurde kürzlich in einem Kommentarabtausch ein „dyslexischer Neocon“ genannt. Das ist unfair, bei Beleidigungen sollte man doch immerhin verstehen, was gemeint ist.

Darum hier die Begriffsklärung der politischen Haltungen – wie sie in deutschsprachigen Medien vorkommen. Was bedeuten Begriffe wie Linke, Rechte, Linkspopulisten, Rechtspopulisten, Konservative, Neokonservative, Liberale, Neoliberale, Sozialisten oder Kommunisten?

Linke
Grosse Gruppe mit Differenzierungsbedarf. Es gibt „Die Linke“, eine aus der ehemaligen DDR-Staatspartei hervorgehende Gruppe, die darum den Kommunismus nicht verharmlosen darf. Und dann gibt es die Linke, zu denen alle anderen gehören: Sozialdemokraten, Grüne, 68er, Gewerkschafter, ein Grossteil der Journalisten. Auch wenn sie sich selbst als Gutmenschen sehen, dürfen sie nicht von anderen so bezeichnet werden, jedenfalls nicht verächtlich.

Rechte
Schlimme Gruppe von Menschen, die sich weigern, links zu sein. Nicht wenige Linke, die selbst eine Abgrenzung von Linksradikalen verlangen, haben nicht die Fähigkeit oder den Willen, Rechte von Rechtsradikalen abzugrenzen. Während „Linke“ als vielleicht nicht allzu fröhliches Alltagswort verwendet wird, ziehen bei „Rechte“ vor dem Horizont des geistigen Auges glatzköpfige Massen mit Springerstiefeln auf.

Linkspopulisten
Oskar Lafontaine. Und dann lange, lange niemand mehr.

Rechtspopulisten
Zu 10 Prozent populistische Rechte, zu 90 Prozent Rechte irgendwelcher Art.

Konservative
Anhänger der CDU, CSU, FDP und der christlichen Kirche. Andere, die per Definition konservativ sind und etwas bewahren wollen, also zum Beispiel Gentrifizierungsgegner, Globalisierungsgegner, Umweltschützer oder Verfechter von anderen Religionen als der christlichen, werden überraschenderweise nicht „Konservative“ genannt. Wer selbst glaubt, „fortschrittlichen“ Ideen nachzuhängen, bezeichnet gerne den jeweiligen Gegner als „konservativ“.

Neokonservative
Aus der USA überschwappender, schwammiger Begriff, der ungefähr jeden treffen kann, der nicht links ist.

Liberale
Ein positiver Begriff, der von ungefähr allen ausser wenigen Konservativen beansprucht wird. Etwas zu befreien scheint so viel cooler, als etwas zu bewahren. Für den Wähler ziemlich wichtig zu erfahren wäre auf jeden Fall, was denn befreit werden soll: Die Wirtschaft vom Staat, die Gesellschaft von ihren Zwängen oder der Geist von seinen Beschränkungen.

Neoliberale
Wie „Neokonservative“ ein Kampfbegriff der Linken: In eine Gruppe zusammengefasst werden Wirtschaftsliberale, Korporatisten und Opportunisten.

Sozialisten
Auch wenn sich die Jungparteien der Sozialdemokraten treffend Jungsozialisten nennen, gibt es doch immer wieder Sozialdemokraten, die keine Sozialisten sein wollen. Das gilt nicht für die Schweizer Sozialdemokraten und nur ab und zu für Sozialdemokraten in Bundesländern, in denen zusammen mit „Die Linke“ die Regierung übernommen werden kann.

Kommunisten
Verstaubte Loser von früher im Osten, die die Idee des Sozialismus nicht richtig umgesetzt haben.

4 Gedanken zu „Wörterbuch der politischen Haltung“

  1. Schöne Übersicht.
    Als jemand, der selbst früher den Begriff „Gutmensch“ gelegentlich verwendete und selbst auch so seine Probleme mit Linken hat, möchte ich aber doch erwähnen, dass er meiner Erfahrung nach ein ziemlich zuverlässiges Indiz für einen nicht lesenswerten Text darstellt, wenn er im Ernst gebraucht wird. Broder und so…

  2. Und wo gehören die Öko-Bewegten ‚rein? Gibt’s da nicht noch ’ne extra Schublade für? ;-)

    Mal davon abgesehen, dass sich wohl die Wenigsten einer dieser Typisierungen zugehörig fühlen dürften. Dient wohl – wie die vermeintlichen Stilrichtungen im Musikjournalismus – vorwiegend der Simplifizierung durch die Medienschaffenden.

  3. So wie viele Linke, die sich mit dem Thema nicht auseinandergesetzt haben, ist auch diese Pauschalisierung hier bezüglich der Neoliberalen nur allzu bequem. Auch wenn der Neoliberalismus ein Phänomen ist, dass an Trennschärfe vermissen lässt (das zeigt meiner Meinung nach wie sehr es in der Gesellschaft angekommen ist) und es drei grosse Schulen (Österreich, Deutschland und USA) davon gibt, hat diese spezielle Wirtschaftideologie einen einen klaren Ursprung in Zeit und Raum, einen Namen den sich die Herren selbst gegeben haben und der Einfluss dieser Menschen ist in der Geschichte eindeutig nachweisbar.
    Ehrlicherweise muss ich zugeben, der sich in seiner Liz. mit dem Thema beschäftigt hat, dass der Ausdruck zuweilen auch als Kampfbegriff gebraucht wird und trotzdem die Mehrheit derjendigen, die diese Wort gebrauchen, die volle Tragweite dessen nicht erfasst, was der Neoliberalismus mit sich gebracht hat. Aber etwas mehr R und R (Recherche und Reflexion) wäre hier schon angebracht gewesen.
    Ums mit Beat Schlatter aus der Werbung für Handhygiene (vom Schweizer BAG – Schweinegrippe-Zeit) zu sagen: S’isch emfal kein witz!

  4. Tja, je weiter „rechts“ man sich selbst im politischen Spektrum einordnet, desto mehr „Linke“ gibt es, soweit die Kategorien der politischen Gesäßgepgraphie überhaupt noch Aussagewert besitzen. In der soziologischen Forschung ist man da übnrigens schon seit 20 Jahren weiter. Lesetipp: „Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Kritik des Fortschritts: Verkehrung der Fortschrittsposositionen von Links und Rechts in den 80er Jahren.“ von Gerhard Kraiker. Zu finden in: Jenseits der Utopie, Hrsg.: Stefan Müller Dohm; Suhrkamp 1991 (!)

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