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Byebye Blumfeld

blumfeld

nanu, denk ick, jetzt bin ich uff, erst war ich zu
dann geh ich raus und kieke
und wer steht draußen: icke

Blumfeld, die Band mit dem Namen des älteren Jungesellen aus einer übrigens sehr lesenswerten Kurzgeschichte von Franz Kafka, gibt ihre letzten Konzerte. Ich war an einem von denen, am Montag, im Postbahnhof. In Hamburg und Zürich kann man sie übrigens im Mai noch sehen.

Mit Blumfeld verbindet mich eine längere Geschichte. Es war die Band mit den Texten, von denen ich anfangs so gar nichts verstanden habe, die mich aber dennoch anzogen. Die Band mit den Harmonien, die einen, fast ähnlich wie Sonic Youth, erst bei wiederholtem Hören faszinierten. Die Band, die, ähnlich gewissen Blogeinträgen, Worte aus allen möglichen Quellen schöpfte und so neue Texte schmiedete. Die Band, die nicht nur den Eindruck erweckte, etwas Schönes zu sagen, sondern dazu noch etwas Wichtiges. Kaum aber hatten das alle begriffen und sie mit den Attributen Diskurs und Politik versehen, machten sie ein Album, von dem sie wie Knuddelbären vom Cover guckten. Und noch eins und noch eins und die ernsten und sich politisch fühlenden Menschen stürzten in tiefe Gefühlswirrnisse. Nicht wenige reagierten darauf mit unbedingter Ablehnung, nannten alles Schlager und trösteten sich mit alten Vinylplatten von Bands, auf denen ihre kleine Welt noch in Ordnung war.

Nun also stehen sie da auf der Bühne. Keine Vorband, keine Ansagen, einfach Blumfeld aus allen Alben und Jahren. Um die 12 Euro hat mich das gekostet, im Vorverkauf, da hätten sie sicher auch das Doppelte verlangen können. Haben sie aber nicht. Sie haben dafür zwischen neun und elf zwei Stunden lang gespielt, mit insgesamt drei Zugaben. Zu Beginn fand ich es etwas harzig. Sänger Jochen Distelmeyer sang oder sprach, wie mans nimmt, da er nicht wie ab Platte singen wollen, immer etwas anders. Neben mir hüpfte ein betrunkenes Paar enthusiastisch auf und ab, als hätten sie beide unabhängig voneinander eben im Lotto gewonnen. Und zwischen den Stücken schrien aktive und engagierte Berliner Zuschauer ihre wichtigen persönlichen Botschaften. Ok, der, der jedesmal „Jooooooooochen“ rief, kriegte den Running Gag hin.

Mit einem Lied, das ich eigentlich überhaupt nicht mag, auch wenn es ein sehr netter Popsong ist, „Der Apfelmann“, nahm er dann alle seine gefühlsausdrucksgehemmten Alter Egos auf die Schippe. Er forderte die Leute auf, den Diskurs zu verlassen und stattdessen mitzusingen und ihre Hände in die Höhe zu strecken, ganz, als seien sie keine ernsthaften Konzertbesucher, sondern irgendwelche schreienden Teenies an einem Tokio Hotel. Was nicht sehr überraschend viele überforderte.

Dann aber wurde es schnell wieder ernst. Am Konzert gab es genau einen Moment, der mich wie ein Blitz traf (einer der Momente, für die es sich zu leben lohnt). Nämlich als beim herausragenden, stillen, romantischen und einfachen Song „Kommst du mit in den Alltag“ in der Songzeile „Nieder mit den Umständen!“ für eine Sekunde die Faust hochging beim Mann vor mir, einem bewegungslosen, schlaksigen Mittzwanziger mit Brille.

Was bleibt sonst? Die nicht neue Erkenntnis, dass Blumfeld eine verdammt starke Band ist. Dass „Verstärker“ ein unglaublich guter Song ist. Dass ich sofort Geld ausgeben würde für ein zweites Abschiedskonzert. Dass ich gerne ein Buch lesen würde von Jochen Distelmeyer. Dass ich auch gerne die Zeilen „Und in den Straßen liegt der Staat und sagt: | was regst Du Dich und Deinen Magen künstlich auf | wärst Du doch bloß im Bett geblieben | ‚Au nee, weil ich so oberflächlich bin | kehrt sich mein Inneres nach außen | steht mir bis hierhin und ins Gesicht geschrieben“ geschrieben hätte. „Macht verrückt was euch verrückt macht“.

Hallo Berlin!

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Den ersten Gesprächsfetzen in Berlin erhaschte ich am Flughafen Schönefeld, als ich an der Wechselstube hinter einem älteren Berliner mit rauchiger Stimme stand. Er sagte: „… sie wissen ja ooch … wir hams nicht leicht … da zählt jeder Pfennich … äh … Cent“. Dann wünschte er einen schönen Tag und verschwand, worauf mir die Frau hinter der Theke auf irgendeinen sehr ungeraden Betrag, Quittung inklusive, exakt 240 Euro und 0 Cents aushändigte, allerdings erst, nachdem sie jede der ihr überreichten Noten aufs Genaueste auf jede Sicherheitsvorschrift prüfte.

Es ist kaum mehr als eine Binsenweisheit und man kann das wohl über alle grösseren Städte aussagen, aber: Hier ist immer was los. Egal, ob man aus der Haustüre tritt und einem ein junger Mann im Laufschritt entgegen kommt, mit einem riesigen Stosszahn eines Elefanten auf der Schulter. Oder ob man ein paar Meter weiter einen Mann aus einer Kneipe kommen sieht, der mit lauter Stimme zwei, drei Worte spricht, nur um dann anschliessend in einer Tür gleich neben dem Kneipeneingang zu verschwinden. Oder einem wird vor die Füsse gespuckt, wenn man beim Joggen am Lichtsignal warten muss.

Joggen ist übrigens eine hervorragende Art, Berlin zu erkunden. Wenn man einigermassen fit ist, sieht man recht schnell recht viel. Ein Schock war der Sonntagmorgen, als ich um 10 Uhr morgens der Spree entlang lief: Hunderte, ach was sag ich, Tausende von Joggern! Als sei man in einen Volkslauf geraten, der gleichzeitig in beide Richtungen verläuft. Es ist halt Frühling, Zeit der guten Vorsätze und der Angst vor dem Bikini. Nach welchen Kriterien hier die Jogger einander grüssen, hab ich noch nicht ganz begriffen – da ich von mindestens drei Schnellläufern gegrüsst wurde, muss ich annehmen, dass sich die Langsamläufer auch grüssen.

Einmal rannte ich der Mauer entlang, DER Mauer, bzw. dem, was noch davon übrigblieb und wurde prompt von einem Chinesen aufgehalten, der gerne ein Foto von sich und der Mauer nach Hause tragen wollte. Als ich nach dem zweiten Bild zwei Schritte rückwärts machte mit seiner Kamera in der Hand, trippelte er schon nervös auf mich zu. Ich aber drückte sie entschieden vor mein Gesicht, worauf er brav auch noch für ein drittes Bild stehenblieb. Als ich sie ihm wieder zurückgab, dankte er mir freudestrahlend und schüttelte mit beiden Hände die meinen.

Prominenz habe ich auch schon gesehen und wenn man das erzählt, ist es ein Faux-Pas. So habe ich das jedenfalls gelesen in der Spiegel-Sonderausgabe über Berlin, die auch schon einen Monat alt ist. Denn die Stars fühlen sich hier wohl, weil sie nicht von jedem angequatscht werden, was ich unbedingt richtig und gut so finde. Ich erzähl euch aber dennoch und auch brühwarm, dass der liebe und gute Toni Mahoni offenbar Nähprobleme hat. Denn sonst hätte er wohl kaum eine Tür betreten, über der gross das Schild „Nähstudio“ stand. Maxim Biller hingegen (es sei denn, es war sein exaktes Abbild in Physis) sass über Zeitungen gebeugt in einer Bibliothek und stöhnte, durchaus alle anderen beim lesen störend, laut auf, sobald ein verbotener Handyklang ertönte oder er eine schreckliche Zeile lesen musste. Tatsächlich aber schrieb sich konzentriert Daten aus Kleinanzeigen heraus, vielleicht hat der Arme ja kein Internet.

Ein paar Regeln, was Berlin anbetrifft, wurden mir schon beigebracht:

1. Der Scan-Blick für Hundescheisse

Entweder man gewöhnt sich das an oder aber man läuft herum mit dreckigen und stinkenden Schuhen. Letztes Mal bin ich am dritten Tag reingetreten, bisher, touch wood, noch nicht.

2. Egal wo du hinwillst, es dauert eine halbe Stunde

Das hab ich einfach mal geglaubt, aber natürlich dauert es länger. Oder ich bin Anfänger und darum dauert es länger. Ich kam jedenfalls auch unter Berücksichtigung dieser Golden Rule eine Viertelstunde zu spät. Aber was hat Zeit schon für eine Bedeutung hier – hier machen alle alles zu jeder Tageszeit.

3. Das Codewort der Backwarenfachverkäuferin für länger liegengebliebene Ware

lautet: „Oh, an diesem Stück hier sind ein paar Mandeln abgesplittert, ich machs ihnen 10 Cent billiger“