Alle Beiträge von Ronnie Grob

Die Chinesen werden eingesperrt

Vielleicht haben Sie es nicht mitgekriegt, weil bisher nur wenige Journalisten darüber berichten: Aber es sieht ganz so aus, als würden 1,4 Milliarden Menschen ihr Land nicht mehr verlassen können: die Chinesen.

Die neue Regelung wurde von der chinesischen Einwanderungsbehörde bereits am 12. Mai über die Social-Media-Plattform WeChat kommuniziert: Die Ausstellung von Reisedokumenten und die Zahl der Ausreisewilligen soll streng begrenzt werden. Die Erklärung, zitiert von Ft.com, forderte eine «strenge Umsetzung der Ein- und Ausreiserichtlinien, um nicht unbedingt notwendige Auslandsreiseaktivitäten chinesischer Staatsbürger streng einzuschränken». Als Grund dafür vorgeschoben wird natürlich der Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus – was ja auch von westlichen Regierungen als Allzweckwaffe missbraucht wurde, um antiliberale Massnahmen durchzusetzen.

Wer nicht Chinese ist, bleibt fern von China oder flieht so rasch wie möglich. Expats ziehen in Massen ab, internationale Firmen haben grosse Mühe, überhaupt noch jemanden vor Ort zu bringen oder halten. Denn mit der verrückten und inhumanen Coronapolitik des Parteiregimes lässt es sich einfach nicht leben. Weil es kaum Medienfreiheit gibt, ist nicht abzuschätzen, wie viele Chinesen davor flüchten wollen.

Was tun sozialistische Regierungen, wenn ihnen die Leute davonlaufen? Sie riegeln die Grenzen ab und bauen einen Zaun oder eine Mauer drumrum. So erging es den Ostdeutschen, die von der DDR-Regierung zwischen 1961 und 1989 hinter die Berliner Mauer verbannt wurden.

Die Chinesische Mauer wurde während der Ming-Dynastie (1368-1644) in Nordchina errichtet, um sich gegen die aus dem Norden anstürmenden Mongolen zu schützen. Die Ming-Dynastie untersagte mehrfach die private Seefahrt, jeweils über Jahrzehnte hinweg. Die nachfolgende Qing-Dynastie verstärkte den Isolationskurs und ging als letzte Dynastie in die Geschichte ein.

Bewegt sich China unter Xi Jinping wieder in ein isolationistisches Zeitalter? Noch ist es zu früh für ein Urteil. Das Parteiregime hat sich jedenfalls mit Fleiss, geschickter Hand (und viel Spionage) in vielen Bereichen an die Spitze der technologischen Entwicklung gesetzt; womöglich glaubt nun die Parteiführung, über ausreichend eigene Fähigkeiten zu verfügen, um sich von der restlichen Welt abkoppeln zu können. Doch wer nicht weltoffen bleibt, schadet sich selbst: ob Nordkorea oder die DDR – je länger Länder unter der Herrschaft sozialistischer Regimes abgeschottet sind, je weniger innovativ sind sie.

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Unter linksurbanen Hypochondern

Als freiheitlich gesinnter Journalist ist man einsam geworden und sieht sich in einer Branche umgeben von Staatstreuen, Übervorsichtigen, Hyperkorrekten. Bin nun ich im richtigen Beruf oder sind sie es?

Die Leser der «Schweizer Journalist:in» haben die nicht mit Namen auftretenden Menschen hinter dem Medium Megafon Reitschule Bern zur Chefredaktion des Jahres 2021 gewählt. Ich hingegen habe mich längst damit abgefunden, nie einen Journalistenpreis zu gewinnen. Nicht, dass es wichtig wäre, aber natürlich leben Journalisten von Anerkennung: Sie geben sich Mühe, so attraktiv wie möglich zu schreiben, um gelesen zu werden. Und wenn sie herausfinden müssen, dass dem nicht so ist, dann leiden sie: So wie die Theaterkritikerin, die Jahrzehnte in der Illusion lebte, von der ganzen Kulturschweiz, ja, von halb Europa gelesen zu werden, und dann mit dem Internet herausfinden musste, dass ihre Artikel kaum je angeklickt werden. Es sollen schon gestandene Männer mit Tränen in den Augen sich im Chefbüro verzweifelt beklagt haben, dass niemand, aber auch gar niemand eine Rückmeldung zu ihrem Text gegeben habe! Journalisten sind wie Künstler; sie leben ein Stück weit vom Einkommen, vor allem aber vom Applaus.

Als Chefredaktor eines Nischenmagazins habe ich mich wohl oder übel daran gewöhnt, von meinen Berufskollegen ignoriert zu werden: Die Themen des «Schweizer Monats» seien zu schwierig, die Artikel zu lang, das Lesen zu anstrengend: So wie die Smartphone-Konsumzeit ansteigt, so sinkt die Aufmerksamkeitsspanne, natürlich auch bei Journalisten. Wer mehrere Stunden täglich auf Twitter ist und Dutzende Tweets absetzt, ist kaum noch in der Lage, einen längeren Text bis zu Ende zu lesen. So viele sind, ohne es sich bewusst zu sein, von der Big-Tech-Industrie via KI und Algorithmen in den festen Griff genommen worden, nicht nur die Teenies und die Boomer. Ein Problem, um in der von Social Media dominierten Welt Aufmerksamkeit zu erhalten, sind die Bezahlmauern: Während Grosskonzerne wie TX Group oder Ringier die Marktmacht haben, ihre Leser zu einem Login zu bringen oder zu zwingen, ist das für ein Nischenmagazin schwierig. Der «Schweizer Monat» hat zwar mehr Abonnenten, seit ich Chefredaktor bin, aber es ist ein grosser Kampf um jeden einzelnen Leser.

Eine WOZ in jeder Stadt
Im Jahr 1982 war die Inflation zuletzt so hoch wie heute, und wir erleben auch in anderen Fragen eine Wiederholung dieser Zeit. Der Star der Linken zu dieser Zeit war Niklaus Meienberg: Ein Kraftwerk von einem Mann, für den jeder Mächtige, der seinen Weg kreuzte, eine Einladung war, ihn zu zerlegen. Wer seine Texte heute liest, bleibt fasziniert von seiner Kreativität und Sprachgewalt, muss aber auch eingestehen, dass er es nicht immer so genau nahm mit den Fakten, wenn denn nur die Richtigen an die Kasse kamen. Beim Megafon Reitschule wäre er zu einem Leader geworden, und er wäre sicher nicht so feige gewesen, sich in einem anonym auftretenden Kollektiv verstecken. In der Realität der 1980er-Jahre stand er am Rande der Gesellschaft. So wie die WOZ, die ständig nach Geld suchte.

Den heutigen WOZes geht es sehr viel besser, es gibt in jeder Stadt eine, und sie sind nicht nur salonfähig, sondern auch erfolgreich geworden: Republik und Tsüri in Zürich, Bajour in Basel, Hauptstadt in Bern, Zentralplus in Luzern. Finanziert werden sie direkt von Abonnenten, aber auch von grünlinksurban gesinnten Millionären. Man könnte meinen, es sei alles in Butter, aber doch wollen sie noch lieber das Geld vom Staat erhalten. Dass der Staat private Medien aktiv auf Antrag nach selbst gewählten Kriterien finanziert (Online-Medienförderung), war in den 1980er-Jahren nicht nur auf staatlicher Seite undenkbar, sondern auch von privater Seite unerwünscht. Unabhängigkeit vom Staat war damals erstrebenswert. Dass Journalisten heute die Abhängigkeit vom Staat suchen, zeigt, dass sie ihn auf ihrer Seite wähnen.

Entscheidend ist die Beziehung zur Privatwirtschaft
«Die vehementesten Fürsprecher der Medien sind die Linken. Und das kommt nicht von ungefähr. Denn links der Mitte weiss man, was man an den Journalisten hat.» Das schrieb Katharina Fontana in der NZZ, und sie hat recht. Ein Blick auf Journalistentwitter zeigt deutlich, wie die politischen Sympathien verteilt sind: Gut dort sind linksurbane Projekte, Jacqueline Badran und die GLP, schlecht sind Freiheitstrychler, Thomas Aeschi und die FDP. Gegenstimmen gibt es wenige: Sie sind desillusioniert verstummt, weil sie nicht immer neue Lust haben, in Diskussionen alleine gegen eine Übermacht von grünlinken Journalisten anzutreten, die sie immer wieder in den Dunst des Rechtsextremen oder den Dunst des bezahlten Lakaien rücken.

Wie eine 2021 veröffentlichte Analyse verschiedener Umfragen unter westlichen Journalisten zeigt («The Left-liberal Skew of Western Media»), sind die Unterschiede zwischen Journalisten und der Wählerschaft beträchtlich. Während christliche Ideen mehr als doppelt so viel Rückhalt unter Wählern finden (Faktor 2), sind es bei nationalistischen, EU-skeptischen und libertären Ideen Faktor 3 oder 4, bei nationalkonservativen Ideen sogar mehr als Faktor 5. Umgekehrt sind doppelt so viele Journalisten als Wähler EU-positiv eingestellt (Faktor 2), und Themen wie Kommunismus, demokratischer Sozialismus und Sozialismus kommen – ihrer bisher mit Millionen von Opfern gepflasterten Umsetzung zum Trotz – fast auf Faktor 2. Mehr als Faktor 2 findet das Themen Feminismus, und etwa drei Mal so viele Journalisten als Wähler finden grüne Themen wichtig.

Der entscheidende Punkt, den die Journalisten von der Bevölkerung unterscheidet, ist die Beziehung zur Privatwirtschaft, ein Punkt, den auch Katharina Fontana macht: «Journalisten haben überwiegend eine akademische Bildung, sie sind häufig städtisch geprägt und steigen oft in den Beruf ein, ohne vorher solide Erfahrung auf einem anderen Gebiet gesammelt zu haben.» Tatsächlich ist es die Prägung, die mich von den anderen unterscheidet: Ich habe nämlich vor meinem Journalistendasein kein Studium absolviert, sondern eine kaufmännische Lehre gemacht und vornehmlich in der Privatwirtschaft gearbeitet. Und so zu jenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Privatwirtschaft gehört, die gezwungen werden, mit ihren Steuern grünlinke Träume zu verwirklichen. Sie kommen in den Medien wenig vor, und wenn, dann meistens als herzlose Kapitalisten, die in einer Krise die Frechheit haben, sich von Mitarbeitern zu trennen. Vorzugsweise sprechen Journalisten mit dem Personal aus Universitäten, NGO und anderen staatsnahen Kreisen, oder aber, wie zunehmend bei SRF, mit internen «Experten». Also mit sich selbst.

Panik in der Pandemie
In der Pandemie hat es sich gezeigt, dass die Probleme, Einschränkungen, Sorgen und Nöte, die Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Privatwirtschaft durch die Regierungsmassnahmen erwachsen sind, von den Journalisten mehrheitlich ignoriert wurden. In den Redaktionen dominierten recht bald die Hypochonder mit riesiger Angst vor dem Virus jene, die grundsätzlich auf ihre Abwehrkräfte vertrauten und eigenverantwortliche Massnahmen befürworteten. Stimmen, die die Massnahmen zu extrem, einschränkend und freiheitsfeindlich fanden, wurden von den Leitmedien erst dann als valide aufgenommen, als die Pandemie vorbei war. Mehr Staatstreue geht nicht.

Wie Rainer Stadler auf Infosperber.ch treffend feststellte, hätten die Journalisten in der Coronakrise autoritärere und einschneidendere Massnahmen umgesetzt als der Bundesrat. Ähnlich wie Neil Ferguson vom Imperial College London, der zu Beginn der Pandemie Millionen von Toten in wenigen Wochen falsch prophezeit hat, haben Journalisten wie Marc Brupbacher von TX Media mit ihren Schreckensszenarien von überfüllten Spitalbetten – es gab in der Schweiz nie zu wenig Intensivbetten, man kann es nachprüfen – die Regierung zu immer extremeren Massnahmen gedrängt. Wer die Welt anders sieht oder darstellt, betreibt dann halt eben «Wissenschaftsleugnung» – so macht man es sich.

Hätten diese Journalisten politische Macht ausüben können, dann hätten wir auch in der Schweiz Massnahmen erleiden müssen, wie sie die kommunistische Partei Chinas durchsetzt. Menschen, die gegen die verrückte No-Covid-Politik der KPCh mit ihren sinnlosen Lockdowns opponierten und demonstrierten, um sie zu verhindern, wurden und werden lächerlich gemacht von Journalisten. Ich bin sehr froh, dass diese Journalisten keine direkte politische Macht haben. Es ist absurd geworden: Wenn man jene, deren Auftrag es ist, die Regierung zu kontrollieren, politisch mehr fürchten muss als die Regierung selbst.

Dieser Artikel ist in gekürzter Form in der Branchenzeitschrift «Schweizer Journalist:in» 2/2022 vom 16. Mai 2022 erschienen.

Migration verhindern und belohnen

Die Schweizer Stimmbürger haben gestern Sonntag zugestimmt, sich an den höheren Kosten der europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex zu beteiligen. Dass die Aussengrenze der EU geschützt und dafür Geld gesprochen wird, war einigermassen unbestritten: Mit 71,5 Prozent war es jene der drei nationalen Vorlagen mit der grössten Zustimmung. Ergriffen wurde das Referendum von sozialistisch und internationalistisch gesinnten Kreisen, die ein Zeichen für Menschenrechte setzen wollten; im Referendumskomitee versammelten sich Gruppen wie Migrantifa Basel, Klimastreik Zentralschweiz oder Feministischer Streik Schaffhausen. Auf die demokratisch gefasste Zustimmung zum Gesetz reagierten sie auf ihrer Webseite trotzig, das sei ein «Ja», das Mauern baue und rassistisch sei (Bild oben).

Aus anderen Gründen zu den Gegnern der Vorlage gehörte die Libertäre Partei. Sie wollte keine Steuergelder für zentralistische EU-Behörden sprechen: «Wir sehen es nicht als Staatsaufgabe an, Menschen daran zu hindern, an andere Orte zu migrieren um ihre Lebenssituation und den allgemeinen Wohlstand durch freiwilligen Austausch (Arbeitsverträge, Mietverträge usw.) mit weiteren Marktakteuren zu verbessern.» Menschen sollen sich frei niederlassen können. Ideen, Güter und Dienstleistungen ungehindert ausgetauscht werden.

Nur ist da der existierende Sozialstaat und der Stimmbürger. Gestern kam in Zürich eine knappe Mehrheit für die Züri City Card zustande. Stadt- und Gemeinderat wollen damit illegal eingereiste Migranten ohne Papiere endlich mit Papieren ausstatten – sie also von Sans-Papiers zu Avec-Papiers machen. Statt den Rechtsstaat durchzusetzen und illegal anwesende Migranten den geltenden Gesetzen entsprechend auszuweisen, belohnt die Stadt Zürich so Glücksritter, die den ungeheuren Mut gehabt haben, eine lange und oft verrückte Reise auf sich zu nehmen, und die es geschafft haben, sowohl die Grenzschutzbehörde Frontex als auch die Behörden in der Schweiz auszutricksen. Personen, die zu schwach sind, um es ihnen gleichzutun, und Anrecht hätten, Asyl zu erhalten, bleiben im Krisengebiet und haben das Nachsehen.

Zusätzliche Steuergelder fliessen nun also an den Grenzschutz, aber auch direkt zu jenen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten. Wer sich vor den Behörden in Zürich versteckt, vielleicht auch schwarz arbeitet, erhält nun mit der Züri City-Card einen Ausweis, mit dem er günstiger in die Badeanstalt oder ins Theater kann.

Darüber hinaus haben sich die Zürcher Stimmbürger auf Vorschlag der links-grünen Mehrheit dazu verpflichtet, die direkten Treibhausgasemissionen im Stadtgebiet bis 2040 auf netto null zu reduzieren. Grob gesagt will die Linke also erstens die Grenzen für alle Migranten öffnen, zweitens alle Migranten in der Schweiz legalisieren, drittens den Sozialstaat für alle weiter ausbauen, und viertens – wenn alle einen hohen Lebensstandard erreicht haben, also viel CO2 ausstossen – die Klimafrage möglichst sofort lösen. Im Einzelnen mögen sich die Punkte realisieren lassen. Allesamt zugleich umgesetzt werden sie zuerst eine hohe Zuwanderung auslösen, und dann den Staatshaushalt ruinieren.

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Der Euro tanzt Limbo

Auf dem offiziellen YouTube-Kanal der Europäischen Kommission gibt es ein Video mit dem Titel «Low inflation with a limbo-dancing euro!» zu sehen. Im 2010 veröffentlichten Werk tanzt eine 1-Euro-Münze den karibischen Tanz Limbo. Das Video ist sehenswert (wenn auch mehr in dem Sinne, wie man von einem schlimmen Unfall oder von einem peinlichen Missgeschick fasziniert ist).


Mit den Worten «How low can you go?» tänzelt sich ein Geldmünzen-Strichmännchen unter eine immer tiefer gehende imaginäre Inflationslinie. Abgesehen von der diskussionswürdigen Qualität des Videos und der Sinnlosigkeit, dafür Steuergelder zu verwenden, hat sich die Frage 12 Jahre danach umgedreht: «How high can you go?», heisst es nun, denn die Inflationsrate im Euroraum ist auf 7,5 Prozent pro Jahr geschnellt. Eurolohnempfänger, die in diesem Jahr nicht wenigstens eine Lohnerhöhung von 7,5 Prozent erhalten, akzeptieren aufgrund der Einbussen ihrer Kaufkraft de facto eine Lohnsenkung. «The Euro keeps inflation low», behauptet das Video. Nun wurde es von der Realität eingeholt und widerlegt.

Wie aber soll man die steigende Inflation denn nun bekämpfen? Gar nicht, findet bisher offenbar die Europäische Zentralbank (EZB) und hält den Leitzins bei 0,0 Prozent. Erst im dritten Quartal 2022 sei der Zeitpunkt, «sich die Zinsen und eine Erhöhung dieser Zinsen anzuschauen». Eine Zinserhöhung sei tatsächlich nicht notwendig, schreibt auch Yves Wegelin in der linken Wochenzeitung. Mittels «fairen Alternativen» dazu wie Steuererhöhungen für Reiche, einem Preisdeckel für Gas, schärferen Kartellkontrollen, um die Gewinnmargen der Konzerne zu senken, oder Massnahmen, um den Konsum fossiler Energie oder die Verschwendung von Nahrungsmitteln zu reduzieren, könnte die Inflation in den Griff gekriegt werden. Immerhin gibt Journalist Wegelin «Ökonom:innen wie Hans-Werner Sinn» recht, die über ein Jahrzehnt lang vor der grossen Inflation gewarnt und auf eine Abkehr vom billigen Geld gedrängt haben (Studio Libero #36 mit Hans-Werner Sinn).

Es ist tollkühn, dass sich die EZB-Führung bisher verweigert, die anziehende Inflation mit Erhöhungen des Leitzinses zu bekämpfen. Weil China aufgrund der verrückten Zero-Covid-Politik des Parteiregimes aktuell kaum noch Waren ausliefert, werden in den kommenden Wochen und Monaten noch mehr Lieferungen später oder gar nie eintreffen. Also werden die Waren knapp und die Preise weiter steigen. Wer diesen Sommer Limbo tanzen will, sollte einen möglichen Unterbruch von Lieferketten antizipieren und sich schon mal karibischen Rum sichern. Sonst wird er seinen Sommerdrink mit Walliser Williams oder Zuger Kirsch mixen müssen.

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Zürich feiert die Elite

Seit 1902 wird in Zürich im Rahmen des Frühlingsfestes «Sechseläuten» ein Schneemann namens «Böögg» auf dem Platz vor der Oper und der NZZ verbrannt. Nur dreimal explodierte er nicht: 1923 war der Regen stärker, 2020 und 2021 das Coronavirus. Heute um 18 Uhr wird er wieder angezündet, und Reitertruppen werden unter der Flagge ihrer Zunft das brennende Feuer umrunden.

Während in Frankreich regelmässig Gelbwesten gegen eine abgehobene Kaste von Politikern und Managern auf die Strasse gehen und es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt – gestern mit zwei Toten – wirft sich die etablierte Elite in Zürich in altertümliche Kleider, sperrt ein paar Strassen ab und paradiert in Gruppen durch die Stadt. Geordnet in Zünfte, welche die traditionellen Wirtschaftszweige repräsentieren, geben Wirtschaftselite und politische Obrigkeit dem Volk Zucker – und lassen sich im Gegenzug mit Blumen beglückwünschen: Für die Leistung im vergangenen Jahr, vielleicht auch für die satten Steuererträge oder die gute Amtsführung.

Verdient oder nicht verdient, es ist eine grosse Errungenschaft, dass sich die Vertreter von Wirtschaft und Politik in Zürich volksnah geben können und beklatscht werden, weil sie grundsätzlich Wohlwollen und Vertrauensvorschuss seitens der Bürger geniessen – und nicht mit Eiern oder faulem Obst beworfen werden. Es ist auch ein Stimmungstest: Sollte es hierzulande mal drunter und drüber gehen, und die Verantwortlichen unter hohem Druck stehen, wird man sehen, wer aus der Elite sich noch auf die Strasse traut und wer nicht mehr. Sich einmal im Jahr der öffentlichen Gunst des Volkes stellen zu müssen, hilft jedenfalls dabei, nicht abzuheben. Von Bodyguards abgedeckt in Kolonnen von Luxuslimousinen regiert es sich mit weniger Hemmungen gegen die Bedürfnisse der Bürger.

Zusammengefügt wird das zünftige Zusammentreffen vom ZZZ, dem Zentralkomitee der Zünfte Zürichs. Etwas viele «Z» in der aktuellen, von Russlands Krieg und Symbolen belasteten Situation? Der am Zunftanlass omnipräsente Sechseläutenmarsch stammt zudem aus dem Zarenreich. Doch wer den Buchstaben Z verbieten möchte, müsste bei Zürich anfangen. Dann sehen wir nächstes Jahr die Tünfte aus Turicum.

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