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Bestenfalls geht die AfD den Weg der SVP

«Die Inserate erinnern an Kampagnen zur Zeit des Faschismus», empörte sich CVP-Generalsekretär Raymond Loretan 1995 über eine Kampagne der SVP. Und FDP-Präsident Franz Steinegger sagte 1999 über Christoph Blocher: «Ich stelle fest, dass er zunehmend Methoden anwendet, die eindeutig gefährlich sind. Sie erinnern an Methoden, die der Politikwissenschafter Karl Bracher dem Faschismus und Totalitarismus zugeordnet hat.»

Den mitunter üblen Stil der SVP kann man tatsächlich nur immer wieder kritisieren; die Gegner sollten dabei aber aufpassen – eine stilistisch gemässigte SVP hätte wohl grössere Chancen an den Wahlurnen. Den Weg des Faschismus, wie er von Gegnern immer wieder heraufbeschworen wurde, ist die SVP jedenfalls nie gegangen. Im Gegenteil. Die Partei besteht penibel auf die Einhaltung von geltendem Recht und zeigt sich immer wieder als betont demokratisch. Auch dann, wenn es darauf ankommt: in der Niederlage.

Der Fehler der Politiker von CVP und FDP in den 1990er-Jahren war, dass sie den Unmut der Bevölkerung in der Migrationsfrage unterschätzt haben. Was schnell mal passiert, wenn man selbst in einer privilegierten Situation ist, zum Beispiel in Lebensumständen, in denen einem Ausländer weder begegnen noch konkurrenzieren. Auch in Deutschland wird nun der zunehmende Unmut an der Basis weder von Politikern im Kokon des Berliner Regierungsviertels wahrgenommen noch von Journalisten in ihren renovierten Prenzlauer-Berg-Altbauwohnungen. Sie erklären einfach jeden, der notgedrungen AfD wählt, zum rassistischen Ausländerfeind und zum Dummkopf.

So wie die SVP den Altparteien CVP und FDP Stimmenanteile abgenommen hat, so nimmt die AfD den Altparteien CDU, FDP und SPD Stimmenanteile ab. Das Establishment mag toben über den Bürger, der vermeintlich falsch wählt, doch in einer Demokratie ist es eben er, der bestimmt; und das ist auch richtig so. Die Dämonisierungsstrategie funktioniert nur auf kurze Frist.

Aber aufgepasst! Deutschland hat keine freiheitliche Tradition wie die Schweiz, sondern eine betont obrigkeitsgläubige. Es besteht also tatsächlich eine gewisse Gefahr, dass eine aufstrebende AfD in den Strudel eines Machtrauschs gerät, die junge Demokratie Deutschland beerdigt und diktatorisch, nationalsozialistisch, faschistisch wird. Umso wichtiger ist es, dass Leute in die Partei drängen, die Wert auf Rechtsstaatlichkeit legen und die Demokratie bewahren und verteidigen wollen. Sind es viele, werden sie einen Björn Höcke, der eine klar nationalistisch-sozialistische Agenda verfolgt, zu einer Randfigur machen.

Bei der SVP hat es geklappt: Die Neonazis, die sich in den 1990er-Jahren in der Partei breit machen wollten, blieben erfolglos. Parteifunktionäre mit rassistischen Positionen werden konsequent ausgeschlossen. Die Oberhand behalten hat der unternehmerische Zürcher Flügel der Partei unter Christoph Blocher; man kann ihm einen fragwürdigen Stil vorwerfen, aber keine Demokratiefeindlichkeit und kein Streben, den Rechtsstaat auszuschalten.

In den zwanzig Jahren von 2001 (1,4 Millionen Ausländer in der Schweiz) bis 2021 (2,2 Millionen) gab es kein Jahr, in dem die ausländische Bevölkerung in der Schweiz nicht zugenommen hätte: Netto sind in dieser Zeit fast 800’000 Personen eingewandert, das sind pro Jahr fast 40’000 Personen. 20 Prozent Bevölkerungsanteil wurde 2002 erreicht, 25 Prozent 2017. Natürlich ist das vielfach erfreulich: Ausländer wurden geholt, sind erwünscht und bringen sich konstruktiv ein.

Die SVP ist parallel dazu gewachsen und hat sich von 10 Prozent Wähleranteil auf fast 30 Prozent Wähleranteil gesteigert – für die stabile Schweiz eine Revolution. Die Situation in Deutschland ist anders: Noch 2011 lag der Ausländeranteil landesweit bei lediglich 7,9 Prozent. 10 Jahre später, 2021, ist er bei 13,1 Prozent angekommen. Selbst eine Stadt wie Berlin, in der vermeintlich die Weltbürger wohnen, hatte 2020 weniger als 20 Prozent Ausländeranteil.

Probleme bei der Integration gibt es in beiden Ländern; selbst migrationsfreundliche Eltern wollen ihr Kind nicht in eine Schulklasse schicken, in der kaum noch Deutsch gesprochen wird. Und das ist der Fall, zum Beispiel in der Aargauer Gemeinde Neuenhof, wo 80 Prozent der Schüler Migrationshintergrund haben. Bei der Einschulung, so erzählt es die Schulleiterin Renate Baschek, kann die Hälfte der Kinder kaum Deutsch.

Je weiter die politischen Raumschiffe in den Hauptstädten vom Bürger abheben, desto eher öffnen sich Chancen für Parteien, die seine Anliegen vertreten. Man nennt das Demokratie.

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Wie Kurt Früh 1949 die Demokratie in Gefahr sah

Per Zufall bin ich über den schönen Kurzfilm «Demokratie in Gefahr» von 1949 gestolpert. Regie führte Kurt Früh, und Schaggi Streuli spielte mit:

Was war das für ein Film und was fällt aus der Distanz von 66 Jahren auf?

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6 vor 9 – ein Blick zurück

Warum höre ich nach fast neun Jahren auf mit der wochentäglichen Linkrubrik «6 vor 9» auf Bildblog.de? Weil die Auswahl von Links Alltag geworden ist. Weil die Zukunft des Journalismus immer noch nicht geklärt ist. Und weil es eben kein Kinderspiel ist, Medienkritik jeden Morgen fehlerfrei zusammenzufassen.
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Moderne Schweiz

Vor den Wahlen 2015 sieht die Karikatur der politischen Lage so aus: Auf der einen Seite die SVP wählenden Hinterwäldler, die sich störrisch jedem Fortschritt verweigern, darauf drängen, sich vom Rest der Welt abzuschotten und lieber untergehen, als in der Zukunft anzukommen. Auf der anderen Seite die urbane, progressive Elite, deren bahnbrechende Ideen in den Ketten der Direkten Demokratie liegen und die deshalb das Land nicht in eine gloriose internationale oder wenigstens europäische Zukunft führen können. Es ist deshalb eine Karikatur, weil das, was als Progression (Fortschreiten, Weiterentwicklung) verkauft wird, eine Regression (Rückgang, Zurückfallen) wäre. Jene besonderen Errungenschaften, die sich die Schweiz im 19. Jahrhundert in die Verfassung geschrieben hat, machen den Schweizer Staat bis heute zum fortschrittlichsten Staatswesen weit und breit.
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Die romantische Seite deutscher Zeitungen (2)

Wie romantisch Zeitungen sein können, haben sie ja 2009 schon mal bewiesen.

Nun hat sie ein süss-ungeschicktes Küsschen zwischen Barack Obama und Aung San Suu Kyi so verzückt, dass sie sich nicht zurückhalten konnten, ihre Titelseiten damit zu verschönern. Berichte zur aktuellen Wirtschaftskrise und zu den derzeit eskalierenden Konflikten im nahen Osten finden sich, wie gewohnt, im Innenteil.

Bilder: Screenshots meedia.de-Titelseitengalerie