Über 150 Tweets weisen derzeit auf den Artikel „Der rechte Abschied von der Politik“ von Constantin Seibt hin, mehrheitlich zustimmend.
Ich gehe einig mit der Unfähigkeit der meisten Politiker, vernünftige Regulierungen zu verfassen, mit der Unfähigkeit der meisten Köpfe, Orientierung zu geben und mit dem Ärger über die mit Optimierern ausgestatten natürlichen und juristischen Personen, die es sich leisten können, kaum oder gar keine Steuern zu zahlen.
Ich möchte aber einige Punkte hinterfragen, so sehr ich Seibt als einen der besten Schreiber der Schweiz schätze:
1. Die Ursache der Krise
Die aktuelle Krise sei ein Resultat von „blinder Deregulierung von Wirtschaft und Finanzmärkten“.
Dass Banken so gross geworden sind, dass sie, wenn sie crashen, ganze Industrien mit sich reissen, mag ein Resultat sein von nicht richtig reguliertem Kapitalismus. Jeder, der schon mal Monopoly gespielt hat, weiss, dass das Spiel ewig weiterlaufen kann, wenn alle Teilnehmer etwa gleich gut spielen. Dem Ende zu geht es jeweils erst, wenn ein Teilnehmer zu übermächtig wird oder Kartelle gebildet werden.
Ob die Rettungen von Banken (und Staaten) zwingend waren oder ob sie vielmehr die Situation, in der wir jetzt stecken, verschärft haben, wird erst die Geschichte zeigen, so in 100 Jahren können wir das dann sicher beurteilen. Auf jeden Fall war es, aus marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, eine absolut unzulässige Einmischung des Staats in den Markt. Sobald ein Teilnehmer der Marktwirtschaft nicht mehr bankrott gehen kann, handelt es sich nicht mehr um eine Marktwirtschaft, sondern um eine Planwirtschaft eines undurchsichtigen Konglomerats aus Staatsspitzen, Organisationen und Banken.
2. Das Sparen
Die aktuelle Krise sei ein Resultat einer „blinden Sparpolitik“.
Eine „blinde Sparpolitik“? Tatsächlich wurde doch, das zeigen alle Statistiken, in fast keinem der westlichen Staaten gespart. Jeweils am Ende des Jahres, was auch immer passierte, vermehrte der Staat seine Schulden. Falls es sowas wie eine Sparpolitik gegeben haben sollte – in der Realität ist sie nicht angekommen.
Das Resultat der Krise ist die Folge von Misswirtschaft der verantwortlichen Politiker in der Exekutive, und zwar von linken wie auch von rechten. Wer Schulden macht und sie irgendwann nicht mehr zurückzahlen kann, macht Pleite. Die Steuern zahlende Wirtschaft hat damit nichts zu tun, das ist die Einnahmenseite. Vielmehr muss sich die Ausgabenseite, also die Politik, an den Einkünften orientieren und kann nicht einfach Geld verschwenden, als gäbe es kein Morgen. Doch das hat sie getan, sei es, um übertriebene Wahlversprechen zu erfüllen, aus Verantwortungslosigkeit oder aus Unfähigkeit.
3. Konjunkturpakete
Seibt schreibt:
Nach ersten, zaghaften Konjunkturprogrammen schnitten die USA und Grossbritannien die Ausgaben bald zurück (…)
Zaghafte Konjunkturpakte? Ich weiss nicht, in welchen Kategorien Seibt denkt, aber das Obama-Konjunkturpaket von 2009 in der Höhe von 790 Milliarden US-Dollar würde ich jetzt nicht als zaghaft, vielmehr als gigantisch bezeichnen. Zur Erinnerung: Konjunkturpakte sind Eingriffe des Staates in den Markt, die eine Belebung der Wirtschaft zum Ziel haben. Verwendet wird dafür Geld, das vorher unter Zwang (wir nennen es Steuern) der Wirtschaft weggenommen wurde.
Ob zaghaft oder nicht, erfolgreich war das Konjunkturpaket nicht. Obwohl der Staatshaushalt massiv in Schieflage war, verschuldet hat das zu einem guten Teil George W. Bush, verwendete Obama diese Gelder – für die neue Schulden aufgenommen werden mussten und jetzt wieder eingespart werden müssen. Derzeit denkt man in den USA über ein Sparpaket in der Höhe von 2400 Milliarden US-Dollar nach.
Nochmals: 2009 hat die USA 800 Milliarden Steuergelder „in die Wirtschaft investiert“. Nun muss sie 2400 Milliarden einsparen. Eine Rechung, die nicht aufgeht. Wie fast immer, wenn keynesianische Rezepte angewendet werden.
4. „Der rechte Abschied von der Politik“
Kommen wir zum Titel, für den vermutlich gar nicht Seibt, sondern das boulevardeske Online-Portal, das seine Zeitung bewirtschaftet, verantwortlich ist.
Weder die SVP noch die Tea Party verabschieden sich von der Politik. Sie sind lediglich in der Opposition und sagen „Nein“ – ein komplett legitimes Vorgehen in der Politik. Ob die Regierungen nun aus Sozialisten, Sozial- oder Christdemokraten, Grünen oder sogenannten „Konservativen“ (was auch immer das ist) bestehen und bestanden – sie sind verantwortlich für die Aufhäufung der Schulden. Nicht die Opposition. Nicht die Wirtschaft.
Wenn die „Formsache“ der Anhebung der Schuldenobergrenze in den USA seit 1962 74x stattgefunden hat (in den letzten zehn Jahren 10x), wird es vielleicht mal Zeit, dass jemand diese Strategie ernstlich hinterfragt. Denn auch wenn es nochmals gelungen ist, den Bankrott zu verhindern, so ist er doch nur vertagt. In den Vereinigten Staaten wie in Griechenland, das gilt für jedes Land, das dauerhaft mehr ausgibt als einnimmt.
Allen Freunden des Staates, und davon gibt es unter den Linken und in Deutschland bedauerlich viele, möchte ich zu bedenken geben, dass ein Staat, der pleite ist, gar nichts mehr vermag. Er kann keine Löhne mehr zahlen, keine Renten, keine Sozialabgaben, er kann keine Schulen mehr unterhalten, keine Bibliotheken mehr bewirtschaften. Und nicht nur das, er kann auch keine Ordnung mehr aufrecht erhalten, Anarchie bricht aus, Gesetze werden hinfällig.
An einer nachhaltigen Sparpolitik sollten also gerade die Linken ein grosses Interesse haben. Sparen, den Staat zurückbauen und am Ende weniger Steuern für den Bürger verlangen wollen die von den Linken und den Medien so gerne als rechtspopulistisch bezeichneten Parteien und Gruppen wie die SVP oder die Tea Party. Seit Jahren.
Ein bankrotter Staat zerstört alle bürgerlichen Errungenschaften. Es reicht nicht, dauernd nur zu rufen, der Staat dürfe nicht bankrott gehen. Man muss auch etwas dagegen tun. Opfer wird die nächste Zeit so oder so fordern.
Siehe dazu auch: „Crash Coming“ vom 5. Juni 2011 und „Am Vorabend der tatsächlichen Krise“ vom 7. Juli 2010.
Nachtrag, 5. September 2011: Charles Moore äussert sich in einem Interview zu seiner Kolumne und zum Satz „I’m starting to think that the Left might actually be right“.
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