Ein Staat, den wir uns nicht leisten können

Über 150 Tweets weisen derzeit auf den Artikel „Der rechte Abschied von der Politik“ von Constantin Seibt hin, mehrheitlich zustimmend.

Screenshot Rivva

Ich gehe einig mit der Unfähigkeit der meisten Politiker, vernünftige Regulierungen zu verfassen, mit der Unfähigkeit der meisten Köpfe, Orientierung zu geben und mit dem Ärger über die mit Optimierern ausgestatten natürlichen und juristischen Personen, die es sich leisten können, kaum oder gar keine Steuern zu zahlen.

Ich möchte aber einige Punkte hinterfragen, so sehr ich Seibt als einen der besten Schreiber der Schweiz schätze:

1. Die Ursache der Krise
Die aktuelle Krise sei ein Resultat von „blinder Deregulierung von Wirtschaft und Finanzmärkten“.

Dass Banken so gross geworden sind, dass sie, wenn sie crashen, ganze Industrien mit sich reissen, mag ein Resultat sein von nicht richtig reguliertem Kapitalismus. Jeder, der schon mal Monopoly gespielt hat, weiss, dass das Spiel ewig weiterlaufen kann, wenn alle Teilnehmer etwa gleich gut spielen. Dem Ende zu geht es jeweils erst, wenn ein Teilnehmer zu übermächtig wird oder Kartelle gebildet werden.

Ob die Rettungen von Banken (und Staaten) zwingend waren oder ob sie vielmehr die Situation, in der wir jetzt stecken, verschärft haben, wird erst die Geschichte zeigen, so in 100 Jahren können wir das dann sicher beurteilen. Auf jeden Fall war es, aus marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, eine absolut unzulässige Einmischung des Staats in den Markt. Sobald ein Teilnehmer der Marktwirtschaft nicht mehr bankrott gehen kann, handelt es sich nicht mehr um eine Marktwirtschaft, sondern um eine Planwirtschaft eines undurchsichtigen Konglomerats aus Staatsspitzen, Organisationen und Banken.

2. Das Sparen
Die aktuelle Krise sei ein Resultat einer „blinden Sparpolitik“.

Eine „blinde Sparpolitik“? Tatsächlich wurde doch, das zeigen alle Statistiken, in fast keinem der westlichen Staaten gespart. Jeweils am Ende des Jahres, was auch immer passierte, vermehrte der Staat seine Schulden. Falls es sowas wie eine Sparpolitik gegeben haben sollte – in der Realität ist sie nicht angekommen.

Das Resultat der Krise ist die Folge von Misswirtschaft der verantwortlichen Politiker in der Exekutive, und zwar von linken wie auch von rechten. Wer Schulden macht und sie irgendwann nicht mehr zurückzahlen kann, macht Pleite. Die Steuern zahlende Wirtschaft hat damit nichts zu tun, das ist die Einnahmenseite. Vielmehr muss sich die Ausgabenseite, also die Politik, an den Einkünften orientieren und kann nicht einfach Geld verschwenden, als gäbe es kein Morgen. Doch das hat sie getan, sei es, um übertriebene Wahlversprechen zu erfüllen, aus Verantwortungslosigkeit oder aus Unfähigkeit.

3. Konjunkturpakete
Seibt schreibt:

Nach ersten, zaghaften Konjunkturprogrammen schnitten die USA und Grossbritannien die Ausgaben bald zurück (…)

Zaghafte Konjunkturpakte? Ich weiss nicht, in welchen Kategorien Seibt denkt, aber das Obama-Konjunkturpaket von 2009 in der Höhe von 790 Milliarden US-Dollar würde ich jetzt nicht als zaghaft, vielmehr als gigantisch bezeichnen. Zur Erinnerung: Konjunkturpakte sind Eingriffe des Staates in den Markt, die eine Belebung der Wirtschaft zum Ziel haben. Verwendet wird dafür Geld, das vorher unter Zwang (wir nennen es Steuern) der Wirtschaft weggenommen wurde.

Ob zaghaft oder nicht, erfolgreich war das Konjunkturpaket nicht. Obwohl der Staatshaushalt massiv in Schieflage war, verschuldet hat das zu einem guten Teil George W. Bush, verwendete Obama diese Gelder – für die neue Schulden aufgenommen werden mussten und jetzt wieder eingespart werden müssen. Derzeit denkt man in den USA über ein Sparpaket in der Höhe von 2400 Milliarden US-Dollar nach.

Nochmals: 2009 hat die USA 800 Milliarden Steuergelder „in die Wirtschaft investiert“. Nun muss sie 2400 Milliarden einsparen. Eine Rechung, die nicht aufgeht. Wie fast immer, wenn keynesianische Rezepte angewendet werden.

4. „Der rechte Abschied von der Politik“
Kommen wir zum Titel, für den vermutlich gar nicht Seibt, sondern das boulevardeske Online-Portal, das seine Zeitung bewirtschaftet, verantwortlich ist.

Weder die SVP noch die Tea Party verabschieden sich von der Politik. Sie sind lediglich in der Opposition und sagen „Nein“ – ein komplett legitimes Vorgehen in der Politik. Ob die Regierungen nun aus Sozialisten, Sozial- oder Christdemokraten, Grünen oder sogenannten „Konservativen“ (was auch immer das ist) bestehen und bestanden – sie sind verantwortlich für die Aufhäufung der Schulden. Nicht die Opposition. Nicht die Wirtschaft.

Wenn die „Formsache“ der Anhebung der Schuldenobergrenze in den USA seit 1962 74x stattgefunden hat (in den letzten zehn Jahren 10x), wird es vielleicht mal Zeit, dass jemand diese Strategie ernstlich hinterfragt. Denn auch wenn es nochmals gelungen ist, den Bankrott zu verhindern, so ist er doch nur vertagt. In den Vereinigten Staaten wie in Griechenland, das gilt für jedes Land, das dauerhaft mehr ausgibt als einnimmt.

Allen Freunden des Staates, und davon gibt es unter den Linken und in Deutschland bedauerlich viele, möchte ich zu bedenken geben, dass ein Staat, der pleite ist, gar nichts mehr vermag. Er kann keine Löhne mehr zahlen, keine Renten, keine Sozialabgaben, er kann keine Schulen mehr unterhalten, keine Bibliotheken mehr bewirtschaften. Und nicht nur das, er kann auch keine Ordnung mehr aufrecht erhalten, Anarchie bricht aus, Gesetze werden hinfällig.

An einer nachhaltigen Sparpolitik sollten also gerade die Linken ein grosses Interesse haben. Sparen, den Staat zurückbauen und am Ende weniger Steuern für den Bürger verlangen wollen die von den Linken und den Medien so gerne als rechtspopulistisch bezeichneten Parteien und Gruppen wie die SVP oder die Tea Party. Seit Jahren.

Ein bankrotter Staat zerstört alle bürgerlichen Errungenschaften. Es reicht nicht, dauernd nur zu rufen, der Staat dürfe nicht bankrott gehen. Man muss auch etwas dagegen tun. Opfer wird die nächste Zeit so oder so fordern.

Siehe dazu auch: „Crash Coming“ vom 5. Juni 2011 und „Am Vorabend der tatsächlichen Krise“ vom 7. Juli 2010.

Nachtrag, 5. September 2011: Charles Moore äussert sich in einem Interview zu seiner Kolumne und zum Satz „I’m starting to think that the Left might actually be right“.

27 Gedanken zu „Ein Staat, den wir uns nicht leisten können“

  1. Jetzt bist du aber gerade selber in die von Seibt aufgezeigte Falle der im Artikel beschriebenen Rechten gefallen: Ihre konsequente Weigerung überhaupt Politik zu betreiben, begründet ja ihren Abschied aus ebendieser Politik.

    Beispiel Tea Party: Gegen jegliche weitere Steuererhöhungen aber gleichzeitig das Verteidigungsbudget nicht antasten.

    Beispiel SVP: Damals für die Bilateralen als Alternative zum EU-Beitritt, jetzt ebendiese rigoros bekämpfen.

    In beiden Fällen ist mit Leuten, die solch intransingente Positionen vertreten keine Politik mehr zu machen.

  2. Guter Blogartikel. Zu ergänzen wäre, dass Herr Seibt bei seiner Analyse von mehreren politischen Dogmen ausgeht, die höchst umstritten sein dürften (oder zumindest sein müssten):
    -Mehr Politik ist immer bessere Politik.
    -Es gibt eine bessere Welt als die jetzige und sie zeichnet sich durch weniger Markt aus.
    -Der Staat ist die Super-Nanny der Gesellschaft. Die Super Nanny weiss wie der Hase läuft, was gut und böse ist und wie man das, was kaputt ist, repariert.
    -Tea-Party Politiker sind entweder böse oder dumm und sie betrügen die eigenen Wähler.

    Trotzdem ein sehr guter Artikel, Herr Seibt. Methode „Weltwoche“ auch von Links heißt die Parole. Im Ernst.

  3. @ Ars Libertatis

    Wenn ich diese Definition lese

    „Politik muss also Regeln für das Zusammenleben entwickeln (und laufend anpassen), an die sich alle halten müssen (Verfassung, Gesetze). Politik hat mit den unterschiedlichen Interessen von Menschen in einem Gemeinwesen zu tun, muss sie deutlich machen, aber zugleich auch dafür sorgen, dass die Durchsetzung von Interessen gewaltfrei verläuft und den inneren Frieden des Gemeinwesens nicht aufs Spiel setzt.“

    dann verweigern sich genannte Gruppierungen eben genau diesem inneren Frieden. Eigene Interessen werden ohne Abstriche unter in Kaufnahme von schwerem Schaden für das Gemeinwesen durchgedrückt. Das hat in seiner absolution Art etwas erpresserisches.

  4. Heute passend dazu auf LewRockwell.com gelesen:

    „What has the state brought us? What has been accomplished due to our political system these past two hundred plus years?

    Standing armies
    Continuous war and mass murder
    […]
    Eminent Domain
    Central banking […]
    Destruction of our money
    The “War on Drugs”
    […]
    Killer Drones
    Guantanamo Bay
    Torture
    Rendition
    Police brutality
    Imperialism
    Wiretapping and spying
    Illegal searches
    Bailouts
    Monopoly
    Recessions
    Depressions“

  5. Was mir in der Diskussion zu kurz kommt: Die USA haben nicht in allererster Linie ein Schuldenproblem, sondern ein Politikproblem. Die Höhe der Schulden liesse sich abbauen: Durch Sparen, durch Steuererhöhungen, durch Gelddrucken, durch Privatisierungen.

    Das ist in der Vergangenheit unter Clinton passiert und kann auch wieder passieren. Das Land ist nicht strukturell überschuldet und kann sich aus eigener Kraft befreien (Starke, innovative Wirtschaft). Hinzu kommt, dass die USA (anders als Griechenland) nicht in einen komplexen Währungsverbund eingebunden ist, sondern Möglichkeiten hat, die Wirtschaft auch über die Notenbank zu steuern.
    Die reine Höhe der Schulden spielt auch nicht die wichtigste Rolle, sondern vor allem das Verhältnis von Schuldenhöhe zum BIP.

    Das Hauptproblem in den USA ist eben die extreme Rechte (nicht die Konservativen), die „Politik als Kunst des Machbaren“ nicht verstanden hat.

    Das Gegenbeispiel für erfolgreiche Politik ist (neben der Schweiz) Deutschland: Unideologische Poltik von Schröder und Merkel, mal Steuersenkungen, mal Erhöhungen, mal Sparpakete und soziale Einschnitte, mal Investitionen. So macht man erfolgreich Politik. Resultat: Niedrige Arbeitslosigkeit, niedrige Neuverschuldung. Pragmatisch statt dogmatisch, vernünftig statt hasserfüllt.

  6. Ich finde es nicht hilfreich, die amerikanische Militärpolitik, ihre politische Rechtfertigung und die Finanzierung derselben (auf Pump) aus einer Auseinandersetzung mit diesen Thema herauszuhalten. Die ist Ausdruck eine Weltmachtanspruchs, den sich das Land wirtschaftlich gar nicht leisten kann. Folge: Ein erheblicher Teil der Staatsschulden gehen auf diesen Posten.

    Ich finde es ebenfalls nicht hilfreich, die strukturelle Krise der USA zu verharmlosen, die ganz und gar nicht auf die Politik und die Regierenden zurückgeht, sondern allein auf die ungebremsten Marktmechanismen, die den ständigen Export von Arbeitsplätzen in alle Welt produzieren und global operierenden Firmen viele Möglichkeiten offerieren, ihre Steuern gar nicht oder woanders zu bezahlen.

    Ich habe nicht während der Weimarer Zeit gelebt, aber lebe heute in den USA. Die Ähnlichkeiten, die ich aus der historischen Analyse ableiten kann, sind frappant. Über einen besonderen Aspekt habe ich neulich geschrieben: die Retardierung der politischen Kultur in den USA am Beispiel der Fixierung der Rechten auf die wortwörtlichen Formulierungen in der Verfassung. Der Artikel erschien in der Frühjahrsausgabe ded politischen Kulturmagazins „Die Gazette“ (http://www.gazette.de/) und wurde hier im Netz vorabveröffentlicht: http://ralfschwartz.typepad.com/mc/2011/04/gazette-kalwa-verfassung-der-usa-in-haenden-der-rechten.html

  7. Himmel, Herr Grob! Kaum kennen wir uns, schon streiten wir schon. Aber so läuft das. Erst hauen Sie mir meine Argumente um die Ohren, dann ich Ihnen Ihre Argumente, und das nennt sich Debatte und zivilisiert die Welt ungemein und hält einem jeden die Ohren flach.

    Doch damit zur Sache.

    1. Die Ursache der Krise

    Schon beim ersten Absatz fragte ich mich, in welcher Welt leben Sie ausser in Berlin und im Netz? Und kam darauf: Mon Dieu – Sie sind ein Idealist. Denn Sie leben im Lehrbuch.

    Sie können doch nicht einfach die Bankenrettung ausklammern und mit einem Federstrich für Planwirtschaft erklären. Also als eigentlich nicht existent. Und damit den grössten, boomendsten, am meisten veränderten Sektor letzten drei Jahrzehnte für nicht mehr dem Kapitalismus zugehörig erklären.

    Denn ihr Modell von Kapitalismus ist naiv. Geld, richtig grosses Geld, existiert nicht neutral vor sich hin. Es hat Macht, politische Macht (Lobbying, liberale Institute, Verbände, Medienkontakte und einen ausgebauten internen Hofstaat) und ideele Macht (die Macht des Erfolgs). Und für diese Macht kauft es sich Privilegien – Gesetze, Marktvorteile und eben auch im schlimmsten Fall einen Bailout. (Ganz einfach durch Erpressung, weil sein Untergang so viele andere Marktteilnehmer in den Abgrund reissen würde.)

    Und gerade das war und ist das Problem beim Bankensektor. Er hat sich in den letzten 30 Jahren derart aufgebläht, dass er der Realwirtschaft nicht mehr dient, sondern sie dominiert. Und diese Monsterwachstum konnte er aus keinem anderen Grund machen, denn aus stetig gestrichenen Regulierungen. (Die dann, in logischer Konsequenz eben zu der „Planwirtschaft“ der Bankenrettung führte, die Sie monieren.)

    Und dann: Haben Sie mitbekommen, was 2008 nach der Lehman-Pleite für eine gefährliche Situation herrschte? Und wenn ja: Würden Sie – rein aus Prinzipienwahrung – das Finanzsystem über die Klinge springen lassen? Mit allen Konsequenzen: Panik bei Sparern und Anlegern, die auch noch die gesunden Banken vernichten, versiegenden Bankomaten, gestoppten Handel, zusammenbrechenden Unternehmen, vernichteten Sparguthaben?

    Ja, der Bailout war eine hässliche Sache. Und ich finde Grossbanken wenig sympathisch. (Die übrigens wie alle Konzerne riesige Bürokratien sind, kein bischen besser als der Staat, aber weniger transparent, also angreifbar.) Aber es war ein Akt alternativloser Vernunft, Sie zu retten.

    Nur hätte man die Giganten danach zerschlagen oder zumindest fesseln müssen – um wieder solide, langweilige Banken zu schaffen.

    2. Das Sparen

    Sie reden hier von einem Staat, als sei er eine Firma. Dabei gilt für ihn, dass seine erste Pflicht ist, die Lebensbedingung für seine Bevölkerung optimal zu gestalten. Was nur sehr kluge Firmen machen. Aber auch diese können im Krisenfall Leute entlassen, der Staat nicht.
    Und weil der Staat nicht seine Bürger auf die Strasse stellen kann, ist Sparen in der Krise ein gutes Rezept für Firmen. Aber für den Staat ein tödliches Rezept. Denn mangelnde Investitionen – in Schulen, Verkehr, junge Branchen, Sicherheit, Verwaltung, etc. – killen schon in guten Zeiten die Einnahmen. Und die steigen schnell, wenn die Konjunktur brummt.
    Und die Ausgaben steigen sehr schnell, wenn sie es nicht tut: Arbeitslose sind verdammt teuer.
    Natürlich gibt der Staat – wie jede Grossorganisation – sehr viel Geld für Unnötiges aus. Und sollte aufs Budget achten. Aber noch verheerender ist es, wenn die Infrastruktur zerfällt, die Sicherheit (und dazu gehört auch das Sicherheitsgefühl für ein soziales Netz), und die Bildung nicht mehr gewährleistet ist, etc. Denn das alles ist nicht Luxus, es ist Notwendigkeit: um das Geld wieder in die Kasse zu bekommen. Schulden sind nicht ein wirklich bedrohliches Problem für den Staat. Arbeitslosigkeit ist es.
    Aber wenn sie darauf beharren: die Regierung von Somalia hat sicher vorbildlich niedrige Ausgaben.

    3. Konjunkturpakete

    Sicher, das US-Paket von 790 Mrd Dollar wirkt auf den ersten Blick gigantisch. Aber es war gross, nicht gigantisch. Erstens neben den 2000 Milliarden, die ins marode Finanzsystem geleitet wurden. Und zweitens bestand etwa die Hälfte, des politischen Friedens willen, aus Steuersenkungen. Diese sind zwar für die Betroffenen erfreulich, begünstigen aber logischerweise vor allem die reicheren Schichten. Und diese sind in den USA gut versorgt- das reichtste Prozent der Leute mit 24 Prozent des Einkommens. Und die grossen Konzerne, die fast alle prall gefüllte Kassen haben.

    Das Problem in den USA wurde in der Krise der Konsum. Dutzende Millionen verloren den Job, dutzende Millionen das Haus, Hunderte Millionen die Kreditwürdigkeit. Diese Leute brauchten Cash, um ihn wieder auszugeben. Sie bekamen nur ein schmales Rinnsal an dem Geld.

    Der Witz bei Konjunkturpaketen ist, dass sie derart atemberaubend gross sein müssen, dass sie knallen. In einer Situation, wo niemand mehr investiert – nicht die Banken, weil sie Pleite sind, nicht die Konsumenten, weil ebenso, nicht die Konzerne, weil sie keine Kunden mehr haben – in dieser Situation bleibt nur der Staat, um den Motor wieder anspringen zu lassen. Und zwar mit einem derartigen Schub, dass Leute und Firmen wieder Vertrauen in eine goldene, fette, unmoralische Zukunft fassen.

    Sonst sparen alle. Und sparen sich alle gegenseitig tot. (Sie schnallen quasi den eigenen Gürtel immer enger um den Hals der anderen und ersticken gleichzeitig am engen Gürtel von diesen – solche Dinge sind in der Oekonomie möglich.)

    Und obwohl es nicht ausreichend war, ganz erfolglos war das Konjunkturpaket auch nicht. Es liess eine paralysierte Wirtschaft wieder anspringen. Es war aber nicht gross und lang genug. Obama wiederholte den Fehler von Roosevelt, der 1933 mit eine Kraftprogramm die verarmte USA aus dem Sumpf holte, dann aber 1937 die Budgets diszipliniert, aber zu früh wieder strich – worauf die Krise wieder anrollte.

    Und was das Budgetproblem in den USA betrifft – mit 24% haben die USA die drittniedrigste Staatsquote der Welt. Und zwar deshalb, weil die wirklich Reichen und die grossen Konzerne dank scheunentorgrossen Schlupflöchern nur noch wenig besteuert werden. Diese – im neoliberalen Lehrbuch für eine goldene Zukunft garantierende – Staatsquote führt zu den zerfallenden Schulen, Brücken, Strassen, Städten – und auch zum jetzigen Schuldenproblem. (Das übrigens nicht so existieren würde ohne die Erpressung durch den republikanischen Kongress. Denn die Analyse der Märkte war klar: Die Zinsen für US-Obligationen bewegten sich bis vor wenigen Wochen auf fast rekordtiefem Niveau. Nein, die USA hat primär kein Schuldenproblem, sondern ein Jobproblem. Durch zuwenig Investitionen. Und sie hat ein chronisches Steuerproblem: Dadurch, dass eine Partei eine moderate Lobby der Reichen ist und die andere eine fanatische Lobby.)

    4. Der Abschied der rechten von der Politik

    Klar, NEIN zu sagen, ist eine legitime Position. Intellektuell sicher. Aber auch dort – wenn einem Abschlung lieb ist – nicht im Prinzip. Und schon gar nicht legitim ist ein Dauernein, wenn man in der Politik ist. Denn dies ist ein schmutziges Business – eines der Gelegenheiten, Kompromisse, kleinen Übel.
    Grosse Politiker haben nie gezögert, Teile ihres Programms über Bord zu werfen, wenn es die Wirklichkeit verlangte. Der Protestant Henri IV ging zur Messe, der als Pazifist angetretene Roosevelt zog in den Krieg, der Linkenfresser Churchill holte Labour in sein Kabinett, der eiserne Kanzler Bismark erfand in Deutschland den Sozialstaat, der Guerrilla-Kämpfer Mandela versöhnte sich mit seinen Wärtern.

    Grosse Kapitäne verraten Ihre Prinzipien, kleine klammern sich an sie wie Treibgut im Meer.

    Und damit zu ihrem Staatsmodell: Nein, der Sinn des Staates ist nicht, auf Teufel komm raus Steuern und Ausgaben zu kürzen. Und in der Krise ist diese Idee sogar der beste Weg in den Bankrott.

    Sinn der Politik ist ein vernünftiges Gemeinwesen zu schaffen – und das schafft man nicht, indem man mit der Axt regiert, mit einem einzigen simplen Rezept. Sondern durch Abwägung. Die Alternative heisst nicht: Kapitalismus oder Sozialismus, Staat oder Markt, Planwirtschaft oder Gesetzlosigkeit. Sondern möglichst individuelle Lösungen für individuelle Probleme zu finden. Sparen in der Krise ist verheerend, im Boom vernünftig. Starke Regulierungen für KMUs Unfug, für Grossbanken und andere Atomkraftwerke bitter nötig. Investitionen in Flieger bringen weniger als die in Schulen oder Technologie. Steuerwettbewerb bringt weder Mehreinnahmen noch glückliche Bürger, wenn die Reichen schliesslich – wie in Zug – die normal verdienende Bevölkerung aus dem Kanton drängt, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können. Hohe Boni und sehr tiefe Steuern erhöhen nicht die Loyalität von Menschen; interessante Jobs, funktionierende Gemeinwesen schon.

    Kurz: Sie sind ein Romantiker, der von dem eigenen Nachnamen inspiriert ist, Herr Grob. Nein, in der Politik geht es nicht darum, harte Massnahmen zu ergreifen, weil „die Zeit“ „Opfer fordert“. Sondern biegsam und smart zu sein, so dass so wenige als möglich entstehen. Es geht darum, einen intelligenten Kapitalismus zu erfinden – und das je nach Lage immer wieder neu.

    Sogar in der Krise. (Ein smarter, kapitalistischer Ausweg wäre beispielsweise eine massive Investition in grüne Technologien, aber machen wir Schluss.)

    PS: Tja, und jetzt gehe ich auch meine Ohren wieder suchen, weil ich so lang herumgetiipt habe ohne sie zu brauchen. Irgendwo neben den Haaren müssen sie noch sein. Denn wie sagte mein Grossvater gerne: Köpfe sind sehr praktisch, besonders als Ohrenhalter.

    Alles weitere bei einem Kaffee, irgendwann, wenn es in Zürich zu regnen aufhört.

  8. Gute Antwort von Herrn Seibt an Herrn Grob und überhaupt guter Artikel im Tagi – zumindest, was die USA betrifft. Die implizite Gleichung Tea Party = SVP ist mir dann doch etwas zu steil, auch wenn einzelne Parallelen da sind.
    Und die Schlussfolgerungen, was zu tun sei, überzeugen mich schon gar nicht. „Genau hinzusehen und das Wahlkampfgerede der Rechten nicht einfach zu kopieren“. „Es wird ein langer, harter, zäher, frucht- und freudloser Kampf.“ Was soll denn das? Wer überzeugt ist, dass er die richtigen Antworten auf drängende Probleme hat, kann doch mit Freude und Lust dafür kämpfen und argumentieren. Das Problem ist doch einfach, dass die Linke derart desorientiert ist und sich an längst vergangene gewerkschaftliche Positionen klammert, dass sie nicht einmal Steilvorlagen wie eine Banken- und Wirtschaftskrise in politische Erfolge ummünzen kann.
    Was mich ausserdem immer wieder verblüfft hat: Wie zahm die Medien inzwischen geworden sind – Das Gebaren der Banken in den letzten Jahren ist ein derart monstermässiger Skandal, eine so unfassbare Riesenfrechheit, dass etwas mehr öffentliche Empörung weiss Gott angebracht gewesen wäre. Die Empörung im Volk und die Strassenschlachten entstehen, sobald es wirtschaftlich spürbar nidsi geht… Das kommt jetzt dann.

  9. @Constantin Seibt: Vielen Dank für die ausführliche Rückmeldung. Es freut mich immer wieder, wenn sich Printjournalisten im Web beteiligen, an Debatten teilnehmen, ihre Artikel verteidigen.

    Zuerst zu etwas, das mir spontan aufgefallen ist:

    Und was das Budgetproblem in den USA betrifft – mit 24% haben die USA die drittniedrigste Staatsquote der Welt.

    Ich glaube, das stimmt nicht mehr, die NZZ jedenfalls schrieb am 6. August:

    Die Staatsquote der USA, also der Anteil der Staatsausgaben an der Wirtschaftsleistung, ist gemäss dem Internationalen Währungsfonds (IMF) im Krisenjahr 2009 auf 43,5% gestiegen.

    Zur Zerschlagung der Banken in Teile, die untergehen dürfen: War es nicht ein Trio aus Links, Wirtschaft und Rechts (Christian Levrat, Nicolas G. Hayek, Christoph Blocher), das 2009 vom Bundesrat gefordert hat, das „Too-Big-To-Fail“-Problem ernsthaft anzugehen? Während sich alle einig sind, dass es so nicht weitergehen kann, passiert konkret kaum etwas. Nicht in der Schweiz, nicht in anderen Ländern. Was seltsam ist, denn ich glaube, für vernüftige Regulierungen in diesem Bereich gäbe es eine Mehrheit.

    Zum Idealismus: Wir haben in Europa eine Zeit von Regierungen hinter uns, die fast alle bedingungslos zum Sozialstaat stehen, also umsetzen, was sozialdemokratische Parteien seit Beginn ihrer Existenz fordern. Geklappt hat das, aber es hat auch Kosten verursacht, die offenkundig nur mit der Aufnahme von Schulden zu bewältigen waren. In Deutschland macht der Posten „Arbeit und Soziales“, zählt man noch den Posten „Familie“ dazu, fast die Hälfte aller Ausgaben des Staats aus. Weitere 12.2 Prozent! gehen für Schulden drauf (diesen Posten könnte man nicht mal tilgen, wenn man die Verteidigung, 10.3%, abschaffte). Ich habe keine Ahnung, wie Deutschland, allgemein als ein solider Staat angesehen, da jemals wieder gesund rauskommen soll. 3.6% des gesamten Budgets frisst alleine die „Allgemeine Finanzverwaltung“ auf.

    Meine Vorstellung des Staats ist, dass er seinen Bürgern nur das anbietet, was er auch finanzieren kann. „Idealistisch“ ist es doch, Geld auszugeben, über das man gar nicht verfügt, nur weil man einer bestimmten Idee nachhängt (nämlich jedem Bürger, wenn er das denn beansprucht, nicht nur Suppe und Brot und ein Dach über dem Kopf, sondern noch einiges mehr zu finanzieren).

    Was die unglaublich kostspieligen Bankenrettungen angeht, müssen wir ja nicht diskutieren, da bin ich ganz Ihrer Meinung:

    Ja, der Bailout war eine hässliche Sache.

    Und wenn mir schon beim Sparen sind und beim Unabdingbaren, das ein Staat zu leisten hat. Hier in Berlin muss die Polizei auch schon mal abziehen, wenn sie eine Verhaftung vornehmen will, weil die Gegenseite per Handy kurz mal eine Hundertschaft zusammentelefoniert. Diese Möglichkeit steht der Berliner Polizei nicht mehr in jedem Fall offen, aus Spargründen.

    Ich danke nochmals für den Kommentar und freue mich auch bei zukünftiger Gelegenheit auf eine Beteiligung.

  10. Die Debatte ist gut. Grossartig sogar.

    1. Ja der Bankensektor hat sich aufgebläht. Genau wie die staatlich aufgeblähte Geldmenge. Ersteres ist die Wirkung, die staatliche Geldpolitik (und nicht der Kapitalismus oder die Gier) die Ursache. Ohne lasche Geldpolitik sind die katastrophalen Auswirkungen mangels „Material“ nicht denkbar.

    2. Der Staat hat die Pflicht, die Lebensbedingungen optimal zu gestalten? Wo steht das denn so? Im Parteiprogramm der SP? Die keynesianische Nachfragestimulierung auf Kosten kommender Generationen ist ein Teil des Problems – und damit kein Teil der Lösung. Schulden sind kein Problem für den Staat? Tatsächlich? gerade in diesen Tagen eine spannende Behauptung.

    3. Gespartes Geld bleibt im Wirtschaftskreislauf (ausser man spart unter der Matratze). Dass Sparen schlecht sei, ist wieder so ein längst widerlegter keynesianischer Irrtum. Ursprünglich ging es ja um die Behauptung, dass die Politik spare, und das bleibt durch Ronnie Grob widerlegt. Die Staatsausgaben steigen ungebremst.

    4. Möglichst individuelle Lösungen für möglichst individuelle Probleme. Great. Das schaffen wir doch am Besten, wenn jede Person weitgehend für sich selber verantwortlich ist und seine individuellen Lösungen für seine individuellen Probleme sucht. Das schaffen wir sicher nicht durch ein wie auch immer ausgestaltetes Kollektiv. Back to Kant. Weg mit der voraufklärerischen Bevormundung – sei es durch Kirche oder heute durch den Staat. Wer in Not gerät, dem wird geholfen. Der Rest erledigen die kreativen Kräfte der Menschen, der „pursuit of happiness“ und keine mir bekannte staatliche Förderung dieser Welt.

    Für mich ist klar, wer da der Romantiker ist.

  11. Heja! Nur ganz kurz: Die Staatsquote habe ich aus:
    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,778041,00.html
    Die Zahl wird in Blogs auch schon wieder bestritten: ein Problem, dass wir alle haben, die wir mit Zahlen um uns werfen: Wer misst das? Und was eigentich? Dabei sehen Zahlen so erfreulich hart aus.
    Klar ist jedenfalls, dass eine Staatsquote in der Krise immerrasant steigt. (Was wie gesagt der Vorteil von Unternehmen ist: die Entlassenen sind nicht mehr ihr Problem.)

    Aber was Zahlen und ihre Interpretation angeht ist eine der peinlichsten Fragen an alle ist immer: Wem traust du? (Und gehört dein Gehirn eigentlich dir oder ist es eine Kammer, in der lauter tote Philosophen durcheinanderspuken?)

    Nur kurz noch was zu Print- und Onlinejournalisten. Keynes sagte einmal (auch wenn selbst diesen Satz sicher irgendein östterreichischer Oekonom bestritten hat): On the long run, we’re all dead. Und ich füge hinzu: Auf lange Sicht sind wir alle Onlinejournalisten. (Auch wenn ich natürlich im Geheimen überzeugt bin, ewig zu leben.)

    Und an Herrn Feusi: Ich fürchte, Sie sind so romantisch, dass Hollywood Sie bald verfilmen wird.Und das mit grossem Erfolg.

  12. @Constantin Seibt:

    In dem Spiegel-Artikel geht es um die Steuerquote. Die Steuerquote, die Abgabenquote und die Staatsquote sind meines Wissens drei unterschiedliche Dinge, die nicht vermischt werden sollten.

  13. @Constantin Seibt: Ich glaube, der Unterschied lässt sich klären. Auf „Spiegel Online“ ist vom „Anteil der Steuereinnahmen an der Wirtschaftsleistung“ die Rede, die NZZ schreibt vom „Anteil der Staatsausgaben an der Wirtschaftsleistung“. Einnahmen, Ausgaben, dazwischen die grosse Lücke, das ist das Problem, das wir besprechen. „Staatsquote“ als Begriff ist nicht genau definiert, was es misst, das steht jedenfalls bei Wikipedia. Man kann also beides verwenden, wichtig ist nur, dass man vom Gleichen spricht.

    Was die Verwirrung der Zahlen angeht, kann Ihnen jeder beipflichten, der schon mal für den Beweis eines Fakts in Statistiken gewühlt hat, zum Beispiel auf vom Staat bereitgestellten Websites. Das ist alles nicht so einfach, auch, weil es selten in einer leicht verständlichen und leicht weiter zu verarbeitenden Form aufbereitet ist. Und man ist gezwungen, der Richtigkeit der bereitgestellten Zahlen zu vertrauen.

    „Auf lange Sicht sind wir alle Onlinejournalisten.“

    Sehr richtig, daran führt kein Weg vorbei. Vielleicht können Sie diesen Satz in der Redaktion noch ein paar Mal wiederholen oder beiläufig fallen lassen? Da wäre ich Ihnen sehr verbunden.

  14. Der Staat soll also sparen. Klingt gut. Sparen heisst, weniger auszugeben. Versteh ich. Sparen von rechts heisst aber gleichzeitig: Steuergeschenke für Firmen und Grossverdiener. Weniger ausgeben, weniger einnehmen – so baut man keine Schulden ab, sondern nur den Staat.

    Ronnie und die von ihm zitierten Parteien tun so, als könnten Finanzen nur durch zu hohe Ausgaben in die Schieflage kommen. In seiner Replik streift Ronnie ein Gegenbeispiel, als er erwähnt, dass der Schuldenberg der USA zu einem guten Teil von George W. Bush verschuldet wurde. Man sollte hier anfügen, wie er das geschafft hat. Nämlich nicht nur durch zu hohe Ausgaben (namentlich für zwei Kriege), sondern eben auch durch entgangene Einnahmen als Folge von Steuererleichterungen für die lucky few.

    Das Vorgehen ist perfid: Man versucht die Folgen einer Politik der Deregulierung als Versagen des Staats umzudeuten, um wiederum mit rechten Rezepten hausieren gehen zu können.

  15. Klaus Wellershoff (Ex-Chefökonom der UBS) sprach die Steuerquote der USA im 10vor10 Interview auch an: Sein Vorschlag: Die rekordtiefen Steuern anheben, dann sei das Staatsdefizit gedeckt. Aber eben, die Tea-Party weiss das ja zu verhindern.

  16. Re David: Um das geht’s letztlich. Die Hintermänner der Tea Party Rechten wollen keinen Staat und es ist ihnen jedes Mittel recht diesen zu Zerschlagen. Ich frage mich bloss was sie mit ihrem Geld dann machen wollen. In einer zerstörten Welt in ihren Gated Community Oasen leben zu wollen, stelle ich mir schrecklich vor.

  17. Lieber Ronnie
    Lange nicht mehr gehört oder gelesen…

    Wir sind ja fast nie einer Meinung, aber dass Du auch nicht Monopoly spielen kannst, wusste ich bis heute nicht.
    „Jeder, der schon mal Monopoly gespielt hat, weiss, dass das Spiel ewig weiterlaufen kann, wenn alle Teilnehmer etwa gleich gut spielen.“
    Aber aber – Ronnie. Wer Zürich Paradeplatz hat gewinnt und wer auf Chur Kornplatz sitzen bleibt verliert. Basta. Wer was bekommt, ist Resultat von Würfelglück und hat rein gar nichts mit gut spielen zu tun.

    Wobei wir mitten drin in Deinem – Nicht-mal-richtig-ins-Lehrbuch-geschaut-Kapitalismus-und-Staatsverständnis wären.

    Die versöhnliche Nachricht vorweg – ich bin Deiner Meinung, was die Staats-Schulden angeht. Sie sind asozial.
    (Hier dazu ein Artikel aus 2004 als pdf: http://www.badran.ch/wort-und-bild/publikationen.php) – nach unten scrollen, sorry. Als Finanzpolitikerin halte ich es erfolgreich mit der uralten Hausfrauenweisheit: Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not.

    Aber Mister Grob – Schulden sind nicht gleich Schulden sind nicht gleich Schulden. Es ist nicht einfach so, dass ALLE Staaten Defizite machen, um über ihre Verhältnisse zu leben, was Deiner Meinung ja in umgekehrter Form schon Staatszweck ist. Gerade Irland und die USA haben Schuldenfinanzierte Steuersenkungen durchgeführt. Schon vergessen? Irland als Tiger in Europa: Mit gewaltigen Steuersenkungen und erlassen Firmen angelockt und ihnen auch noch die Infrastruktur hingestellt. Ein typisch neoliberales Rezept – Steuern Senken resp. erlassen – dann kommen die Firmen und es wird mehr Investiert und zum Schluss gibts mehr Steuereinnahmen. Völlige Fehlanzeige. 1. Hatte der Staat mehr Aufwendungen als er durch zusätzliche Steuern je reingeholt hätte (passiert übrigens auch in der Stadt Zug: die zusätzlichen Steuereinnahmen decken die Kosten für neue Schulen,ÖV,Spitäler, Erschliessung, Betreuung etc. bei weitem nicht.)Die generierten Gewinne der Firmen durch die Steuerentlastungen oder gar Erlasse flossen mittelfristig in die unproduktiven Kapitalmärkte und nicht in zusätzliche Jobs oder in gigantische Überschusskaufkraft von Wenigen. Finanziert haben das Ganze die Banken mit billigem Geld und fett daran risikolos verdient mit einem mehrwertlosen Zinsdifferenzgeschäft (was für ein Businessmodell!). Zusätzlich verschukdet hat sich Irland dann bei der Rettung der maroden – auf Spekulationen (u.a. Immobilien) getrimmte Bankenlandschaft. Erst durch die steigenden Zinsen, an denen die Banken mit ihrem Länderdomino nochmals kräftig (und risikolos) verdienten wurde alles erst richtig zu einem fetten Problem. Die Schulden sind also nicht durch Böse Ausgaben in einen fetten Sozialstaat entstanden, sondern durch Befolgen von Neoliberalen Wirtschaftspolitik-Rezepten (gilt genau so für die USA). Bei Griechenland, Portugal, Deutschland sieht es je wieder total anders aus. Fakt aber ist, dass in all diesen Ländern Kapital massiv entlastet wurde und Arbeit und Konsum belastet wurden. Anders gesagt; ein stagnierender Mittelstand und eine kleine Spitze, die den grossen Teil des Kuchens bekommt.
    (wusstest Du, dass der bestverdienende Hedgefonds-Manager letztes Jahr 3,8 Millarden „verdient“ hat?)

    In den guten Zeiten muss man eben tatsächlich sparen (terminus technikus für intertemporale Verschiebung des Konsums, den du übrigens laufend falsch brauchst: Du meinst immer Kosten resp. Auswandsenkung, sagst aber sparen)damit man in schlechten Zeiten ausgeben kann und MUSS. Denn der Staat kennt ja selber keine Konjunktur. Die Spitäler halten sich nicht an die Zyklen, ebenso nicht Schulen, Altersheime und Unis. Im Gegenteil, mit Zeitverschiebung steiegn die Kosten der Sozialhilfe. Der Staat kann ungleich einer Unternehmung nicht einfach runterfahren.
    Wieso in aller Welt denn viele Staaten (auch die Schweiz, ausser die Stadt Zürich..sic)die Überschüsse nicht zur Seite legen (eben echt sparen), sondern überall Steuersenkungen explizit fürs Kapital machen ist das Resultat eines erbarmungslosen und völlig unnötigem Race to the Bottom Standortwettbewerb und vor allem eines neoliberalen Glaubensbekenntnis, dass der Staat böse, die Lafferkurve immer gilt auch wenn man links vom Buckel ist, Steuersenkungen Investitionen ankurbeln (Blödsinn!)….und was weiss ich noch für religiös überhöhte Plattitüden.

    Übrigens Ronnie – man kann nicht sagen, dass ein Konjunkturprogramm nicht funktioniert hat, denn man weiss einfach nicht wie es ohne gewesen wäre. Ich gebe zu – ein Abwrak-Prämie ist keine wirklich gute Idee, aber Infrastuktur-und Technologie-Investitionen sind es schon. Relevant ist, dass die Kaufkraft erhalten bleibt und der Konsum – also die Arbeitsplätze.

    Du reduzierst Dein Credo simpelmind-mässig auf «der Staat kann nur soviel ausgeben wie er einnimmt». Das kann und ist nicht der Sinn eines Gemeinwesens. Der Staat gibt soviel aus, wie es notwenig ist, eine freie, gerechte, chancegleiche und sichere Gemeinschaft zu erhalten mit heutigen und künftigen Menschen, die in Würde leben können und einer Natur und Umwelt die intakt ist. Wenn die Ausgaben, um dies zu erreicht stiegen, dann müssen entweder die Einnahmen erhöht werden oder die Ursachen für eine zu kompensierende Missbalace angegangen werde.
    Und da sind wir beim Problem Duetschland. Klar steigen die Sozialausgaben (wie fast überall). Du nennst das eine Folge von unfähigen Politikern. Ich nenne das das dreiste Spiel des Finanzkapitals, die Gewinne zu privatisieren und dei Verluste zu sozialisieren. Die Staaten als Lender of Last Resort, als Aufputzer der Kollateral-Schäden, die der Kapitalismus (nicht die Marktwirtschaft, was auch in deinem Lehrbuch-Leben nicht dasselbe ist) hervorbringt.

    Kurz gesagt: Wir haben ein gigantisches Verteilungsproblem, das man nicht mit Laisser Faire Politik löst und auch nicht mit der Bagatellisierung von distributiver Marktkritik.

    (Und was haben wir gelernt? Du kannst weder Monopoly noch Lehrbuch, und ich kann weder Komma noch mich kurz halten)

    Bis dann, tschau, Jay

  18. die opposition ist nicht schuld am defizit? die heutige us-opposition war von 2001-2008 die regierung. gwbush hat von clinton einen „ausgeglichenen“ haushalt übernommen und diesen für 2 kriege bachab geschickt – zusammen mit seinen neocon-freunden, die sich heute tea-party nennen. DAS ist unverantwortliches handeln, zumal gleichzeitig die steuern für die superreichen gesenkt wurden.

    dieser blog-eintrag lässt eine differenzierte argumentation vermissen. ein pamphlet…

  19. @amir ali: Vielleicht einfach nochmal lesen? Ich schreibe:

    Obwohl der Staatshaushalt massiv in Schieflage war, verschuldet hat das zu einem guten Teil George W. Bush, verwendete Obama diese Gelder – für die neue Schulden aufgenommen werden mussten und jetzt wieder eingespart werden müssen.

    @Jacqueline Badran: Freut mich, dass Du so ausführlich kommentierst. Kommen wir doch gleich mal zum Monopoly. Ein Spieler, der nur Zürich Paradeplatz besitzt, wird das Spiel nicht für sich entscheiden. Es braucht schon eine Übermacht gegenüber den anderen Spielern, ein klares Ungleichgewicht im Markt, damit einer alles an sich reissen kann.

    Dein Motto ist:

    Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not.

    Tatsächlich? Wenn ich das smartvote-Profil auf Deiner Website betrachte, dann scheint mir fast, als wäre Dir eine restriktive Finanzpolitik nicht ganz so wichtig, ein Rückbau des Sozialstaats wird man von Dir auch nicht erwarten können. Nun ist es ja so, dass die Schweiz seine Finanzen noch mehr oder weniger im Griff hat. Aber was rätst Du Deinen sozialistischen oder sozialdemokratischen Kollegen in anderen Ländern, zum Beispiel in Griechenland? Welche Methode empfiehlst Du ihnen, die (von mir durchaus geschätzte) Hausfrauenweisheit umzusetzen?

    Zu Irland: Ich war kürzlich in Dublin, und ja, ich bin an x leerstehenden Firmengebäuden vorbeigefahren. Viel dieser quick & dirty hochgezogenen Pseudowirtschaft hatte natürlich nichts mit den realen Verhältnissen zu tun. In einer funktionierenden Marktwirtschaft regeln sich solche Fragen aber von selbst. An nicht nachhaltigen Investitionen sind ja oft staatliche Subventionen schuld, die glauben, Investoren mit finanziellen Anreizen, dazu gehören auch nur temporäre, also nicht nachhaltige Steuersenkungen, dauerhaft ansiedeln zu können. Tatsächlich stauben diese nur die angebotenen Zückerchen ab, der Rest ist ihnen egal. Das mag man verdammen, ist aber eine legitime Vorgehensweise.

  20. Constantin Seibt hat gar nicht geschrieben, die «aktuelle Krise sei ein Resultat einer blinden Sparpolitik». Er hat geschrieben, die Krise sei «das Resultat von blinder Deregulierung von Wirtschaft und Finanzmärkten», und zu den «Rezepten, die gegen die Krise angewandt werden», gehöre «eine blinde Sparpolitik». Vielleicht nochmal lesen?

    Damit ist Punkt 2 schon mal gegenstandslos. Du musst Seibt schon korrekt zitieren. Es ist unfair, ihm Sachen zu unterstellen, die er gar nicht gesagt hat.

    Wohin die Sparpolitik führt, sieht man gegenwärtig in England: Arbeitslose, die keine Perspektive mehr haben, entladen ihre Wut in Aufständen. Daran können auch Konservative kein Interesse haben.

  21. Kurz gesagt, ist die Alternative zum rigiden Sparkurs: Steuern erhöhen, Steuerhinterziehung streng bestrafen, Sparkurs korrigieren.

    Ein Beispiel aus dem heutigen Tages-Anzeiger: Laut Peter Nonnenmacher hat Cameron Jobbeschaffungsprogramme eingestellt, Jugendzentren geschlossen, Bildungsbeihilfen abgebaut. Das sind Sparmassnahmen, die dazu führen, dass Junge und Arbeitslose keine Perspektiven mehr sehen. Natürlich bin ich auch dafür, dass man haushälterisch mit dem Geld umgeht. Aber wenn die Sparpolitik dazu führt, dass die Unterprivilegierten nur noch den Weg der Gewalt sehen, um ihre Verzweiflung auszudrücken, dann wird es auch für die Reichen ungemütlich.

    Solche wüsten Szenen zu vermeiden, war ja die Idee des gut ausgebauten Sozialstaates, den du immer kritisierst.

  22. Ich habe Mühe, den Aussagen von C. Seibt zu folgen. Dermassen plakativ kommt er mir daher. Zum einen langweilt mich der neue Sündenbock “Tea Party”, welche als Bürgerbewegung überaus heterogen ist, bzw. zumindest in der Anfangszeit war, bevor sie durch Polit-Glamour-Ikonen wie Palin, Bachmann und vor allem der Presse vereinnahmt wurde.
    Bitte studieren Sie die Analysen von libertären Amerikanern wie Ron Paul und die daraus folgende Kritik. Diese ist alles andere als unvernünftig und antidemokratisch.
    Und Dank an Ronnie Grob für die treffende Klarstellung vieler im Seibt-Artikel enthaltener Klischees und Plattitüden. Als Demokrat erschreckt mich die Betitelung Andersdenkender als „Feinde der Zivilisation“.
    Ich habe den Hintergrund der neu lancierten Tea Parties miterlebt. Es ist legitim, gegen einen aufgeblähten Staat zu sein, der die Bürgerrechte beschneidet und Kriegskosten explodieren lässt (auch und erst recht unter Obama). Und diese Stimmen gab und gibt es sehr wohl in der vom Presse-Mainstream mittlerweile regelrecht dämonisierten “rechtskonservativen” “Tea Party-Bewegung”.

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