In unserer immer besser und immer reibungsloser funktionierenden Welt gehen die Grundlagen vergessen.
In Griechenland und Spanien, bald auch in anderen Ländern, demonstrieren Menschen gegen die Sparmassnahmen der Regierung.
Vergessen oder verdrängt wird dabei, dass diese Regierungen nahezu pleite sind. Es bleibt ihnen also, wenn sie nicht auf einen totalen Bankrott zusteuern wollen, gar nichts anderes übrig, als zu sparen.
Und auch wenn sie nicht sparen wollen: Organisationen, die nahe an der Pleite sind, verlieren überall ihren Handlungsspielraum. Die deutschen Bundesländer Berlin, Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein werden wegen einer „drohenden Haushaltsnotlage“ überwacht – es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ganz ihre Souveränität verlieren. Kaum noch Handlungsspielraum haben inzwischen auch die europäischen Schuldenstaaten Griechenland, Irland und Portugal. Andere werden folgen.
Auf längere Frist wird so die Demokratie und der Föderalismus ausgehebelt – de facto entscheidet ein undurchsichtiges Konglomerat aus Staatsspitzen, Organisationen und Banken.
Die Demonstrationen gegen die Sparmassnahmen sind zwar nachvollziehbar, aber auch sinnlos. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Es wird gespart. Oder es droht der Bankrott. Alle anderen möglichen Massnahmen liegen irgendwo dazwischen – sie werden nicht zu einer Verbesserung der Situation führen. Es sei denn, die Wirtschaft dieser Länder erholt sich. Dazu bräuchte es (kurzfristig) aber schon sowas wie ein Wunder.
In Griechenland und Spanien, bald auch in anderen Ländern, demonstrieren Menschen, weil sie keine Jobs haben.
Vergessen oder verdrängt wird dabei, dass es ohne starke Wirtschaft keine Jobs geben kann. Ziemlich verwirrend ist (nur für mich?), dass dabei sozialistisch orientierte Jugendliche gegen Regierungen demonstrieren, die sich zum Teil sozialistisch verkaufen, mit Sicherheit aber so benehmen. Falls jemand Einspruch erheben will: Welche europäische Regierung hat die letzten zehn oder zwanzig Jahre Kosten eingespart und diese Einsparungen durch Steuersenkungen an ihre Bürger weitergeleitet?
In mehrheitlich sozialistischen Systemen ist eine schwache Wirtschaft vorprogrammiert. Es gibt tatsächlich Fälle, in denen die Industrie so stark ist, dass sie in der Lage ist, über Jahrzehnte sehr hohe Steuern zu bezahlen. In einer globalen Wirtschaft klappt das aber auf lange Frist nicht.
Die Universität Bayreuth hat Karl-Theodor zu Guttenberg für eine Doktorarbeit, die nur zu einem kleinen Teil nicht abgeschrieben war (Übersicht auf Guttenplag) die bestmögliche Note verliehen, ein „Summa cum laude“.
Erst nachträglich und durch den Druck aus dem Web wurde Guttenberg der Doktortitel aberkannt. Die Doktorväter, die die zusammenkopierte Arbeit mit höchstem Lob überschütteten und denen der Betrug nicht aufgefallen war, sehen für sich keine Mitverantwortung und ziehen darum auch keine Konsequenzen. Sie werden auch nicht dazu gezwungen, Konsequenzen zu ziehen.
Ja, wer kann denn auch von einem Professor erwarten, dass er eine Suchmaschine zu bedienen weiss?
In einem Interview, das der „Sonntag“ kürzlich mit dem Schweizer Vizekanzler und Bundesratssprecher André Simonazzi führte, kam dieser auf eine Petarde zu sprechen, die am Weltwirtschaftsforum WEF in Davos in einem Hotel explodierte:
Auf allen Online-Portalen wurde sehr schnell die Falschmeldung kolportiert, sie sei im Hotel explodiert, wo die Bundesräte logierten. Dies einzig aufgrund des Bekenntnisschreibens der Gruppierung. Die Online-Medien verifizierten die Meldung nicht. Alle Online-Portale übernahmen diese Falschmeldung. Weltweit, ohne sie zu verifizieren. Sogar die Schweizer Depeschenagentur. Der Haken: Seit zwei Jahren logieren die Bundesräte in einem anderen Hotel.
So leicht also pflanzt sich ein Vorgang, der so gar nicht stattgefunden hat, fort und nistet sich für immer (falsch) in die Archive, in die Geschichtsschreibung ein. Auf Bildblog.de sind solche und ähnliche Fälle, die deutschsprachige Medien produzieren, jede Woche nachzulesen.
Zwar ist es für den Kunden eine schöne Serviceleistung, wenn ihn Meldungen sehr schnell erreichen. Viel wichtiger aber ist, dass sich das, was gemeldet wird, auch so zugetragen hat. Denn wenn die Realität anders ist als in der Meldung beschrieben, ist sie nicht nur unnütz, sondern auch schädlich, sowohl für den Verbreiter, als auch für den Empfänger.
Eine Jury, besetzt mit den besten bekanntesten Journalisten Deutschlands hat einem Autor des „Spiegel“ den Henri-Nannen-Preis in der renommiertesten Kategorie verliehen – und dann einen Tag darauf wieder aberkannt. Weil der Autor eine Szene, in der er nicht dabei war, so dargestellt hat, dass nicht wenige Leser den Eindruck hatten, er sei selbst dabei gewesen.
Es wäre für alle Beteiligten, vor allem aber für den Autor, besser gewesen, wenn diese durchaus strittige Frage vor der Preisverleihung erörtert worden wäre. Denn so wandelte sich der Preis für den Autor in eine (meine Erachtens völlig unangemessene) Strafe. René Pfister erklärte in einem Interview:
Die Jury hat sich am vergangenen Freitag entschieden, mir die größte Ehre zukommen zu lassen, die in Deutschland einem Reporter zukommen kann. Dann wurde der Preis in eine Strafe verwandelt, und die Jury hat es nicht einmal für nötig erachtet, mich anzuhören. Kurz bevor die Entscheidung der Jury bekannt gegeben wurde, meldete sich ihr Sekretär bei mir und bot mir an, der Aberkennung zuvorzukommen, indem ich den Preis freiwillig zurückgebe. Meine Bitte, mich persönlich vor dem Gremium äußern und verteidigen zu dürfen, wurde abgeschlagen. Das widerspricht allen Regeln der Fairness.
Die Fälle sind alle gleich: Eine staunende Menge ist und wird begeistert von einem Schein, der golden, glänzend, proper, schön, auszeichnungsfähig, wunderbar ist.
Doch dann kratzt ein Ereignis den Lack auf. Eine erste rostige Stelle wird entdeckt, dann eine zweite, eine dritte, eine vierte und irgendwann sieht sich die Menge konfrontiert mit einer furchtbaren Ruine, an der gar nichts mehr golden, glänzend, proper, schön, auszeichnungsfähig, wunderbar ist. Das Versprechen „Reichtum für alle“ kann offenbar doch nicht eingelöst werden. Ein Verteidigungsminister ist also doch nur ein Mensch und kein Alleskönner. Nicht nur Blogger, auch etablierte Medien plappern einander ungeprüft nach.
Eine ehemals staunende Menge wandelt sich zu einer wütenden Menge. Nur weiss sie gar nicht, wohin mit ihrem Zorn. Denn:
- Hat sie nicht selbst jene gewählt, die den Staat ausbauten, bis er nur noch durch masslose Schulden zu finanzieren war?
- Hat sie nicht selbst jene gewählt, die die Wirtschaft mit so hohen Steuern belasten, dass diese flüchtet und sogar betrügt?
- Bewundert sie nicht nach wie vor Professoren und Doktoren, die gar keine sein dürften?
- Konsumiert sie nicht weiter jene Medien, die sie immer und immer wieder mit Falschmeldungen versorgen?
Einen einfachen Ausweg aus der Situation gibt es nicht. In einer Demokratie müssen die Bürger jemanden wählen und müssen sich darüber in den Medien informieren. Und ja, es gibt seriöse Politiker und seriöse Medien.
Als gutes Werkzeug, um Politiker, die das Blaue vom Himmel versprechen, im Zaum zu halten, hat sich die Direkte Demokratie bewährt. Die Schweizer Bürger sind unter anderem (noch) nicht von der Schuldenkrise betroffen, weil sie in einer Volksabstimmung 2001 mit einer Mehrheit von 84.7 Prozent einer Schuldenbremse zugestimmt haben, die von Schweizer Politikern auch tatsächlich befolgt wurde.
Indirekt trifft die kommende Krise aber alle. Wichtig ist jetzt eine Besinnung auf die Grundlagen, in allen Bereichen – und die muss jeder für sich finden. Wohin abgehobene Versprechungen, gepaart mit mangelnder Kontrolle, führen, wird von Tag zu Tag offenkundiger.
Sitzende Menge in Saragossa, Flickr/petaqui, CC BY-ND-Lizenz
Zu Guttenberg und die Journalisten, Flickr/augustinfotos, CC BY-ND-Lizenz
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